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Blutbad am Platz des Himmlischen Friedens
Im Juni vor 15 Jahren verwandelte sich der „Platz des Himmlischen Friedens“ in Beijing in ein Schlachtfeld. Schon seit Wochen hatten sich Studenten, Arbeiter und andere Teile der chinesischen Bevölkerung auf dem Tiananmen versammelt, um ihrer Forderung nach mehr Demokratie und ihrem Protest gegen die Korruption Ausdruck zu verleihen. Am Abend des 4. Juni 1989 befahl die damalige chinesische Regierung unter Deng Xiao-Ping dem Militär, die Proteste mit Gewalt zu beenden. Vor den Augen der Welt wurde kaltblütig auf die Demonstranten geschossen.
Die Studentenproteste hatten bereits mehrere Monate gedauert. Am 15. Mai besetzten TauÂsende den TiaÂnanmen, den riesigen Platz im Zentrum Beijings. TägÂlich kamen mehr MeÂschen hinzu und nach ein paar Tagen waren es bereits eine Million Menschen, die am Tiananmen versammelt waÂren. Auch Arbeiter gesellten sich dazu und marschierte mit Fahnen und Transparenten auf, auf denen die Namen der Fabriken und Betriebe standen, aus denen sie gekommen waren – meist ohne Erlaubnis oder im stillen Einverständnis mit der Betriebsleitung. Der entschlossene Hungerstreik einiger StudentInnen hatte auch viele LehrerInnen, SchĂĽlerInnen, BeamtInnen und JournalistInnen dazu bewoÂgen, heraus zu kommen und die Proteste zu unterstĂĽtzen. Als die Hungernden schon sehr schwach waren, wurden sie ständig von Krankenpflegern betreut. Ein Polizist sagte zu einigen ArbeiterInnen und SchĂĽlerInnen: „Die Bewegung ist gewaltig! Wenn die Regierung befiehlt, sie niederzuschlaÂgen, werde ich dem Befehl folgen? Nein, ich werde mich widersetzen!“
Das Massaker am 4. Juni
Während die Studentenproteste fĂĽr die Herrschenden zu verÂkraften waren, geriet die Regierung in Panik, als sich die Arbeiter den Protesten anschlossen. Als die Gewerkschaften Flugblätter austeilten, die zum Generalstreik ausriefen, kĂĽnÂdigte die Regierung an, mit Härte zu antworten. Doch die DemonstrantInnen lieĂźen sich nicht einschĂĽchtern. Da wurde ĂĽber Beijing das Kriegsrecht verhängt und die 38. Armee beordert, nach Beijing einzurĂĽcken. Doch als sich diese weiÂgerte, sich zu bewegen, wurde die 27. Armee gerufen, die nördlich von Beijing stationiert war. Als sich diese Neuigkeit verbreitete, fuhren Motorradfahrer durch die ganze Stadt, um die Bevölkerung zu warnen. Die Menschen versuchten die ZufahrtsstraĂźen mit Blockaden abzuriegeln, und die Soldaten wurden beschimpft. Auch in anderen chinesischen Städten gab es Solidaritätsdemonstrationen. SchlieĂźlich war Beijing von 200.000 Soldaten umringt. Am Abend des 4. Juni wurde die Bevölkerung durch das Fernsehen aufgerufen, zu Hause zu bleiben. In dieser Nacht kam es dann zu den blutigen Kämpfen. Niemand weiĂź genau, wie viele Menschen dabei getötet wurden. Die Schätzungen schwanken zwischen 2000 und 7000.
Li Minqi, ein Student, der an den Protesten beteiligt war, erzählt in einem Interview mit der US-amerikanischen ZeiÂtung „Revolutionary Worker“ ĂĽber eine Entwicklung, mit der auch wir heute – 15 Jahre später, in einem anderen Teil der Welt und unter einem anderen System – konfrontiert sind:
„Ein Teil des Problems war, dass die Arbeiter als Folge der Revolution von 1949 weitgehende soziale und wirtÂschaftliche Rechte hatten, die der kapitalistischen EntÂwicklung im Weg standen. Deshalb war es unausweichÂlich, dass die Regierung durch ‚Reformen’ versuchte, den Arbeitern diese Rechte wegzunehmen. Ein Beispiel war die ‚Eiserne ReisschĂĽssel’. Diese garantierte den Arbeitern das Recht auf Anstellung und beinhaltete auch ein Netz an sozialer Sicherheit wie GesundheitsÂvorsorge, billige Wohnungen und die ErfĂĽllung der GrundbedĂĽrfnisse. Deshalb plante die Regierung, die ‚Eiserne ReisschĂĽssel’ zu zerbrechen, was in ihrer Sprache hieĂź, den Arbeitsmarkt zu ‚flexiblisieren’. Den Managern der staatlichen Unternehmen wurde das Recht gegeben, Arbeiter zu bestrafen und zu feuern. In der sozialistischen Phase wurden Reformen gemeinsam von den Arbeitern, den Technikern und der Verwaltung beschlossen, nun hatte das Management die alleinige Macht in den Betrieben bekommen. In den 1980er Jahren stiegen auch die Einkommensunterschiede zwischen den Arbeitern und Managern an. Die Studenten sind zwar im Vergleich zu den Arbeitern in einer privilegierten Position, aber sie waren frustriert, da sie keinerlei politische Macht hatten, weil die in den alleinigen Händen der BĂĽrokratie liegt.“
Nach den blutigen Ereignissen wurde die westliche Presse nicht mĂĽde, den Menschen mitzuteilen: „Dies passiert, wenn ihr eine kommunistische Regierung habt!“ Doch sind die chinesischen Machthaber Kommunisten und ist China heute ein sozialistisches Land? Und wie wĂĽrde eine westliche ReÂgierung auf einen derartigen Aufstand reagieren? Seit dem Kurswechsel von 1976 hatte die chinesische Regierung die Agrarkollektive aufgelöst und damit den Ruin und Armut groĂźer Teile der Landbevölkerung verursacht. Sie förderte den Aufstieg einer kleinen Klasse von Reichen, während die Kluft zwischen den Wohlhabenden und den „Habenichtsen“ ständig stieg. Sie öffnete China fĂĽr ausländisches Kapital und verwandelte das Land in eine Billiglohn-Fabrik fĂĽr internationale Konzerne. Während die USA und andere westliche Regierungen sich beeilten, das Massaker zu verÂurteilen, pumpten die Multinationalen Konzerne weiterhin Milliarden von Dollars nach China.
Auch wenn die Studentenproteste größtenteils von westliÂchen Vorstellungen von Demokratie beeinflusst waren, drĂĽckten sie die Unzufriedenheit von Millionen Menschen in China ĂĽber die Korruption und die Ungerechtigkeit aus und erhielten eine breite UnterstĂĽtzung von vielen Teilen der Bevölkerung. Und wer die Ereignisse genau beobachtete, dem fiel auf, dass von Teilen der DemonstrantInnen die „Internationale“ gesungen und Mao-Bilder und andere Symbole der Kulturrevolution getragen wurden.
„Ihr habt das Recht zu rebellieren!“
Die Kulturrevolution wird von vielen als eine Zeit voller Chaos betrachtet, doch heute wissen nur wenige Menschen im Westen ĂĽber die Ziele der Kulturrevolution Bescheid. Bei der „GroĂźen Proletarischen Kulturrevolution“ ging es darum, die die revolutionäre Umgestaltung in eine sozialistische Gesellschaft weiter voranzutreiben. Nach der Revolution 1949, durch die das korrupte Koumintang-Regime gestĂĽrzt und die Feudalherren entmachtet wurden, ging es einerseits um die rasche Industrialisierung und die Modernisierung der Landwirtschaft, um die verarmten Volksmassen mit Nahrung und GebrauchsgĂĽtern zu versorgen, andrerseits um den AufÂbau einer sozialistischen Gesellschaft. Mit gewaltigen Anstrengungen wurden Fabriken und Agrarkollektive errichtet und durch die Anwendung neuer Techniken die Produktion gesteigert. China war unabhängig vom Ausland, die Regierung wurde international anerkannt und trotz mancher RĂĽckschläge wurde ein Lebensstandard erreicht, der höher war als jemals zuvor in der Geschichte.
Doch stellte sich in den 1960er Jahren heraus, dass sich eine neue Elite von Parteifunktionären und Intellektuellen gebilÂdet hatte. Einflussreiche Kräfte in der Partei vertraten die Meinung, dass Produktionssteigerung und WirtschaftsÂwachstum die vorrangigen Ziel seien (Teng Xiao-Ping: „Egal ob die Katze schwarz oder weiĂź ist - Hauptsache sie fängt Mäuse“). Diese Einstellung gefährdet aber den Aufbau einer Gesellschaft, in der Gerechtigkeit, Demokratie und Gemeinschaftssinn Vorrang haben mĂĽssen. Dann tat Mao etwas, das noch kein StaatsfĂĽhrer in der Geschichte jemals getan hat: Er rief die Massen dazu auf, sich gegen den Verwaltungsapparat, die Regierung und die Partei, deren Vorsitzender er selbst war, zu erheben. Das politische Bewusstsein der Bevölkerung sollte erweitert, und bĂĽrokratiÂsche, autoritäre, egoistische, zur RouÂtine erstarrte VerhalÂtens- und Denkweisen bekämpft werden:
"In der Grossen Proletarischen Kulturrevolution kann man die Massen nur sich selbst befreien lassen, und die Methode, in allem fĂĽr sie zu hanÂdeln, darf nicht angewendet werden. Vertraut den Massen, stĂĽtzt euch auf sie und respektiert ihre Initiative! Befreit euch vor der Furcht! Habt keine Angst vor Unordnung! (...) Macht den größtmögliÂchen Gebrauch von Dazibaos (Wandzeitungen) und groĂźen Debatten, um die Dinge auszudiskuÂtieren, so dass die Massen die korrekten Ansichten erklären, die irrigen kritisieren und alle feindliÂchen Elemente entlarven können. So werden die Massen imstande sein, im Verlaufe des Kampfes ihr politiÂsches Bewusstsein zu erhöhen, ihre Fähigkeiten und Talente zu fördern, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden …“
(Beschluss des ZK der KP China, 1966)
Chinas Beitritt zur WTO 2001 zog das Land noch tiefer in das Netz der impeÂrialistischen GlobalisieÂrung. Im Namen der Modernisierung wurden Millionen von ArbeiterInÂnen entlassen. Es folgte eine Welle von Protesten der Arbeiter und ArbeitsÂlosen, die ihren Höhepunkt im April 2002 erreichten, wo Zehntausende die Arbeit niederlegten. Heute stellt sich die Frage: Ist die Kulturrevolution gescheiÂtert? Eine revolutionäre Umgestaltung der GesellÂschaft ist kein Abendempfang, hatte Mao gesagt. Ausschreitungen und auch Fehlentwicklungen sind kaum zu verhindern. Trotzdem kann man nicht sagen, dass die Kulturrevolution gescheitert ist. Nein, sie ist von ihren Feinden besiegt worden, von denen, die heute an den Schalthebeln der Macht sitzen. Doch der Aufruf Maos „Ihr habt das Recht zu rebellieren“ lebt weiter im Bewusstsein aller Menschen, fĂĽr die die UnterdrĂĽckung unerträglich geworden ist und die sich nach Befreiung sehnen.
Interview mit Li Minqi: http://www.revcom.us/a/v21/1005-009/1009/tianint.htm Bilder: http://www.revcom.us/i/china/tian1.htm
erschienen in: Talktogether Nr. 9/2004
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