Gespräch mit Mohamed Gelle PDF Drucken E-Mail

Gespräch mit Mohamed Gelle

Mitglied des Integrationsrats in Kopenhagen, Dänemark


Talk Together:
Seit wann gibt es in Dänemark einen Integrationsrat?

Gelle: Bereits 1980 haben sich größere Organisationen von ImmigrantInnen zusammengeschlossen. es waren vor allem Organisationen von EinwanderInnen aus der Türkei und Pakistan, die die Koalition INDSAM gründeten. Dann haben sich weitere Organisationen und Personen angeschlossen aus Sri Lanka, Indien, Iran, Irak, Afghanistan und verschiedenen afrikanischen Ländern. Viele Flüchtlinge kamen hinzu, als der Bürgerkrieg in Somalia ausbrach – heute leben an die 16.000 SomalierInnen in Dänemark. Aber nicht nur EinwanderInnen aus asiatischen und afrikanischen Ländern sind im Integrationsrat vertreten, sondern auch ImmigrantInnen aus europäischen Ländern wie etwa aus Italien oder Finnland. Denn es gibt Probleme, die alle Einwanderer gleich betreffen.

Talk Together: Wurdet ihr in eurer Arbeit unterstützt?

Gelle: Solange die Sozialdemokraten an der Regierung waren, wurden wir unterstützt und gefördert. Wir hatten großen Einfluss. Jedes neue Gesetz wurde einer Expertise von uns unterzogen und wir hatten somit Einfluss auf die politischen Entscheidungen. Durch die finanzielle Unterstützung war es möglich, dass MigrantInnen sich hauptberuflich politisch betätigten. EinwanderInnen wurden auch ermutigt, neue Berufsfelder auszuprobieren und Aus- und Weiterbildung wurde unterstützt. Auch bei den Firmen wurde Werbung gemacht, MigrantInnen zu fördern.  

Talk Together: Wie sieht die Situation heute aus? 

Gelle: Seit drei Jahren sind die Konservativen an der Regierung. Sie stoppten alle Subventionen für die MigrantInnenvereine, deshalb mussten viele Zentren geschlossen werden. Auch wurde der Einfluss der EinwanderInnen auf die Gesetzgebung abgeschafft. Wie überall in Europa gibt es auch in Dänemark Feindlichkeit gegenüber ImmigrantInnen. Vor allem gibt es eine ultrarechte Partei, die Vorurteile und Hass schürt. Da die Konservativen auf ihre Stimmen im Parlament angewiesen sind, um Gesetze zu beschließen, haben sie die Macht, die Richtung der Politik zu diktieren. Viele Menschen sind sehr enttäuscht und fühlen sich betrogen. Sie haben das Gefühl, dass ihre ganze Arbeit und ihre Bemühungen umsonst waren. Heute ist ein Einfluss von ImmigrantInnen nur mehr innerhalb der Parteien möglich, dass heißt man muss Mitglied einer Partei werden, um mitbestimmen zu können.

Talk Together: Mit welchen internen Problemen ist eure Organisation konfrontiert?

Gelle: Natürlich gab es auch innerhalb unserer Organisation Probleme. Die Menschen haben verschiedene Meinungen. Manche sind offen für Veränderungen, manche wollen, dass alles so bleibt wie es vor 100 Jahren war. Wir legen z.B. großen Wert auf Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern. Zu großen Differenzen kam es, als wir eine Kampagne gegen die arrangierte Heirat starteten. Manche warfen uns auch vor, wir seien ein Anhängsel der Sozialdemokraten. Diese Leute bekommen Unterstützung von anderen Parteien. So wird auch versucht, die Leute zu manipulieren und gegeneinander auszuspielen.

Talk Together: Wie sah die Kampagne gegen die Zwangsheirat aus? Wie seid ihr vorgegangen?

Gelle: Zuerst wurden vor allem Debatten geführt. Solange es nur bei Diskussionen blieb, gab es noch keine Probleme. Um Bewusstseinsbildung zu erreichen, muss man aber die Öffentlichkeit treten. Als wir jedoch in den Medien kommunizierten, wurden wir heftig attackiert. Einmal wurde sogar unser Büro angegriffen.

Talk Together: Was würdet ihr anders machen, wenn ihr die Chance habt, neu zu beginnen?

Gelle: Sollte wieder eine andere Regierung an die Macht kommen, werden wir vielleicht wieder bessere Bedingungen für unsere Arbeit haben. Doch wir müssen aus unseren Fehlern lernen. Ich denke, wir müssen ganz neu anfangen und auf ganz andere Art und Weise arbeiten. Zum Beispiel sollten wir uns nicht nach Nationalität oder Herkunftsland, sondern nach der politischen Einstellung organisieren. Die Menschen haben ja ganz unterschiedliche Meinungen, auch wenn sie aus demselben Land kommen. 

Talk Together: Danke für das Gespräch!

 


Kontakt:

Mohamed Gelle, Danish Refugee Council
Borgergade 10 - Postbox 53,
1002 Copenhagen
Phone: +45 3373 5000, Fax: +45 3332 8448
e-mail: Diese E-Mail-Adresse ist gegen Spambots geschützt! JavaScript muss aktiviert werden, damit sie angezeigt werden kann.

erschienen in: Talktogether Nr. 9/2004