USA: The Jena Six PDF Drucken E-Mail

Die Schande der Mächtigen

An einem heißen Sommertag fragte eine Gruppe von schwarzen Schülern den Vizedirektor der Jena Highschool in Louisiana um Erlaubnis, sich in der Pause unter eine große Eiche im Schulhof zu setzen. Bis dahin war es nämlich ein unausgesprochenes Gesetz, dass diese schattige Seite des Schulhofs nur Weißen vorbehalten ist. Als der Vizedirektor nichts dagegen einzuwenden hatte, setzten sich die Schüler unter diesen Baum. Damit hatten sie jedoch das herrschende rassistische System herausgefordert. Am nächsten Tag hingen Stricke an den Ästen, die zu Schlingen geformt waren. „Für uns waren diese Schlingen ein unmissverständliches Zeichen des KuKluxKlan, das sagte: Nigger, wir werden euch aufhängen“, erklärte die Mutter eines der Schüler. Doch von der Direktion wurde diese Aktion als Streich von Jugendlichen abgetan und blieb ohne Konsequenz.

Als Antwort auf diesen Vorfall organisierten daraufhin ein paar schwarze Schüler, darunter Mychal Bell, der Star der Highschool Football-Mannschaft, einen Sitzstreik unter der Eiche. Danach wurde der 17-jährige Schüler Robert Bailey von weißen Mitschülern zusammengeschlagen und mit einer Pistole bedroht. In der Folge kam es zu einer Konfrontation zwischen dem weißen Schüler Justin Barker und Bailey, die mit einer Schlägerei endete. Bailey und fünf andere schwarze Schüler wurden daraufhin verhaftet und von der Schule verwiesen, während die beteiligten weißen Schüler allesamt mit einer Ermahnung davon kamen.

Man könnte vermuten, dass sich dieser Vorfall am Anfang dieses Jahrhunderts zu Zeiten von Rassentrennung und Lynchjustiz ereignete. Tatsächlich spielte sich diese Begebenheit im Sommer 2006 ab. Im Juni 2007 wurde der 16-jährige Bell von einer rein weißen Geschworenenbank der schweren Körperverletzung für schuldig gesprochen, ohne dass ein einziger Zeuge für ihn aussagen durfte – ein Schlag mitten ins Gesicht. Ihn erwarteten bis zu 22 Jahre Gefängnis, auch die fünf anderen Schüler sahen ähnlich harten Urteilen entgegen.

20. September 2007:

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als sich auf der Straße der sonst verschlafenen Kleinstadt Jena Zehntausende versammelten. Auf dem normalerweise ruhigen Highway bildeten sich Verkehrsstaus, überall parkten Autos. Bereits um 5:30 war die Stadt voller Menschen, so dass der Ausnahmezustand ausgerufen wurde und die Büros und Geschäfte diesen Tag geschlossen blieben. Die Menge marschierte vom Gerichtssaal zur Jena High School. Empörung, Entschlossenheit und Kreativität kennzeichneten diesen selbstorganisierten Protestmarsch. Die Demonstranten, die aus vielen Teilen des Landes nach Jena gekommen waren, trugen schwarze T-Shirts und schrieen Slogans wie: „Genug ist genug“, „Lasst die Gefangenen frei“ oder „Jena Six, was ihr getan habt, war richtig!“

Ein erster Erfolg

Auch wenn Mychall Bell eine Woche nach den Demonstrationen freigelassen wurde und der Fall nun vor einem Jugendgericht verhandelt wird, ist der Kampf noch lange nicht gewonnen. Denn es geht nicht nur darum, dass die sechs Jugendlichen ein faires Verfahren bekommen. Sie hätten überhaupt nicht vor Gericht gestellt werden dürfen, weil es kein Verbrechen sein darf, sich gegen Rassismus zur Wehr zu setzen.

Die Demonstrationen für die sechs Jugendlichen aus Jena riefen Erinnerungen an die Bürgerrechtsbewegung wach, als Hunderttausende gegen Rassentrennung und Rassenjustiz auf die Straße gingen. Mutige Menschen wie Rosa Parks, Martin Luther King, Malcolm X, die Black Panther Party und ihre Anhänger haben auf unterschiedliche Weise gegen das rassistische System gekämpft. Trotzdem ist auch heute der Rassismus noch allgegenwärtig, darüber können auch eine schwarze Außenministerin und ein farbiger Präsidentschaftskandidat nicht hinwegtäuschen: Ein Großteil der schwarzen Bevölkerung ist von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen und immer wieder werden neue Fälle von Polizeibrutalität gegenüber Schwarzen bekannt, wie der Fall des erst 12-jährigen Terrell DeAunta Farrow, der am 22. Juni dieses Jahres in West Memphis von Polizisten an einer Tankstelle von hinten erschossen wurde.

Rassismus in Europa

Mit Rassismus und Ausgrenzung sind schwarze Menschen nicht nur in den USA konfrontiert. Rassistische Gewalttaten gegen Menschen anderer Herkunft, besonders wenn sie eine dunklere Hautfarbe haben, nehmen in Europa immer größere Ausmaße an und werden durch rassistische Aussagen von Politikern legitimiert. Auch Österreich ist keine Ausnahme. Wir erinnern uns an die „Operation Spring“, als 100 Afrikaner als angebliche Drogenhändler verhaftet wurden, sowie an den Fällen von Marcus Omofuma, Seibane Wague, Bakary J. und anderen, die in Österreich zu Opfern von Polizeibrutalität wurden. So wurde nach der beispiellosen Medienhetze im Zuge der „Operation Spring“, die vor allem von der Kronenzeitung lanciert wurde, u.a. ein nigerianischer Universitätsprofessor, der auf dem Weg zu einem Gastvortrag an der Universität Innsbruck war, von der Polizei überfallen und verhaftet. Wir müssen uns außerdem den Alltagsrassismus vor Augen halten, mit dem Menschen schwarzer Hautfarbe täglich konfrontiert sind. In zahlreichen Lokalen und Discos wird schwarzen Jugendlichen der Zutritt verweigert, ohne dass die Lokalbetreiber mit gesetzlichen Sanktionen rechnen müssen. Obwohl diese Zustände weithin bekannt sind, gibt es leider viel zu wenig Widerstand gegen derart rassistische Praktiken. Normal 0 21 false false false MicrosoftInternetExplorer4

erschienen in: Talktogether Nr. 22/2007