Die überfallenen Völker verlangen ihre Souveränität
von Abdullahi A. Osman
Es hat in der Vergangenheit immer Räuber und Beraubte, Eroberer und Eroberte, Kolonisatoren und Kolonialisierte gegeben. Als viele Völker ihre Unabhängigkeit erhielten, wünschten sie sich, dass Ausbeutung und Gewalt ein Ende haben sollten. Leider blieb das aber nur ein Traum. Die Menschen, die damals über die Freiheit und die Unabhängigkeit jubelten, erleben in dieser Zeit eine große Enttäuschung, denn der Kolonialismus und die Ausbeutung sind zurückgekehrt - nur mit einem neuen Gesicht und einem neuen Namen: Demokratisierung bzw. Terrorbekämpfung. Die brutale Doktrin heißt: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, und damit ist er unser Feind.“ Heute gibt es viele Länder, die unter dieser so genannten Demokratisierung und Terrorbekämpfung leiden, dadurch ihre staatliche Eigenständigkeit verloren haben und gezwungen sind, unter Besatzungsmächten zu leben.
Zum Teil sind die Probleme hausgemacht. Diktatoren und Extremisten, die in diesen Ländern am Werk sind, werden als Vorwand für Intervention und Besetzung benutzt. Aber die staatliche Souveränität und das Völkerrecht spielen hier keine Rolle, auch wenn die Mächtigen die Menschenrechte auf ihr Banner geschrieben haben. Was hier dagegen wirklich eine Rolle spielt, ist, welche Bodenschätze dieses Land besitzt und wie gehorsam die Regierenden gegenüber den Mächtigen, z. B. den USA, sind. Wir wissen, dass es viele Staaten gibt, in denen die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, die aber ausgezeichnete politische, militärische und wirtschaftliche Beziehungen mit den USA und Europa unterhalten. Und wegen dieser guten Beziehungen bleiben diese Länder verschont, während man andere Staaten wie den Irak, Afghanistan oder Somalia zerstört, weil man ihnen Menschrechtsverletzungen vorwirft.
Irak: Der Hauptvorwand: Wir werden Saddam stürzen und die Waffen verÂnichten, mit denen er die Welt bedroht, dann bringen wir die Demokratie zu euch, so lautete die Botschaft der USA und ihrer Verbündeten an die Welt. Sie haben Saddam gestürzt. Die angeblichen Massenvernichtungswaffen jedoch wurden nicht gefunden, aber es war im Vorhinein schon bekannt, dass das Regime keine Massenvernichtungswaffen besitzt, zumindest nicht so viele wie die USA. Denn in Wirklichkeit ging es um Erdöl und Machtausweitung. So starben die irakischen Kinder an Hunger und medizinischer Unterversorgung, während die Konzerne sich die Ölfelder vor den Augen der Iraker aufteilten. Nun kann so viel Öl exportiert werden wie gewünscht, ohne dass diese Ölfirmen mit einer Regierung verhandeln müssten. In den USA läuft der Waffenhandel so gut wie nie zuvor und dort gibt es auch weniger Arbeitslose, teilweise aus dem Grund, weil viele Menschen in die Kriegsgebiete geschickt worden sind und heute noch dorthin geschickt werden.
Die Bevölkerung, die unter der Grausamkeit der Diktatur litt, freute sich am Anfang über die Ankunft der Armeen, sie jubelten und hofften, Demokratie und Frieden würden mit demselben Flugzeug ankommen. Doch aus den Flugzeugen stiegen stattdessen schwer bewaffnete Männer, die neuen Hass und zusätzliche  Waffen im Gepäck hatten. So ist die versprochene Demokratie ausgeblieben und stattdessen fließt das Blut in Strömen. Jeden Tag wird aus dem Irak viel Erdöl exportiert, und dieses Geld wird wiederum in Waffen investiert, die aus den USA kommen. Deswegen beklagen die Iraker täglich neue Tote und leben in ständiger Angst.
Die Bilanz von fünf Jahren Besatzung: 4000 gefallene US-Soldaten, 100.000 Tote und noch mehr vertriebene Iraker, ungezählte Waisenkinder, zerstörtes Land und noch mehr Terroristen.
Afghanistan: Die Vorwände: Wir befreien das Volk von der grausamen Herrschaft der Taliban. „Wir bringen den Frieden wieder in das Land zurück und die Frauen werden frei sein“, wurde verkündet. Aber immer noch kommen keine guten Nachrichten aus Afghanistan. Auch dort wird täglich sowohl vertrieben als auch getötet und die Zahl der Terroristen nimmt weiter zu. NATO-Truppen, die andere Methoden anwenden und versuchen, mit den Menschen friedlich umzugehen, wird schlechte Partnerschaft vorgeworfen. Vielleicht liegt es daran, dass es bei diesen ruhiger als bei den US-Soldaten zugeht und es bei ihnen weniger Bombenanschläge gibt. In Afghanistan wird zwar kein Öl gefördert, dafür werden viele Waffen dorthin geliefert. Der Drogenhandel stellt einen gewaltigen Nebenverdienst für die dortigen Machthaber dar. Außerdem können mithilfe von Drogen die Menschen ruhig gestellt werden.
Wie wirkt sich nun die „Demokratisierung“ auf die afghanische Bevölkerung aus? Nur gewisse, von den USA unterstützte Gruppen haben Anteil an der Macht und genießen die neuen Privilegien. Nur diese Gruppen behaupten, dass es in Afghanistan Demokratie gibt und durch die Amerikaner die Existenz und die Lebensumstände inklusive Sicherheit besser geworden seien. Statistiken zeigen, dass die Selbstmordrate von Frauen heute noch höher ist als je zuvor. Außerdem nimmt die Zahl der Heroinabhängigen im Land in erschreckendem Ausmaß zu und stellt mittlerweile ein Problem für die ganze Gesellschaft dar. In der Tat hat sich das Land weder politisch noch wirtschaftlich noch demokratisch gebessert. Der größte Teil der afghanischen Bevölkerung unterstützt jedoch weder die USA noch die Taliban, sondern wünscht sich, dass die fremden Mächte so bald wie möglich aus Afghanistan verschwinden und die Menschen in Frieden leben und ihr Land endlich wieder aufbauen können.
Die Bilanz der vergangenen Kriegsjahre: viele Tote, noch mehr Flüchtlinge, noch mehr Armut, noch mehr Unterdrückung und ein noch mehr Terroristen.
Somalia: Weil die Amerikaner in den frühen 1990er Jahren in Somalia schlechte Erfahrungen gemacht haben, wollten sie keine Blamage mehr riskieren. Trotzdem wollten sie unbedingt zeigen, dass sie auch dort die Herren sind, zumindest indirekt. Da Somalia seit 1991 keine funktionierende Regierung hat und dort Chaos herrscht, wollten die USA einen von ihnen unterstützten Marionetten-Präsidenten einsetzen. Nach 10 Jahren Bürgerkrieg waren viele frische Wunden zu sehen, doch trotz fehlender Regierung schienen damals die Wirtschaft und die Versorgung der Bevölkerung besser funktioniert zu haben, als unter der heutigen „international anerkannten“ Regierung, die nur durch äthiopische Militärhilfe aufrecht erhalten wird. Eine Frau, die erst vor kurzem aus Somalia geflüchtet ist, erzählt, dass sie Kanonen- und Artilleriefeuer sogar in der Nacht, wie sie heute an der Tagesordnung stehen, vorher nicht erlebt hatte.
Das Ziel: Vielleicht fragen sich viele, warum Somalia für die USA und Äthiopien interessant ist. Auf der einen Seite ist Somalia wegen seiner Bodenschätze und der günstigen geographischen Lage für die USA sehr wichtig. Darum haben die USA für ihre Ziele einen Handlanger gesucht und haben in der äthiopischen Regierung einen willigen Verbündeten gefunden. Denn seitdem Eritrea von Äthiopien unabhängig ist, hat der Staat keinen Zugang zum Meer. Darum ist es für die äthiopische Regierung sehr wichtig, einen Zugang zum indischen Ozean für sich zu erobern. Die somalische Regierung gab den äthiopischen Machthabern den Auftrag, Krieg zu führen, den diese gerne angenommen haben und ihre Aufgabe „gehorsam, fleißig und korrekt“ ausüben, indem sie täglich durch ihre Soldaten Kinder, Frauen und andere unschuldige Menschen umbringen lassen.
Somalia und Äthiopien: ein ewiger Konflikt
Der Konflikt zwischen beiden Nachbarländern entstammt der Berliner-Konferenz 1884-85, bei der die Kolonialmächte Afrika unter sich aufteilten und erstmals Grenzen auf der Landkarte zogen. So ist dieser Konflikt „made in Europe“ - wie andere Konflikte, wie es sie auch in vielen anderen afrikanischen Ländern gibt. Die Lösung dieses Konflikts kam weder von afrikanischer Seite noch von Seiten der USA und/oder der EU. Deswegen gab es schon viele bittere Kriege, die viele Menschen das Leben gekostet und unzählige Menschen zur Flucht gezwungen hatten. Früher fand der Krieg an der Grenze statt, aber weil Somalia seine Souveränität als eigener Staat verloren hat, nutzte die äthiopische Regierung diese Schwäche aus, schickte ihre Soldaten nach Somalia und heute stehen äthiopische Streitkräfte und Panzer mitten in Mogadischu. Wenn über die somalischen Probleme geredet wird, hat die äthiopische Regierung das Wort, und somit ist Somalia quasi zur siebten Provinz von Äthiopien geworden. Widerstandskämpfer werden als Terroristen eingestuft. Wer hätte aber in so einer Situation nicht sein Land verteidigt?
Bilanz: Noch mehr Krieg und Hoffnungslosigkeit, noch mehr Flüchtlinge, wirtschaftliche Verelendung, zunehmender Hass innerhalb der somalische Bevölkerung und neue Feindbilder
Die somalische, die irakische und die afghanische Bevölkerung wissen, dass Terroristen nicht ihre Interessen vertreten, aber wer vertritt schon das Interesse der überfallenen Völker?
Friedlicher Widerstand statt Gewalt!
Die Gewalt nimmt zu, Waffen in ungeheuren Mengen sind im Lande, so hat jeder eine Waffe in der Hand. Aus Wut und Zorn werden die Opfer zu Tätern, weswegen sich der Frieden verzögert. Die Hauptopfer der Terroristen und Besatzungsmächte sind Kinder, alte oder behinderte Menschen, die sich nicht in Sicherheit bringen oder ins Ausland fliehen können. Man sagt, Gewalt gebäre Gewalt, aber wer daran glaubt, muss auch wissen, je länger die Gewalt dauert, desto mehr Verluste, Tote, Vertreibung und Flucht erleiden die Menschen. Die Kriege hinterlassen auch riesige menschliche und wirtschaftliche Zerstörungen und weitere Probleme wie traumatisierte Menschen in Schutt und Asche, die verlernt haben, in Frieden zu leben. Der Krieg verdirbt aber auch kulturelle Werte der Menschen. Z.B. war es vor diesen Kriegen üblich, dass Reisende in diesen Gesellschaften gut angesehen waren, Rechte hatten und Respekt erfuhren. Leider sind sie aber heutzutage auch zum Ziel der Terroristen geworden. In Namen aller Menschen, die gegen diese Kriege demonstrieren, appelliere ich an die Mächtigen: Alle Menschen wissen, dass Demokratie nichts mit Gewalt zu tun hat. Alle Menschen wissen auch, dass die Präsidenten des Irak, von Afghanistan und Somalia von Machthabern eingesetzt wurden und deren Marionetten sind. Daher erwartet kein Mensch von diesen Herren, dass sie Gewalt verhindern und Frieden stiften bzw. aufkommen lassen. Deswegen fordern wir sie auf, ihre Truppen zurückzuziehen, diesen Völkern ihre staatliche Eigenständigkeit zurückzugeben und damit die Gewalt zu beenden. Aber auch von den Völkern erwarten wir einen friedlichen Widerstand. Der Weg zum Frieden ist lang und schwierig, nur ein gleichberechtigter Dialog innerhalb und außerhalb dieser Völker führt zu einem nachhaltigen Frieden!
erschienen in: Talktogether Nr. 24/2008
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