Reggae und Rasta PDF Drucken E-Mail

Reggae und Rasta:

Musik, Mode oder doch mehr?

von Herbert Hopfgartner

Der eigentümliche Rhythmus des Reggae und die auffallenden Dreadlocks der Rastas versprühten vor nicht langer Zeit für viele Europäer eine exotische und unbekannte Ferne bzw. ließen für Rockmusik-Experten spezielle Erinnerungen an die späten 1960er Jahre wieder aufleben. Die Musik von Bob Marley, Peter Tosh, Burning Spear, Jimmy Cliff und vielen anderen ist mittlerweile in jeder gut bestückten bürgerlichen Diskographie zu finden, auch die löwenartigen Frisuren und Bärte der „Rastas“ fallen in den multikulturellen europäischen Großstädten kaum mehr wirklich auf. In der populären Musik bestimmt und provoziert – wie in der Mode auch – vor allem das, was gerade gefällt (oder gefallen soll) – kulturelle und religiöse Bräuche, Riten und Traditionen werden hingegen selten hinterfragt. So möchte ich in diesem kurzen Essay einige augen- und ohrenscheinliche Phänomene dieser Kultur etwas näher beleuchten:

Zur Musik

„Richtig ist wohl, dass durch Bob Marleys Ausstrahlung der Reggae, die Populärmusik von Jamaika, in der kommenden Saison zum internationalen Leitton werden kann. Nur einem Superstar seines Formats kann es gelingen, das akustische Ghetto zu sprengen, in dem sich die fesselndste Klangfusion seit dem New Orleans der Jazzanfänge, dem Liverpool des Beatles-Aufbruchs und dem San Francisco der Hippie-Ära vollzogen hat.“ (Der Spiegel, 1975)

Der Reggae ist eine in den 1960er Jahren auf Jamaika (arawakisch: Xaymaca, Chaymakas = „Quellenland, Holz- und Wasserland“) entstandene Musikrichtung, die sowohl als eine von Ska und Mento ausgehende Tanzmusik, als rituelle Musik der Rastafarianer, als auch als politischer Ausdruck der unterprivilegierten Ghettobevölkerung zu diskutieren ist. Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs ist nicht eindeutig geklärt: Einige Musiker führen das Wort auf das lateinische rex („König“) zurück – demnach wäre der Reggae in einer Art religiösen Deutung eine „Musik des Königs“ (siehe auch unten!). Viel wahrscheinlicher erscheint die These, dass ein jamaikanischer Begriff aus dem Rotlichtmilieu, streggae („leichtes Mädchen“) den Weg in die Musik gefunden hat. Die erste namentliche Erwähnung fand der Begriff 1968 in einem Song („Do the Reggay“) von Toots and the Maytals.

Der typische Off-Beat-Charakter in der Musik entstand Ende der 1950er Jahre, als in Jamaika amerikanische Rhythm & Blues und Soul Musik (der Pianist und Sänger Fats Domino war und ist sehr populär) mit den typischen Rhythmen des stark an die ursprüngliche afrikanische Stammesmusik erinnernden Mento kombiniert wurde. In dieser Hinsicht fällt die starke Betonung der schwachen Taktteile (2. und 4. Schlag) auf, wobei der Reggae gegenüber dem Ska und dem Rocksteady wesentlich langsamer musiziert wird. Im Klangbild des Reggae beeindruckt der E-Bass durch eine melodiöse Phrasierung im Beat, während die Gitarren, das Keyboard, seltener auch die Bläser wie schon erwähnt auf den unbetonten Taktteilen begleiten.

In den Anfangsjahren spielten die Betreiber von mobilen Soundsystems (wie z. B. Clement Coxsone Dodd, Arthur Reid und Cecil Campell) eine wichtige Rolle für die Verbreitung des Reggae. Diese „Discjockeys“ montierten überdimensionale Lautsprecher auf alten Lastwägen und übertönten auf der Ladefläche stehend mit eigenem Sprechgesang (Toasting) die abgespielte Musik. Da die tanzlustige junge Bevölkerung der Städte nicht hinreichend mit Import-Schallplatten aus den südlichen US-Bundesstaaten versorgt werden konnte, und es überdies viel zu wenige Abspielgeräte gab, wurden die einheimischen Talente gefördert und in weiterer Folge auch in abenteuerlich eingerichteten Tonstudios produziert.

Die Texte wurden bzw. werden auf Patois, einer auf der Englischen Sprache basierenden Sprache der Kreolen rezitiert und gesungen, wobei ein Kennzeichen dieses Dialekts die Hinzufügung des „I“ ist – wiederum soll der Titel des äthiopischen Kaisers (Haile Selassie I.) eine symbolische Rolle spielen: „I and I“ bedeutet demnach „ich und wir“, „Most I“ ist „Gott“, „Ises“ sind die Lobpreisungen (praises) „Ites“ die spirituellen Höhen (heights), die oft durch den Genuss von Cannabis erreicht werden., während der Begriff „I-tal“ (vitals) die vegetative Kost bezeichnet. Besonders markante Idiome, wie z.B. politrics (Politiker) und baldhead (Kahlköpfige, also Unterdrückte) gehören ebenfalls zu den individuellen und kreativen Wortschöpfungen.

Die religiöse Lehre des Rastafarianismus

Rastafarianer sind Mitglieder einer religiösen afroamerikanischen Erlösungsbewegung mit jamaikanischem Ursprung. Als Gründer dieser Gruppierung gilt Marcus Mosaih Garvey (1887-1940), der die Krönung von Ras Tafari Makonnen (1892-1975) zum Kaiser Haile Selassie I. von Äthiopien (1930) als Symbol einer Befreiung der farbigen Bevölkerung in Amerika deutete. In der amharischen Landessprache Äthiopiens bezeichnet Ras den „Kopf“ (vgl. hebräisch rosch = Kopf). Es ist nicht nur der höchste militärische Rang, sondern auch eine kaiserliche Auszeichnung. Der Ausdruck selbst stammt aus dem 16. Jahrhundert.

Der Krönungstitel von Haile Selassie I., „Auserwählter Gottes“ und „Siegreicher Löwe von Juda“ interpretieren die Anhänger dieses Glaubens als dritte göttliche Inkarnation (nach Melchisedech und Jesus Christus). Er selbst sah sich als 225. Nachfolger des König Salomon.

Die Rastas projizieren ihre eigene Geschichte, also die Verschleppung nach und die Unterdrückung in Amerika mit der biblischen Erzählung des israelitischen Volkes. Gott wird den Schwarzen aus dem von den Weißen begangenen Unrecht befreien – in den Anfängen des Rastafarianismus bedeutete dies die Rückkehr (eine Repatriierung) ins gelobte Land Äthiopien (gr. aithalo = „rußig, rußfarbene“ und ops = „Gesicht“), heute eher die symbo­lische und spirituelle Heimkehr der Unterdrückten in einen Zustand der Freiheit und Selbstbestimmung. Äthiopien gilt ja nicht nur unter den Paläanthropologen als Wiege der Menschheit, sondern auch als der einzige genuin unabhängige afrikanische Staat. Aus diesem Grund wurde und wird dieses Land von vielen Exilafrikanern idealisiert.

Als religiöse Quelle dienen den Rastas die Bibel, insbesondere Texte des Alten Testaments (Henoch) sowie die Offenbarung des Johannes (NT). Gott selbst wird als Jah (ausgesprochen „Dschah“) – eine Verkürzung zu Jahwe bezeichnet. Die Dreadlocks und ungestutzten Bärte gehen auf das Buch Levitikus zurück: In den „Vorschriften für Priester“ (Lev 21, 1-6) ist zu lesen:

„Kein Schermesser soll das Haupt berühren, bis die Zeit abgelaufen ist, für die er sich dem Herrn als Nasiräer geweiht hat. Er ist heilig, er muss sein Haar ganz frei wachsen lassen.“

Auch der rituelle Gebrauch von Cannabis (Ganja) wird wie auch die salzlose vegetarische Kost mit der Bibel (der „Holy Piby“), dem Schöpfungstext des fünften Tages (1. Mose 1; 29;) „autorisiert“ bzw. gutgeheißen.

„Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen.“

Politische Aspekte

Neben religiösen Themen („Roots Reggae“) werden in den Texten vor allem die Armut und die soziale Ungerechtigkeit angesprochen. Skurril und bezeichnend für die populäre Musik insgesamt und für den Reggae im Besonderen ist der Umstand, dass der weißer Gitarrist Eric Clapton mit einer Cover-Version von „I Shot the Sheriff“ den Schöpfer des Liedes, Bob Marley und die sozial schwierige Situation in den Slums (Trenchtown) von Kingston Town erst richtig bekannt gemacht hat. Die Geschichte der Insel – sie war von 1655 bis 1962 britische Kolonie, seit 1962 ist Elisabeth II. als Oberhaupt des Commonwealth of Nations Königin von Jamaika – beeinflusst nachhaltig die politische Stimmung im Land. In den Texten des Reggae werden der Protest gegen die Beherrschung der Briten, das Gefühl der Gefangenschaft und die kulturelle Entfremdung artikuliert.

Der eigentümliche Rhythmus des Reggae und die auffallenden Dreadlocks der Rastas versprühten vor nicht langer Zeit für viele Europäer eine exotische und unbekannte Ferne bzw. ließen für Rockmusik-Experten spezielle Erinnerungen an die späten 1960er Jahre wieder aufleben. Die Musik von Bob Marley, Peter Tosh, Burning Spear, Jimmy Cliff und vielen anderen ist mittlerweile in jeder gut bestückten bürgerlichen Diskographie zu finden, auch die löwenartigen Frisuren und Bärte der „Rastas“ fallen in den multikulturellen europäischen Großstädten kaum mehr wirklich auf. In der populären Musik bestimmt und provoziert – wie in der Mode auch – vor allem das, was gerade gefällt (oder gefallen soll) – kulturelle und religiöse Bräuche, Riten und Traditionen werden hingegen selten hinterfragt. So möchte ich in diesem kurzen Essay einige augen- und ohrenscheinliche Phänomene dieser Kultur etwas näher beleuchten:

Zur Musik

„Richtig ist wohl, dass durch Bob Marleys Ausstrahlung der Reggae, die Populärmusik von Jamaika, in der kommenden Saison zum internationalen Leitton werden kann. Nur einem Superstar seines Formats kann es gelingen, das akustische Ghetto zu sprengen, in dem sich die fesselndste Klangfusion seit dem New Orleans der Jazzanfänge, dem Liverpool des Beatles-Aufbruchs und dem San Francisco der Hippie-Ära vollzogen hat.“ (Der Spiegel, 1975)

Der Reggae ist eine in den 1960er Jahren auf Jamaika (arawakisch: Xaymaca, Chaymakas = „Quellenland, Holz- und Wasserland“) entstandene Musikrichtung, die sowohl als eine von Ska und Mento ausgehende Tanzmusik, als rituelle Musik der Rastafarianer, als auch als politischer Ausdruck der unterprivilegierten Ghettobevölkerung zu diskutieren ist. Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs ist nicht eindeutig geklärt: Einige Musiker führen das Wort auf das lateinische rex („König“) zurück – demnach wäre der Reggae in einer Art religiösen Deutung eine „Musik des Königs“ (siehe auch unten!). Viel wahrscheinlicher erscheint die These, dass ein jamaikanischer Begriff aus dem Rotlichtmilieu, streggae („leichtes Mädchen“) den Weg in die Musik gefunden hat. Die erste namentliche Erwähnung fand der Begriff 1968 in einem Song („Do the Reggay“) von Toots and the Maytals.

Der typische Off-Beat-Charakter in der Musik entstand Ende der 1950er Jahre, als in Jamaika amerikanische Rhythm & Blues und Soul Musik (der Pianist und Sänger Fats Domino war und ist sehr populär) mit den typischen Rhythmen des stark an die ursprüngliche afrikanische Stammesmusik erinnernden Mento kombiniert wurde. In dieser Hinsicht fällt die starke Betonung der schwachen Taktteile (2. und 4. Schlag) auf, wobei der Reggae gegenüber dem Ska und dem Rocksteady wesentlich langsamer musiziert wird. Im Klangbild des Reggae beeindruckt der E-Bass durch eine melodiöse Phrasierung im Beat, während die Gitarren, das Keyboard, seltener auch die Bläser wie schon erwähnt auf den unbetonten Taktteilen begleiten.

In den Anfangsjahren spielten die Betreiber von mobilen Soundsystems (wie z. B. Clement Coxsone Dodd, Arthur Reid und Cecil Campell) eine wichtige Rolle für die Verbreitung des Reggae. Diese „Discjockeys“ montierten überdimensionale Lautsprecher auf alten Lastwägen und übertönten auf der Ladefläche stehend mit eigenem Sprechgesang (Toasting) die abgespielte Musik. Da die tanzlustige junge Bevölkerung der Städte nicht hinreichend mit Import-Schallplatten aus den südlichen US-Bundesstaaten versorgt werden konnte, und es überdies viel zu wenige Abspielgeräte gab, wurden die einheimischen Talente gefördert und in weiterer Folge auch in abenteuerlich eingerichteten Tonstudios produziert.

Die Texte wurden bzw. werden auf Patois, einer auf der Englischen Sprache basierenden Sprache der Kreolen rezitiert und gesungen, wobei ein Kennzeichen dieses Dialekts die Hinzufügung des „I“ ist – wiederum soll der Titel des äthiopischen Kaisers (Haile Selassie I.) eine symbolische Rolle spielen: „I and I“ bedeutet demnach „ich und wir“, „Most I“ ist „Gott“, „Ises“ sind die Lobpreisungen (praises) „Ites“ die spirituellen Höhen (heights), die oft durch den Genuss von Cannabis erreicht werden., während der Begriff „I-tal“ (vitals) die vegetative Kost bezeichnet. Besonders markante Idiome, wie z.B. politrics (Politiker) und baldhead (Kahlköpfige, also Unterdrückte) gehören ebenfalls zu den individuellen und kreativen Wortschöpfungen.

Die religiöse Lehre des Rastafarianismus

Rastafarianer sind Mitglieder einer religiösen afroamerikanischen Erlösungsbewegung mit jamaikanischem Ursprung. Als Gründer dieser Gruppierung gilt Marcus Mosaih Garvey (1887-1940), der die Krönung von Ras Tafari Makonnen (1892-1975) zum Kaiser Haile Selassie I. von Äthiopien (1930) als Symbol einer Befreiung der farbigen Bevölkerung in Amerika deutete. In der amharischen Landessprache Äthiopiens bezeichnet Ras den „Kopf“ (vgl. hebräisch rosch = Kopf). Es ist nicht nur der höchste militärische Rang, sondern auch eine kaiserliche Auszeichnung. Der Ausdruck selbst stammt aus dem 16. Jahrhundert.

Der Krönungstitel von Haile Selassie I., „Auserwählter Gottes“ und „Siegreicher Löwe von Juda“ interpretieren die Anhänger dieses Glaubens als dritte göttliche Inkarnation (nach Melchisedech und Jesus Christus). Er selbst sah sich als 225. Nachfolger des König Salomon.

Die Rastas projizieren ihre eigene Geschichte, also die Verschleppung nach und die Unterdrückung in Amerika mit der biblischen Erzählung des israelitischen Volkes. Gott wird den Schwarzen aus dem von den Weißen begangenen Unrecht befreien – in den Anfängen des Rastafarianismus bedeutete dies die Rückkehr (eine Repatriierung) ins gelobte Land Äthiopien (gr. aithalo = „rußig, rußfarbene“ und ops = „Gesicht“), heute eher die symbo­lische und spirituelle Heimkehr der Unterdrückten in einen Zustand der Freiheit und Selbstbestimmung. Äthiopien gilt ja nicht nur unter den Paläanthropologen als Wiege der Menschheit, sondern auch als der einzige genuin unabhängige afrikanische Staat. Aus diesem Grund wurde und wird dieses Land von vielen Exilafrikanern idealisiert.

Als religiöse Quelle dienen den Rastas die Bibel, insbesondere Texte des Alten Testaments (Henoch) sowie die Offenbarung des Johannes (NT). Gott selbst wird als Jah (ausgesprochen „Dschah“) – eine Verkürzung zu Jahwe bezeichnet. Die Dreadlocks und ungestutzten Bärte gehen auf das Buch Levitikus zurück: In den „Vorschriften für Priester“ (Lev 21, 1-6) ist zu lesen:

„Kein Schermesser soll das Haupt berühren, bis die Zeit abgelaufen ist, für die er sich dem Herrn als Nasiräer geweiht hat. Er ist heilig, er muss sein Haar ganz frei wachsen lassen.“

Auch der rituelle Gebrauch von Cannabis (Ganja) wird wie auch die salzlose vegetarische Kost mit der Bibel (der „Holy Piby“), dem Schöpfungstext des fünften Tages (1. Mose 1; 29;) „autorisiert“ bzw. gutgeheißen.

„Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen.“

Politische Aspekte

Neben religiösen Themen („Roots Reggae“) werden in den Texten vor allem die Armut und die soziale Ungerechtigkeit angesprochen. Skurril und bezeichnend für die populäre Musik insgesamt und für den Reggae im Besonderen ist der Umstand, dass der weißer Gitarrist Eric Clapton mit einer Cover-Version von „I Shot the Sheriff“ den Schöpfer des Liedes, Bob Marley und die sozial schwierige Situation in den Slums (Trenchtown) von Kingston Town erst richtig bekannt gemacht hat. Die Geschichte der Insel – sie war von 1655 bis 1962 britische Kolonie, seit 1962 ist Elisabeth II. als Oberhaupt des Commonwealth of Nations Königin von Jamaika – beeinflusst nachhaltig die politische Stimmung im Land. In den Texten des Reggae werden der Protest gegen die Beherrschung der Briten, das Gefühl der Gefangenschaft und die kulturelle Entfremdung artikuliert.

erschienen in: Talktogether Nr. 24/2008