Gespräch mit Christoph Eschbacher zum 1. Mai PDF Drucken E-Mail

Gespräch mit Christoph Eschbacher

Betriebsrat und Mitorganisator der Salzburger 1. Mai-Demo

Talk Together: Welche Bedeutung hat der Erste Mai für dich?

Chris: Für mich ist der Erste Mai ein sehr wichtiger Feiertag, einerseits ein sehr traditionsreicher Tag, ein Tag, wo es mir gut tut, Flagge zu zeigen und zu sagen wo ich stehe. Und wenn es auch letztlich in Salzburg nur eine symbolische Demonstration ist, ist es doch bis zu einem gewissen Grad ein Bekunden: Wir sind noch da, wir sind noch organisiert - zwar nicht sonderlich gut organisiert, aber es gibt uns noch. Für mich hat dieser Tag jedoch mehr emotionale als konkrete politische Bedeutung. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass es heute in Österreich funktioniert, eine grundsätzliche Änderung durch die Straße zu erreichen. Politisch viel wichtiger und effizienter ist die kontinuierliche Arbeit in den Betrieben, die Arbeit mit den Leuten, die die Probleme haben.

Talk Together: Was waren deine persönlichen Gründe, dich für die Arbeiterbewegung zu engagieren?

Chris: Ich war 1999 in Hallein in einem überparteilichen Bündnis für die Gemeinderatswahlen engagiert, an dem auch die KPÖ beteiligt war. Entschlossen, der KPÖ beizutreten, habe ich mich dann ziemlich genau beim Regierungsantritt von Schwarz/Blau. Angesichts dieses Wahnsinns war es für mich ein Anliegen, mich zu meiner Einstellung zu bekennen, und es war mir klar, dass jetzt konkretes Engagement gefordert war. Das zweite ist meine Tätigkeit im Betriebsrat. Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, mich dort, wo ich arbeite, für meine Rechte und die Rechte meiner Kollegen und Kolleginnen zu engagieren.

Talk Together: Hat sich die Lage der Lohnabhängigen im Vergleich zu den vergangenen Jahrzehnten verschlechtert?

Chris: Ja, natürlich hat sie sich verschlechtert, keine Frage. Das fängt ganz banal an bei sinkenden Lohnabschlüssen, die im Normalfall nicht einmal mehr die Inflation abdecken und zu Reallohnverlusten geführt haben. Ein sehr wichtiger Faktor ist auch die Zunahme der Konkurrenz am Arbeitsmarkt, das Ende der traditionellen Lebens-Jobs, mittlerweile ist kaum noch jemand von der Lehre bis zum Pensionseintritt im selben Betrieb beschäftigt. Das nimmt kontinuierlich zu, die Abstände zwischen den Wechseln werden immer kleiner. Für die Gewerkschaften ist es relativ schwierig, in einem solchen Umfeld Leute zu organisieren. Es kommt aber auch dazu, dass die Erfolge, die die Gewerkschaftsbewegung in der Vergangenheit erzielt hat, heute oft für selbstverständlich genommen werden. Viele wissen nicht, wie schwierig Rechte wie bezahlter Urlaub erkämpft wurden, und das Bewusstsein fehlt, dass diese Errungenschaften auch jederzeit wieder verschwinden könnten. Wir sind heute mit einem schleichenden Abbau von Arbeiterrechten konfrontiert, der geht Hand in Hand mit dem Rückzug des Staates aus der Sozialpolitik, aus der Gesundheitspolitik, generell mit einem Rückzug des Staates aus der Wirtschaft. Das mag im ersten Moment für die ArbeitnehmerInnen noch nicht schlagend sein, aber mittelfristig sind die Auswirkungen zu spüren. Die Gestaltungsmöglichkeiten werden immer geringer, weil die Sorge um den Arbeitsplatz und die Konkurrenz unter den Lohnabhängigen andere Interessen wie Solidarität und Zusammenhalt immer mehr überlagert.

Relativ gezielt wird nur mehr persönliche Qualifikation angestrebt – so wertvoll Weiterbildung natürlich ist – aber sie dient ja nur dazu, dass man sich selber und seine Arbeitskraft besser vermarkten kann. Es geht nicht um persönliche Bereicherung, sondern um das Behaupten im Konkurrenzkampf. Dabei bleiben viele auf der Strecke, die aus finanziellen oder zeitlichen Gründen keine Chance auf Weiterbildung haben, oder denen aufgrund ihres Bildungshintergrundes der Zugang verwehrt bleibt. Das zeichnet sich ab im Phänomen der „Working Poor“, das sind Leute, die zwar arbeiten, aber nicht in der Lage sind, davon zu leben, bzw. nur in Kombination mit Zweit- und Drittjobs. Es wird zwar immer den Bereich der gut qualifizierten ArbeitnehmerInnen in relativ abgesicherten Arbeitsverhältnissen geben, aber das Phänomen des Nicht-Mehr-Auskommens mit dem Gehalt reicht schon bis in die Mittelschicht hinein – und das wird weiter zunehmen.

Das alles steht vor dem Hintergrund einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, die zum ersten den Kapitalismus als global versteht, zum zweiten als alternativlos – als die Gesellschaftsform, die die besten Resultate erzielt, und etwas anderes ist nicht mehr denkbar. Und ich glaube, dass es kein Zufall ist, dass seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion angefangen wurde, die Arbeiterrechte und den Sozialstaat abzubauen. Der Rückzug des Staates hat so massiv Anfang der 1990er Jahre eingesetzt. Die Notwendigkeit fiel weg, zu beweisen, dass wir es besser können. Es bringt innerhalb des kapitalistischen Systems nichts mehr, eine gute Sozialpolitik zu machen.

Talk Together: Wie wichtig ist die Gewerkschaft?

Chris: Meine gewerkschaftliche Funktion beschränkt sich auf meine Tätigkeit als Betriebsrat im Sozialbereich. Gerade hier, wo es eine Unzahl von prekären Arbeitsverhältnissen, ausgesprochen niedrige Löhne und die Tendenz zur Selbstausbeutung gibt, wäre eine starke Gewerkschaft sehr wichtig. Aber obwohl im Sozialbereicht viele gebildete und politisch und sozial engagierte Menschen arbeiten, schafft es die Gewerkschaft dort nicht, eine signifikante Anzahl von Mitgliedern zu bekommen. Das liegt wohl daran, dass die Gewerkschaftsbewegung, so wie sie heute in Österreich ist, sehr bürokratisch, verknöchert und staatstragend und meist von einer Partei dominiert ist. Das alles ist offensichtlich überhaupt nicht interessant für die Leute, die dringend eine Gewerkschaft brauchen würden.

Das grundsätzliche Interesse der Gewerkschaft ist, das behaupte ich einmal, ihre Sozialpartnerschaft zu erfüllen, und das, was sie dort aushandeln, almosenhaft zu verteilen. Der politische Gestaltungsspielraum innerhalb der Gewerkschaften ist minimal. Es gibt auch viele, die keine guten Erfahrungen mit der Gewerkschaft gemacht haben. Dazu zählt der Problemkreis der Arbeitslosen und der „neuen Selbständigen“, die zwar von der Gewerkschaft mit vertreten werden, aber nicht ihren Kernbereich darstellen. In Teilbereichen herrschen sogar nationalistische, rassistische und sexistische Strukturen.

Hinzu kommt, dass die Gewerkschaft per se kein Interesse hat an der Vertretung von MigrantInnen oder an den Zuständen in anderen Ländern. Die Versuche, europaweit eine schlagkräftige Gewerkschaft aufzubauen, kommen jetzt erst ganz langsam ins Laufen, weil erkannt wurde, dass mit dem EU-Reformvertrag die Gewerkschaftsrechte und die Arbeitnehmerrechte massiv bedroht sind, weil immer der niedrigste Standard gilt, und der niedrigste Standard ist nicht das, woran sich ein Gewerkschafter orientieren kann. Beispiele dafür gibt es genug: Eine Baufirma aus Lettland, die in Schweden einen Auftrag erhielt, brachte ihre eigenen Mitarbeiter mit. Diese wurden nach den Regeln des Herkunftslandes angestellt und unterliefen so die arbeitsrechtlichen Standards in Schweden. Die schwedische Gewerkschaft hat geklagt, aber vor dem europäischen Gerichtshof verloren. Da wurden unsere Gewerkschafter ziemlich bleich, weil dies natürlich einen Präzedenzfall darstellt, der, wenn er einmal juridisiert ist, auch für andere Fälle anzuwenden ist. Jahrzehnte lang fehlte das Bewusstsein für diese Problematik, und jetzt wird hektisch versucht, dagegen zu steuern, doch meiner Meinung nach ist der Zug bereits abgefahren. Der EU-Reformvertrag wird kommen, es stellt sich jetzt nur die Frage, was man dagegen setzen kann.

Talk Together: Viele MigrantInnen wissen nicht viel über die Gewerkschaft in Österreich. Was empfiehlst du ihnen?

Chris: Ich empfehle allen unbedingt, Gewerkschaftsmitglieder zu werden. Denn je mehr MigrantInnen Mitglieder in der Gewerkschaft sind, desto mehr ist sie gezwungen, auf deren Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen. Das beste Argument für die Gewerkschaften sind die Beratung und der Rechtschutz. Außerdem, je mehr Mitglieder die Gewerkschaft in einem Bereich hat, desto besser kann sie verhandeln. Die Gewerkschaft wird sich verändern, wenn sich die Mitglieder verändern, auch wenn es vielleicht ein paar Jahre dauern wird. Aber die Gewerkschaft ist heute konfrontiert mit sinkenden Mitgliederzahlen, deshalb wird sie es auf Dauer nicht leisten können, nicht auf ihre Mitglieder zu hören. Außerdem bieten die Gewerkschaften für Leute, die sich engagieren wollen, Strukturen um sich zu vernetzen.

Talk Together: Hat die Arbeitsbelastung in den letzten Jahren zugenommen?

Chris: Kürzlich konnte man in den Zeitungen lesen – und das finde ich symptomatisch –, dass überproportional viele Leute, obwohl sie objektiv krank sind, trotzdem zur Arbeit gehen, weil sie Angst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Das ist aber eine Sache, die die Lebensqualität und die Gesundheit der ArbeiterInnen ganz konkret beeinträchtigt. Unabhängig davon, ob es im Einzelfall tatsächlich so ist, dass zuviel Krankenstand automatisch zur Kündigung führt, sagt die Tatsache, dass es offensichtlich angenommen wird, dass die Angst da ist, unglaublich viel über das Klima aus, das heute in der Arbeitswelt herrscht.

Talk Together: Trotzdem bleiben die Menschen meist passiv. Woran liegt das?

Chris: Ich glaube, es hat sich die herrschende Meinung durchgesetzt, dass das kapitalistische System alternativlos ist und selbst Reformen nur bedingt machbar sind. Die Leute sind – das ist zumindest meine Wahrnehmung – verängstigt und wütend, aber gleichzeitig können sie nicht klar benennen, woher diese Angst und der Zorn kommen. Vor allem haben sie sich damit abgefunden, dass es so ist, wie es ist. Es hat sich von ganz oben bis ganz unten durchgesetzt, dass eine grundsätzliche Veränderung des Gesellschaftssystems, in dem wir leben, arbeiten und krank werden, nicht vorstellbar ist. In dem Moment, wo ich das Gefühl habe, dass eine Veränderung möglich ist, bin ich bereit, mich dafür einzusetzen. Sobald ich aber akzeptiere: wir müssen rationalisieren, wir müssen auslagern, wir müssen privatisieren, solange die Leute das verinnerlicht haben und der Kollege in der Firma primär als Konkurrent gesehen wird und nicht als Kollege, solange wird sich daran auch nichts ändern. Ich lehne die Theorie ab, dass die Passivität daher rührt, dass der Leidensdruck zu gering sei. Das ist nicht der Punkt. Wenn dies so wäre, müsste in allen Flüchtlingslagern der Welt, wo es den Leuten wirklich elend geht, jeden Tag eine Rebellion ausbrechen, das tut es aber nicht. Ich behaupte, es liegt schlicht daran, dass ich mich nur auflehne, wenn ich eine Perspektive sehe, aber nicht, wenn ich etwas als perspektivlos begreife. Wenn ich aber eine konkrete Perspektive auf Veränderung habe, bin ich bereit, viel dafür einzusetzen.

Talk Together: Aber es ist nicht so, dass es auf der Welt keine Rebellionen gäbe…

Talk Together: Leider gibt es aber nur wenige Beispiele, wo es darum geht, eine konkrete Alternative zu errichten. Es gibt zwar Versuche in Lateinamerika, die bei uns kaum wahrgenommen werden, wo sich sehr viele vorher isolierte Gruppen zusammenschließen und versuchen, eine reale Veränderung zu erreichen, und das geht halt nur gemeinsam. Aber Rebellion ist an und für sich ist ja nichts Fortschrittliches, und Verzweiflungstaten wie Selbstmordattentate (selbst wenn sie freiwillig wären, was ich bezweifle), halte ich für kein probates politisches Mittel, das errichtet keine Perspektive. Ich halte es nach wie vor für eine Kernfrage, ob ich dem jetzigen Modell ein anderes, ein humanistisches Modell entgegenzusetzen habe, und ob ich davon überzeugt bin, dass ich in einer solidarischen Gesellschaft besser leben könnte.

Talk Together: Wie könnte in die europäische Arbeiterbewegung mehr Schwung gebracht werden?

Chris: Wenn ich dass wüsste… Der erste Schritt muss sein, die hegemoniale Behauptung, dass das kapitalistische System alternativlos sei und, wie gesagt wird, am Ende der Geschichte stehe, zu überwinden und Alternativen aufzuzeigen. Wir wissen zwar nicht genau, wie sie ausschauen könnten, wir wissen auch nicht, wann und wo sie erreicht werden, aber nachdem der Kapitalismus ein von Menschen gemachtes und am Leben erhaltenes System ist und kein Naturgesetz, ist er auch vom Menschen zu verändern. Natürlich kann man in einzelnen Bereichen einen kleinen Streik oder Arbeitskampf organisieren, – was auch sehr wichtig ist, weil es hilft, das Gefühl der Ohnmächtigkeit zu überwinden – aber solange ich das nicht in einen größeren Zusammenhang stelle, werden es isolierte Phänomene bleiben.

Das zweite ist die Form der Organisation. Die klassische Vorstellung von der Arbeiterklasse als monolithischen Block ist meiner Meinung nach gestorben. Die Leute sind heute nicht mehr bereit, sich willenlos einer Organisation unterzuordnen, ich halte das auch grundsätzlich für gut so, sondern, sie wollen selbst bestimmt tätig sein, und dafür muss man Rahmenbedingungen schaffen, auch wenn’s nicht immer so ist, wie wir uns es vorstellen. Natürlich müssen fortschrittliche Initiativen gefördert werden, denn es ist ja nicht notwendiger Weise so, dass die Antwort auf die herrschende Krise eine fortschrittliche sein muss, Rebellion kann auch von rechts kommen. Umso wichtiger ist es, die Leute selber in die Verantwortung zu bringen.

erschienen in: Talktogether Nr. 24/2008