Gespräch mit Türkan,
Beraterin und Pädagogin beim Verein VIELE
Talk Together: Welche Aktivitäten bietet der Verein Viele an?
Türkan: Der Verein Viele ist eine Anlaufstelle für alle ausländischen Frauen, Mädchen und Familien, ich bin dort als Beraterin und Pädagogin vor allem für die Frauen, die aus der Türkei stammen, zuständig. Wir bieten Deutschkurse, Beratungen und verschiedene Treffpunkte und Veranstaltungen.
Jeden Donnerstag gibt es von 11.30-14 Uhr einen Frauentreffpunkt. Hier treffen sich die Frauen, um über ihre alltäglichen Probleme zu sprechen, Erfahrungen auszutauschen, und sich über neue Gesetze zu informieren. Dieser Treffpunkt steht allen Frauen offen, wird aber zum größten Teil von Frauen aus der Türkei genützt.
Wir haben unterschiedliche Beratungsangebote, ich bin für die türkischsprachigen Frauen zuständig, eine Kollegin berät Frauen aus Ex-Jugoslawien, eine österreichische Mitarbeiterin bietet Betreuung in deutscher und englischer Sprache an, bei Bedarf kommen auch Beraterinnen, die Albanisch oder Tschetschenisch sprechen.
Einmal im Monat gibt es ein kleines Fest, wo die Frauen gemeinsam kochen, singen und tanzen. Einmal im Monat gibt es außerdem eine Mädchengruppe, an der Mädchen zwischen 13 und 17 Jahren teilnehmen. Diese ist das Alter, in dem der Generationen- und der Kulturkonflikt besonders stark wirken. Hier wird über Probleme der Pubertät, in der Schule und Erziehung gesprochen.
Außerdem gibt es noch verschiedene Angebote wie Rückengymnastik, orientalischer Tanz und Erziehungsberatung, einmal im Monat kommt eine Psychologin, um Frauen bei Problemen mit der Kindererziehung zu beraten.
Talk Together: Auf welche Weise unterstützt der Verein Viele die Frauen?
Türkan: Die Frauen kommen zu uns mit einer Vielzahl an Problemen. An erster Stelle geht es um finanzielle Fragen, wir beraten sie beispielsweise, wenn es um die Pension, Familienbeihilfe oder Unterstützungen geht. Oder sie suchen Unterstützung bei der Arbeits- und der Wohnungssuche. Wir können die Frauen beraten, sind aber sind nicht in der Lage, Arbeit und Wohnungen für alle Frauen zu suchen, das würde unsere Möglichkeiten bei weitem sprengen. Es funktioniert eher so, dass die Frauen bei den gemeinsamen Treffen Informationen austauschen und sich so gegenseitig helfen, also wenn eine Frau eine freiwerdende Wohnung kennt oder weiß, dass in ihrer Firma Leute gesucht werden.
Sehr häufig haben die Frauen auch Probleme mit der Erziehung. Die Leute kennen das österreichische Bildungssystem nicht, wir beraten sie, welche Schulen für ihre Kinder geeignet sind, wo sie Nachhilfe bekommen können oder welche Berufsausbildungsmöglichkeiten in Frage kommen.
Talk Together: Mit welchen Problemen sind die Frauen, die zu Ihnen kommen, noch konfrontiert?
Türkan: Eines der gravierendsten Probleme ist die Wohnungsnot. Es ist erschreckend, unter welchen Wohnverhältnissen manche Familien leben. Ich besuchte eine Familie mit vier Kindern, die zu sechst in einer kleinen Garconniere wohnen. Ich frage mich, wie sollen diese Kinder lernen und Schulaufgaben machen? Ein anderes Beispiel: Mein Mann hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass er einen Schüler hat, der einen komischen Geruch hat. Ich bin mit ihm zu seiner Wohnung gegangen, um die Ursache herauszufinden. Was ich hier sah, war erschreckend. Dieser Junge lebt mit seiner Mutter – sie ist Alleinerzieherin – in einer total feuchten Wohnung. Aber leider ist es für uns manchmal fast unmöglich, solche Probleme zu lösen. Da diese Frau erst vor kurzem aus der Türkei gekommen war, muss sie zuerst drei Jahre warten, um sich beim Wohnungsamt überhaupt erst anmelden zu dürfen. Und danach dauert die Wartezeit meist auch noch sehr lange, weil 80% der freien Wohnungen ausschließlich an österreichische StaatsbürgerInnen vergeben werden, egal wie dringend der Bedarf ist.
Ein anderes Problem für die Frauen ist die Isolation. Die Frauen leiden unter Depressionen, weil sie keine Vertrauensperson haben, mit der sie sich aussprechen können. Viele schämen sich, mit Verwandten und Angehörigen über ihre Probleme zu reden. Einmal haben wir eine türkische Psychologin aus Oberösterreich eingeladen. Wir waren verblüfft, wie viele Frauen zu diesem Termin gekommen sind. Nachher haben viele gesagt, wie erleichtert sie waren, dass sie endlich über ihre Probleme offen sprechen konnten.
Talk Together: Es wird den MigrantInnen oft vorgeworfen, integrationsunwillig zu sein. Bekommen die Frauen Unterstützung, wenn sie sich integrieren wollen?
Türkan: Die Sprache stellt das größte Hindernis für die Integration dar. Das Problem ist aber, dass viele Frauen aus Dörfern kommen, wo sie keine Möglichkeit zur Bildung hatten. Sie können oft nicht einmal in ihrer Muttersprache gut lesen und schreiben, deshalb ist es für sie oft enorm schwierig, die deutsche Sprache zu erlernen.
Erfreulicherweise gibt es seit einem Jahr viele neue Angebote, so bieten jetzt auch manche Volksschulen, z.B. Mülln, Lehen I und Liefering II Deutschkurse für Eltern an, das ist eine Initiative der Integrationsbeauftragten Anja Hagenauer.
Der Verein Viele bietet Kurse für unterschiedliche Bedürfnisse an, man kann bei uns auch den vom Gesetz vorgeschriebenen „Integrationskurs“ absolvieren. Der Vorteil bei unseren Deutschkursen ist, dass sie im Vergleich zu denen, die von anderen Stellen angeboten werden, relativ günstig und somit leistbar sind, sie kosten pro Semester nur 30 Euro. Leider haben wir noch Probleme mit der Kinderbetreuung während der Deutschkurse. Deshalb suchen wir größere Räumlichkeiten, damit wir während der Kurse eine räumlich getrennte Kinderbetreuung anbieten können, damit die Frauen ungestört lernen können.
Talk Together: Wie sieht es mit der Integration in Salzburg aus? Wo gibt es Probleme und wie können sie gelöst werden?
Türkan: Probleme entstehen vor allem in Siedlungen, in denen fast nur AusländerInnen wohnen, wie z.B. in der Bolaring- oder der Kendlersiedlung, hier besteht die Gefahr einer Ghettobildung. Zum Glück gibt es aber sehr engagierte Menschen, die Initiativen wie Deutschkurse und Nachbarschaftscafés in diesen Siedlungen organisieren, um dieser Problematik entgegenzuwirken.
Für die Frauen gibt es vor allem zwei Hindernisse bei der Integration: erstens, mangelnde Sprachkenntnisse, und zweitens, wenn sie ein Kopftuch tragen. Wenn ich irgendwo anrufe, um für eine Frau eine Wohnung oder Arbeit zu suchen, sind das die ersten Fragen: Spricht sie gut Deutsch? Und danach gleich: Trägt sie ein Kopftuch? Selbst wenn eine Frau gute Deutschkenntnisse hat, aber ein Kopftuch trägt, ist es fast aussichtslos, eine gute Stelle zu finden, sogar bei Putzjobs gibt es deswegen manchmal Probleme.
Talk Together: Welche Erfahrungen haben Sie selbst gemacht, als sie nach Österreich kamen?
Türkan: Ich lebe mittlerweile schon 36 Jahre in Österreich. Als wir in unsere Siedlung gezogen sind, hat mich der Vermieter gewarnt, dass es für uns als Ausländer nicht leicht werden würde. Das erste halbe Jahr hat uns im Wohnblock niemand gegrüßt. In der Türkei spielt die Nachbarschaft eine wichtige Rolle. Da ich das gewohnt war, habe ich sehr darunter gelitten, keine Nachbarin zum Plaudern und Teetrinken zu haben.
Zwei Monate später hat sich die Situation geändert. In unserem Haus wohnte nämlich eine behinderte Frau. Mein Sohn hat dieser Frau oft geholfen hat, so wie es in unserer Kultur üblich ist. Das hat auf die Leute einen guten Eindruck gemacht. Als sich das herumgesprochen hat, haben uns plötzlich alle im Stiegenhaus freundlich begrüßt. Man sieht, Vorurteile können leicht abgebaut werden, wenn man sich erst einmal kennen lernt. Aber ohne miteinander zu reden, können wir uns nicht näher kommen.
Talk Together: Sie betreuen auch Jugendliche, mit welchen Problemen sind heranwachsende Mädchen konfrontiert?
Türkan: Sie sind oft mit Problemen konfrontiert, die sich aus dem kulturellen Unterschied ergeben. Bis zum Alter von 14 Jahren wachsen sie mit der österreichischen Kultur auf, während ihre Eltern noch in der Kultur ihres Heimatlandes verhaftet bleiben. Daraus entstehen oft Konflikte. Das Mädchen sagt, meine Freundin geht dort- oder dorthin, ich will das auch. Die Eltern machen sich Sorgen um ihre Kinder und reagieren dann oft sehr repressiv. Dass kann aber genau das Gegenteil von dem auslösen, was sich die Eltern für ihr Kind wünschen. Das heißt, Erziehungsberatung muss nicht nur auf die Kinder, sondern auch auf die Eltern zielen.
Talk Together: Was wäre, wenn es den Verein Viele nicht gäbe?
Türkan: Ich glaube, es wäre eine Katastrophe, wenn es den Verein Viele nicht gäbe. Viele der Frauen, die zu uns kommen, würden sonst nirgendwo hin gehen.
Talk Together: Was raten Sie den Frauen? Wie können sie ihr Selbstbewusstsein stärken?
Türkan: Frauen sollen nicht in ihren vier Wänden bleiben. Sie sollen die Möglichkeiten nützen, Informationen zu bekommen und sich weiterzubilden. Denn wenn man hier lebt, ist es auch wichtig, die österreichische Kultur aufzunehmen und von beiden Kulturen zu lernen.
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Frau Türkan arbeitet seit 20 Jahren beim Verein Viele, und war in der Türkei Lehrerin. Verein VIELE - Interkulturelle Beratungsstelle für Mädchen, Frauen und Familien Franz-Josef-Straße 17a, 5020 Salzburg Tel: 0662/870211, E-mail:
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erschienen in: Talktogether Nr. 23/2008
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