USA: Joshua Key, Deserteur PDF Drucken E-Mail

Die Geschichte eines Deserteurs

„Eines Morgens im Dezember 2003 steckte ich meine Familie in ein altes Auto, das ich für 600 Dollar gekauft hatte, und verließ den Militärstützpunkt in Colorado Springs, wo ich meinen Urlaub verbrachte. Ich wollte nicht mehr in den Irak zurück. Ich wollte nicht mehr an diesem Krieg teilnehmen, der auf Lügen aufgebaut ist. Ich wollte nicht mehr irakische Zivilisten töten. Ich wollte nicht mehr am Abschlachten teilnehmen. Ich kann verstehen, wenn mich meine MitbürgerInnen als Feigling und Verräter ansehen. Dafür verurteile ich sie nicht. Jeder muss sich vor seinem eigenen Gewissen verantworten. Ich bin mir auch im Klaren darüber, dass ich niemals mit einer Begnadigung rechnen kann. Wenn man beim Militär ist, darf man nicht desertieren. Dafür übernehme ich die Verantwortung. Damit kann ich leben. Nicht mit dem Irakkrieg.“

Wäre ihm vor zehn Jahren prophezeit worden, er würde einmal, verfolgt in der eigenen Heimat, mit seiner Familie über die Grenze fliehen und damit auch Frau und Kinder zu einem Flüchtlingsdasein verdammen, hätte er laut gelacht. Joshua ist als patriotischer Amerikaner erzogen worden, der seine Regierung achtet und an seinen Präsidenten glaubt. Er spielte Football in der Highschool, lebte mit seiner Mutter in einem Wohnwagen und arbeitete bei Kentucky Fried Chicken. In seinem Buch: "Die Geschichte eines Deserteurs" erzählt Joshua Key, wie er zum US-Militär kam, sieben Monate im Irak verbrachte und sich danach weigerte, dorthin zurückzukehren. Es ist eine Geschichte von Courage und Gewissen, davon, lieber alles zu riskieren als weiter an Verbrechen beteiligt zu sein.

Key wuchs in einer Kleinstadt in Oklahoma auf. Seine Mutter arbeitete als Kellnerin in einer Trucker-Raststation und durchlebte mehrere schlechte Ehen mit Alkoholikern, die sie misshandelten. "Das einzige, was ich meinem Stiefvater anrechne", schreibt Key, "ist eines. Er hat meiner Mutter so schlimme Dinge angetan, dass ich auf die harte Tour lernte, zu handeln". Nach der Highschool heiratete Joshua. Mit zwei Kindern und dem dritten unterwegs war das Überleben schwer. Mit ständig wachsenden Schulden lebte die Familie hauptsächlich von übrig
gebliebener Pizza, die Key von seinem Job als Pizzalieferant nach Hause brachte. Key träumte von einer Ausbildung als Schweißer, er sollte seine Zähne richten und seine Nierensteine entfernen lassen. Die Armee schien ihm als geeigneter Ausweg aus seiner misslichen Lage. Die Plakate suggerierten, in die Armee einzutreten sei wie ein Lotteriegewinn. Als er sich einschrieb, wurde ihm versprochen, dass er nicht in den Krieg müsse und nicht von seiner Familie getrennt würde, sondern Brücken in den USA bauen solle. Doch eines Tages mussten sich die Rekruten vor Puppen aufstellen, von denen gesagt wurde, dass sie Muslime darstellten. Der Kommandant forderte sie auf, auf die Puppen mit Bayonetten einzustechen, und schrie dabei ins Mikrophon: "Tötet sie! Tötet sie! Tötet die Sand-Nigger!" Die Soldaten wurden gezwungen mitzuschreien, während sie die Puppten zerstachen und zerfetzten.

Der größte Teil des Buches beschreibt die Erlebnisse im Irak, wie Keys Schwadron ausgeschickt wurde, um in den Wohnhäusern Terroristen aufzuspüren. Männer und Jugendliche wurden geschlagen und verhaftet, Kinder wurden mit dem Anblick von Maschinengewehren aus dem Schlaf gerissen, Wohnungen zerstört und geplündert. Key nahm an ca. 200 solcher Razzien Teil, aber kein einziges Mal wurde ein Terrorist, geschweige denn eine Waffe gefunden. Eines Tages sollte seine Einheit einer anderen Schwadron zu Hilfe kommen. Als sie am Einsatzort ankamen, sahen sie, wie vier unbewaffnete Iraker mit Maschinengewehrsalven niedergeschossen wurden, so dass ihre Köpfe von ihren Körpern abgetrennt wurden. Ein paar Soldaten der anderen Einheit spielten mit den Köpfen der Ermordeten Fußball. Key wusste damals nichts über die Genfer Konvention, er wusste nur, was er beobachtet hatte, war falsch. "Man hatte uns gesagt, im Irak ging es darum, Terroristen zu jagen, die Demokratie zu bringen und für Ordnung in der Welt zu sorgen, stattdessen waren Monster aus uns geworden". Key konnte nicht wegschauen, er konnte nicht verdrängen, was er gesehen hatte. Noch heute erscheinen ihm in seinen Träumen die abgetrennten Köpfe und klagen ihn an. Diese Szene wird er niemals in seinem Leben vergessen.

Joshua hat viel gesehen im Irak: Ein siebenjähriges Mädchen, das niedergeschossen wurde, als es in der Nähe der US-Basis etwas zu essen suchte. Ein dreizehnjähriges Mädchen, das irakischen Polizisten ausgeliefert wurde, um von diesen vergewaltigt zu werden. Ein irakisches Auto, das angezündet und anschließend von einem Panzer zermalmt wurde, weil es einem US-Konvoi zu nahe gekommen war. Als er schließlich einen zweiwöchigen Heimaturlaub bekam, beschloss er, zu desertieren. Er schreibt: "Ich weiß, was viele Amerikaner über Leute wie mich denken. Sie denken, wir seien Feiglinge. Ich mache ihnen keinen Vorwurf. Ich habe früher auch so gedacht, bevor ich im Irak war. Aber ich bin kein Feigling. Es wäre das Einfachste für mich gewesen, zu tun, was man von mir verlangte". Key lebte ein Jahr lang im Untergrund, schlief in Autos und schäbigen Motels, bis er von einer Gruppe in Toronto hörte, die Kriegsdienstverweigerer unterstützt. Das Buch endet, bevor Key erfährt, ob er in Kanada Asyl bekommt. 2006 wurde sein Antrag abgelehnt und er ging in Berufung. Key ist nicht der einzige Kriegsdienstverweigerer. Ein Artikel in der Denver Post spricht von über 3.101 Kriegsdienstverweigerern zwischen Oktober 2005 und Oktober 2006.

Joshua Key beschließt das Buch mit Gedanken über Moral und Verantwortung. Er lehnt einfache Rechtfertigungsversuche ab. "Wenn du eine unschuldige Person geschlagen oder getötet hast, bleibt ein Riss in deinem Herzen. Man kann nicht einfach sagen, ich habe nur die Befehle befolgt. Befehle befolgt zu haben, lindert weder mein Unbehagen, noch vertreibt es meine Alpträume." Key hat keinen Zweifel, das Richtige getan zu haben: "Ich muss mich bei niemandem entschuldigen außer beim irakischen Volk!"


Buch: Joshua Key: „Ich bin ein Deserteur“, Hoffmann und Campe, 2007 Normal 0 21 false false false MicrosoftInternetExplorer4

erschienen in: Talktogether Nr. 21/2007

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