Architektin und WiderstandskämpferinSie war die erste Architektin Österreichs, schrieb mit ihrer "Frankfurter Küche" Architekturgeschichte und wurde weltweit zum Inbegriff für modernes und soziales Bauen. Doch nicht nur als Architektin erlangte Margarete Schütte-Lihotzky Bedeutung, sondern auch als Widerstandskämpferin. Als Hitler 1938 in Österreich einmarschierte, lebte und arbeitete die Architektin mit ihrem Mann in Istanbul. Doch sie ertrug es nicht, dem Unrecht in ihrem Heimatland tatenlos zuzusehen. Deshalb reiste sie 1941 trotz der Gefahren zurück nach Österreich, um sich den Widerstandskämpfern im Untergrund anzuschließen. Sie wurde jedoch verhaftet und verbrachte vier Jahre im Gefängnis. Später wurde sie oft von Leuten gefragt, warum sie aus dem sicheren Ausland nach Wien gefahren sei: "Immer wieder empört mich diese Frage, immer wieder bin ich entsetzt über die mir so fremde Welt, in der diese Frage überhaupt eine Frage ist." Margarete Schütte-Lihotzky wurde 1897 in Wien geboren und hat in vielen vielen Ländern gelebt: in Österreich, Deutschland, der Sowjetunion, Frankreich, der Türkei, der DDR und Kuba. 1915 bis 1919 studierte sie als erste und einzige Frau Architektur an der K.K. Kunstgewerbeschule in Wien, später in der Hochschule für angewandte Kunst. "Und dies, obwohl mein Vater, ein Staatsbeamter, und auch mein Professor Oskar Strnad zu Beginn dagegen waren. Sie haben gedacht, ich würde verhungern. 1916 konnte sich niemand vorstellen, dass man eine Frau damit beauftragen wird, ein Haus zu bauen - nicht einmal ich selbst". Fasziniert an der Architektur hat sie nicht nur das Mathematische, dass ein jeder Millimeter Sinn und Funktion hat, sondern auch der soziale Aspekt: "Das Wohnhaus ist die realisierte Organisation unserer Lebensgewohnheiten. Und schließlich war dann noch der künstlerische Aspekt für mich ein Anspruch. Man zeichnet etwas, das wird dann umgesetzt und beeinflußt die tägliche Umgebung des Menschen, seine Sinne und Nerven sind ununterbrochen mit dieser Umgebung in Austausch". Die Architektur hatte für Margarethe Schütte-Lihotzky immer mit Gesinnung und Weltanschauung zu tun. 1920 erhielt sie einen Preis für eine Schrebergartenanlage, der die Architektin in Kontakt mit der Siedlerbewegung brachte. "Meiner Kenntnis nach war dies der einzige Verband, durch den von unten her ein Massenwohnbau entstanden ist. Bedingt war die Entstehung dieser Bewegung alleine durch die ungeheure Wohnungsnot, die es in Wien damals gegeben hat. Von 1914 bis 1918 wurde nichts gebaut, die Soldaten sind aus dem Weltkrieg zurückgekommen und haben kein Dach über dem Kopf gehabt." In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg herrschten Selbstvertrauen und Aufbruchstimmung in der Arbeiterbewegung, die in der Wiener Kommunalpolitik der 1920er Jahre ihren Ausdruck fanden. Trotz der wirtschaftlichen Not errichtete die sozialdemokratische Gemeindeverwaltung zahlreiche Wohnanlagen, Kindergärten, Bäder und Sportanlagen. Arbeiterwohnsiedlungen sollten jedoch nicht nur praktisch und billig herzustellen, sondern auch künstlerisch anspruchsvoll gestaltet sein. Diese Politik schuf für Architekten ein Klima, in dem sie sich entfalten und neue Ideen entwickeln konnten. 1922 arbeitete Schütte-Lihotzky für die "Erste gemeinnützige Siedlungsgenossenschaft der Kriegsinvaliden Österreichs" und war gemeinsam mit Adolf Loos im Baubüro der Siedlung Friedensstadt am Lainzer Tiergarten tätig. 1926 wurde sie vom deutschen Architekten Ernst May, der sich für ihre Arbeit in Wien begeisterte, ins Frankfurter Hochbauamt gerufen. Dort entwarf sie Einrichtungen für Kindergärten, Wäschereien, eine Zentralwäscherei für eine Siedlung und Wohnungen für berufstätige Frauen, die darauf ausgerichtet waren, der Frau möglichst viel Hausarbeit durch funktionale Ausstattung der Wohnung und zentrale Dienstleistungseinrichtungen zu ersparen und zu erleichtern. Berühmt wurde sie mit ihrer "Frankfurter Küche", einer bis ins kleinste Detail durchdachten Arbeitsstätte, die berufstätigen Frauen die Hausarbeit erleichtern sollte, und zum Vorbild für die moderne Einbauküche wurde. Danach wurde sie mit ihrer Frankfurter Gruppe in die Sowjetunion eingeladen, um im Rahmen des Ersten Fünfjahresplanes am Aufbau mitzuhelfen. In Kirgisien war sie an der Planung einer ganzen Stadt für rund 200.000 Einwohner beteiligt und entwarf die Kindereinrichtungen: "Ich erinnere mich noch gut an meine erste Ankunft in Magnitogorsk. Ich bin mit dem Zug von Moskau 5 Tage und 5 Nächte hingefahren auf diese Riesenbaustelle und habe meinen Kindergarten gesucht. Das war nicht leicht. Der Polier sprach nur kirgisisch. Gebaut wurde der Kindergarten von jungen kirgisischen Frauen. Die hatten alle so viele lange Zöpfchen. Die waren die Maurerinnen. Man hat mir erzählt, dass die vor einigen Monaten noch in der Steppe nomadisiert sind." Da in Österreich der Faschismus herrschte, zogen Margarethe und ihr Mann nach Frankreich. Als es ihnen aber dort nicht gelang, einen Lebensunterhalt aufzubauen, reisten sie weiter nach Istanbul, wo Margarethe Aufträge vom türkischen Unterrichtsministerium bekam und unter anderem Frauenschulen für Anatolien plante. Dort lernte Margarethe österreichische Widerstandskämpfer kennen, trat der KPÖ bei und beschloss, nach Österreich zurückzukehren, um aktiv gegen das NS-Regime zu kämpfen. Durch den Verrat eines Spitzels flog ihre Gruppe auf. Sie erzählt: "Ich bin verhaftet worden und wie alle ins Polizeigefängnis, in die Liesl gekommen. Dort bin ich genau 3 Monate gesessen von 22. Jänner '41 bis 22. April '41. Nach den drei Monaten bin ich von der Elisabethpromenade in die Schiffamtsgasse transportiert worden. Dort sind wir auswaggoniert worden und jede ist in den 4. Stock in Einzelhaft gekommen. Wir waren 15 Frauen. Das waren sozusagen die Schweren. Zwei Geschoße Männer und zwei Geschoße Frauen, durch die Klosettrohre konnten wir miteinander sprechen. Das Gefängnis war ums Eck gebaut, sodass wir Augenkontakt hatten und uns in der Stummerlsprache unterhalten konnten. Ich bin in die Zelle gekommen, war noch erschrocken, weil ich gesehen habe, dass ich in der Zelle allein bin. Kaum fällt das Türl zu, ruft jemand: Neue, geh' ans Fenster. Man hat mir gesagt, ich soll den Hocker auf die Pritsche stellen und darauf noch ein Schemerl und wenn ich da hinaufsteige, kann ich mit den anderen sprechen. So habe ich schon während der ersten 10 Minuten das Gefühl gehabt, dass ich nicht allein bin. Ich erinnere mich. Ich habe einmal einen ganzen Vortrag über die Türkei in der Stummerlsprache gehalten. So habe ich die Anni Haider kennengelernt." Anni Haider wurde 1902 in Wien geboren, musste mit 14 in die Fabrik, war mit 18 Betriebsrätin und verteidigte im Februar 34 mit dem Gewehr in der Hand den "Goethehof". Seit Herbst 1938 war sie am Aufbau illegaler KP-Gruppen beteiligt. Im Februar 1941 wurde sie verhaftet und bei den Verhören verletzt. Im Inquisitenspital organisierte sie gemeinsam mit den geistlichen Schwestern Verpflegung und Nachrichten für die politischen Gefangenen. Margarethe und ihre Freundin Anni entkamen knapp der Todesstrafe, wurden zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt und nach Aichach in Bayern überstellt. "Am 29 April 1945 sind die Amerikaner gekommen und haben die Türln aufgesperrt. Aber wir sind erst am 19. Mai weg, weil es ja keine Verkehrsverbindungen gab, wir waren zu schwach, um zu Fuß zu gehen. Als wir dann eine Gelegenheit hatten, mit dem Auto zu fahren, sind die Anni und ich nach München gekommen." Als Margarete Schütte-Lihotzky nach dem Krieg wieder nach Wien zurückkam, wurde jedoch ihr keine Anerkennung für ihre Widerstandstätigkeit zuteil, im Gegenteil: Über ihre Vergangenheit, über ihr Engagement als Widerstandskämpferin wurde nicht nur lange geschwiegen, sie wurde auch wegen ihrer Mitgliedschaft in der KPÖ von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen, was de facto einem Berufsverbot gleichkam. Ihre Arbeit wurde erst im hohen Alter gewürdigt: 1980 bekam sie den Preis für Architektur der Stadt Wien und 1985 die Prechtl-Medaille der TU-Wien. 1988 wurde ihr das österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst verliehen, sie weigerte sich allerdings, es aus den Händen des damaligen Bundespräsidenten Kurt Waldheim entgegenzunehmen. Erst Jahre später stimmte sie der Verleihung durch Bundespräsident Klestil und Minister Rudolf Scholten zu. 2000 verstarb die engagierte Kämpferin gegen den Faschismus und Wegbereiterin der modernen Frauenbewegungen im hohen Alter von 102 Jahren in Wien. erschienen in: Talktogether Nr. 21/2007
|