Irak: Machtübergabe oder Neokolonialismus PDF Drucken E-Mail

Machtübergabe im Irak

oder Neokolonialismus des 21. Jahrhunderts?

Seit Monaten wurde die Machtübergabe “an das irakische Volk“ am 30. Juni in den Medien angekündigt und behaup­tet, dass dies einen Schritt zur „Befreiung“ und „Demokra­tie“ darstellen würde. Doch die Wahrheit sieht anders aus. Tatsächlich wird durch dem irakischen Volk keine wirkliche Macht übertragen. Im Gegenteil: Die US-Kontrolle soll damit legitimiert und der Irak militärisch, politisch und wirtschaftlich gemäß den Interessen der USA umgestaltet werden. Wenn auch der US-Zivilverwalter Bremer geht, so werden die 130.000 US-Soldaten und die 20.000 Soldaten ihrer Verbündeten im Irak bleiben. Die neue Regierung hat keine Möglichkeit, sie zu kontrollieren oder ihren Abzug zu verlangen. Den US-Truppen und dem militärischen Personal wird darüber hinaus volle Immunität zugesichert. Sie können weiterhin ungestraft töten, Menschen einsperren und ihren Besitz zerstören. Und das nach dem Folterskandal im Abu Ghraib-Gefängnis!

Wer wird nach der Übergabe die Macht haben?

Vielleicht der korrupte Iyad Allawi, der sein Leben bislang außerhalb des Irak verbracht und – immer innerhalb der Baath Partei – mit den US-Behörden in der Vorbereitung des Coups zusammengearbeitet hat? Wohl eher wird es der erst kürzlich ernannte US-Botschafter John Negroponte sein, der berüchtigt dafür ist, dass er die US-Botschaft in Honduras als Hauptquartier benützte, um Todesschwadro­nen auf die Menschen in Nicaragua, El Salvador und Honduras zu hetzen.

Die Beute ist bereits aufgeteilt

Die Weichen für die Kontrolle der irakischen Wirtschaft sind bereits gestellt. Die staatlichen Unternehmen, vor allem die strategisch wichtigen Öl- und chemischen Industrien, wurden zur Gänze privatisiert und ein 100%er ausländischer Besitz ermöglicht. Das gibt den vor allem britischen und US-Konzernen die uneingeschränkte Möglichkeit, die Profite, die sie im Irak machen, ohne Steuern aus dem Land zu ziehen. Keiner dieser Verträge kann durch die neue iraki­sche Regierung verändert oder rückgängig gemacht werden. „Diese Machtübergabe ist nur eine Show für die internatio­nale Gemeinschaft“, meint ein irakischer Computerverkäu­fer. Und ein Ladenbesitzer fügt hinzu: „Das bringt den Irak zurück in die Lage während der britischen Okkupation, als die irakische Regierung nur eine Marionette war!“

Kann die Bevölkerung der neuen Regierung vertrauen?

Die sog. „Machtübergabe“ zielt vor allem auf die öffent­liche Meinung und ist auch ein Versuch, mehr Geld und Waffen von anderen imperialistischen Ländern wie Frankreich, Deutschland und Russland zu bekommen, die bislang ihre Unterstützung verweigerten und mehr Einfluss auf die Ent­scheidungen fordern. Die neue irakische Regierung wurde buchstäblich von den US-Besatzern erfunden und ihre füh­renden Gestalten wie Schauspieler für eine Rolle engagiert. Die US-Truppen haben jedoch noch immer nicht die volle Kontrolle über die Städte Fallujah und Najaf. Da keine der Kräfte, die von ihnen in die neue Regierung eingesetzt wurde, für die Interessen des irakischen Volkes eintritt, werden auch sie nicht in der Lage sein, die Spannungen zwischen den nationalen und religiösen Gruppen im Irak zu überwinden. Deshalb werden wir wahrscheinlich noch lange in den Nachrichten Meldungen über Bombenanschläge hören.

Die Privatisierung der Kriegsgeschäfte

Nicht nur reguläre Soldaten kämpfen im Irak. Nachdem im April vier angebliche Zivilpersonen in Fallujah getötet worden waren, stellte sich bald heraus, dass diese „Zivilis­ten“ ausgebildete Kommandos waren, die für die private Armee von „Blackwater USA“ gekämpft hatten. Über ihren Einsatz befragt, verweigert Blackwater jedoch jede Aus­kunft. Die offizielle Geschichte lautet, dass diese schwer bewaffneten Söldner den Auftrag hatten, Lebensmittelliefe­rungen zu bewachen. Denn die Genfer Konvention hat den Einsatz von bezahlten Söldnern für illegal erklärt.

Blackwater USA

Ausgebildet werden diese „Glücksritter“ in einem-Trainingscamp in den Sumpfgebieten von North Carolina. „Wir bieten Training und taktische Lösungen für das 21. Jahrhundert. Zu unseren Kunden zählen sowohl Bundes­behörden sowie multinationale Konzerne und befreundete Nationen auf dem ganzen Globus“, ist auf der Website der Blackwater Corporation zu lesen. Söldner kämpften in Libe­ria, Pakistan, Ruanda, Kolumbien und Bosnien, sie bewa­chen den afghanischen Präsidenten Hamid Karzai und errichteten das berüchtigte US-Gefängnislager Guantánamo in Kuba. Und seit Februar werden ehemalige chilenische Kommandos, die zum Teil noch unter dem Regime Pinochets gedient hatten, für den Einsatz im Irak ausgebildet. In einem Imperium, in dem Privatkapital und Profit verehrt werden, verwundert es nicht, wenn immer mehr Teile der globalen Tötungsmaschinerie in die Hände von Konzernen übergeben werden. Und die Geschäfte laufen gut.

erschienen in: Talktogether Nr. 9/2004