Gespräch mit Mohamed aus dem Sudan „Die Konflikte werden durch die Politik geschürt. Die Religion wird dabei nur als Vorwand benützt, um die wahren Interessen zu verbergen. Die Verbrechen, die gegenüber dem Volk begangen werden, widersprechen dem Islam und jeder Religion sowie überhaupt aller Menschlichkeit.“ Talk Together: Der Sudan ist wieder einmal in den Schlagzeilen mit Bürgerkrieg und Hungersnot. Was sind die Ursachen der Konflikte? Mohamed: Sudan ist ein multiethnisches Land, in dem Menschen verschiedenster Nationen und Kulturen leben. Im Sudan gibt es nicht nur unterschiedliche Landschaften und Klimazonen, sondern auch an die 150 verschiedene Sprachen und verschiedene Religionen wie Islam, Christentum und afrikanische Religionen. Die Ursache der Konflikte liegt aber nicht in der Vielfalt, sondern darin, dass seit der Unabhängigkeit immer diktatorische Regimes an der Macht waren, die die Unterschiede für ihre eigenen Interessen ausgenutzt haben. Während die internationalen Medien von ethnischen oder Religionskonflikten sprechen, handelt es sich in Wahrheit um politische Probleme. Die Regierung kümmert sich nicht um die armen Menschen, vernachlässigt die unterentwickelten Regionen und die Macht konzentriert sich auf die reichen und gebildeten Eliten des Nordens. Talk Together: Seit wann existiert der Staat Sudan mit den heutigen Grenzen? Mohamed: Die Grenzen des heutigen Staates wurden von den Briten festgelegt. Der Sudan stellt eine Brücke zwischen der arabischen Welt und dem Inneren Afrikas dar und war deshalb für die Briten von großem strategischem Interesse. Außerdem ist der Sudan das flächenmäßig größte Land Afrikas sehr reich an natürlichen Ressourcen. Zuerst war vor allem die Baumwolle im Mittelpunkt des Interesses der Imperialisten, später das Öl. Ohne der in Indien und im Sudan kultivierten Baumwolle wäre die industrielle Entwicklung Englands nicht möglich gewesen. Talk Together: Worin liegen die Wurzeln der heutigen Ungerechtigkeiten? Mohamed: Als die Briten das Land besetzten, teilten sie es in den vorwiegend von arabischsprachiger Bevölkerung bewohnten Norden und in den vorwiegend von Christen bewohnten Süden. Damit begründeten sie den Gegensatz zwischen dem Nord- und dem Südteil des Landes. Im Süden war der Einfluss der Kolonialherrschaft nicht so groß, denn das Land ist unzugänglich. Viele Menschen leben dort noch sehr verbunden mit der Natur. Der Süden des Sudans ist sehr fruchtbar, doch die Menschen fühlen sich benachteiligt und unterdrückt und deshalb kommt es immer wieder zu Konflikten. Verschiedene ausländische Mächte, die an der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen des Sudans interessiert sind, versuchen Einfluss zu nehmen. Unter dem Vorwand Religion werden die Konflikte von außen geschürt, sowohl von westlichen als auch islamistischen Kräften. Solange es im Sudan keine wirklich unabhängige Regierung gibt und nicht alle Teile der Bevölkerung die gleichen Rechte bekommen, wird es keinen Frieden geben. Talk Together: Wie war es im Sudan vor der britischen Kolonialherrschaft? Mohamed: Früher lebten die Völker und Kulturen des Sudans trotz der Unterschiede in Frieden miteinander. Es gab verschiedene Königreiche. Die islamischen Regionen des Nordens standen mit Ägypten unter der Herrschaft des osmanischen Reiches. Talk Together: Seit wann gab es Widerstand gegen die Kolonialherrschaft? Mohamed: Die erste Unabhängigkeitsbewegung war eine religiöse Bewegung. Die „Revolution des Mahdi“ richtete sich gegen die britischen Kolonialisierungsbestrebungen am Ende des 19. Jahrhunderts. Doch schließlich gelang es den Briten, den Sudan zu erobern und das Land war 40 Jahre lang britische Kolonie. Doch obwohl der Sudan seit 1956 unabhängig ist, erlebte die Bevölkerung seitdem weder Frieden noch Freiheit, sondern Unterdrückung, Militärdiktaturen, Putschversuche und Kriege. Im Jahr 1973 gab es einen Arbeiteraufstand, der von General Numeri blutig niedergeschlagen wurde. Alle Oppositionellen und Kommunisten wurden daraufhin verfolgt, verhaftet und viele getötet. Numeri etablierte eine sekuläre Regierung, beteiligte auch Angehörige der südlichen Nationen an der Regierung – wie den späteren Rebellenführer John Gran, den er als General einsetzte – und konnte so eine gewisse Stabilität erreichen. Die Waffenruhe dauerte aber nur solange, bis er1983 die Sharia (islamisches Recht) einführte. 1985 wurde Numeri durch einen Volksaufstand gestürzt und der Sudan erlebte das erste Mal eine demokratische Regierung. Sie dauerte jedoch nur vier Jahre lang und wurde 1989 durch einen Militärputsch, angeführt von Omar Bashir, wieder gestürzt. Talk Together: Was sind die Ursachen des Konflikts in Darfur? Mohamed: Darfur ist ein Gebiet, das größer als Deutschland ist. Hier gibt es Konflikte zwischen den arabisch-sprechenden Nomaden und den Ackerbauern. In Darfur hat sich eine Opposition gegen die Regierung gebildet. Die Miliz, die auf die Menschen in Darfur gehetzt wurde, wird von der Regierung unterstützt, um die Oppositionellen zu unterdrücken und die Region zu kontrollieren. Talk Together: Warum bist du aus dem Sudan geflüchtet? Mohamed: Ich bin gar nicht im Sudan aufgewachsen. Meine Eltern arbeiteten in Saudi Arabien, wo ich aufwuchs. Ich selbst war nie im Sudan politisch tätig, doch mein Vater hatte das Land aus politischen Gründen verlassen. Er wurde von der saudiarabischen Regierung ausgeliefert und in den Sudan abgeschoben, wo er verhaftet wurde. Ich habe seitdem nichts mehr von ihm gehört und weiß bis heute nicht, was mit meinem Vater passiert ist. Ich studierte zu dieser Zeit in Kuwait. All meine Papiere wurden konfisziert und auch ich wurde in den Sudan geschickt. Drei Jahre hielt ich mich versteckt und traute mich nicht auf die Straße – ohne Papiere hätte ich jederzeit verhaftet werden können. Da ich in meinem Land keine Aussicht auf ein Leben in Freiheit hatte, entschloss ich mich zur Flucht. Im Sudan habe ich zwar keine materielle Not gelitten, aber ich hatte keine Freiheit. Ohne Freiheit kannst du nicht leben, selbst wenn es im Paradies wäre. Talk Together: Wie ist die Situation der sudanesischen Flüchtlinge in Österreich? Mohamed: In Salzburg leben vielleicht zehn Sudanesen, in Wien vielleicht 120. Die Leute haben untereinander eine gute Beziehung, egal welcher Nationalität oder Religion sie angehören. Ein paar von ihnen haben Asyl bekommen, andere bekamen einen negativen Bescheid, die meisten warten noch. Ich wünschte, dass die österreichischen Behörden anerkennen, dass die Leute im Sudan wirkliche Probleme hatten. Viele Flüchtlinge leiden darunter, dass sie nicht arbeiten dürfen. Das hat negative psychologische Auswirkungen auf die Leute. Ein anderes Problem sind ungeeignete Dolmetscher, die bei der Asylbehörde oft falsch übersetzen. Talk Together: Wie sehen deine Perspektiven aus? Mohamed: Meine Situation hier ist zwar besser als in meiner Heimat, weil ich in Sicherheit bin. Ich habe eine Wohnung und bekomme Unterstützung, allerdings habe ich kein Recht zu arbeiten und keine Möglichkeit, mich weiter zu entwickeln. Wenn du immer auf Unterstützung angewiesen bist, fühlst du dich, als ob du behindert wärst. Ich brauche aber keine Hilfe, ich kann aus eigener Kraft leben und könnte auch anderen helfen. Das wird mir verwehrt. Talk Together: Wie könnte eine friedliche Zukunft im Sudan aussehen? Mohamed: Eine friedliche Zukunft ist nur möglich, wenn alle Teile der Bevölkerung die gleichen Rechte bekommen. Ich sehe eine föderale Regierung, die den verschiedenen Regionen eine eigenständige Entwicklung ermöglicht, als Lösung an. Hunger dürfte es in einem so reichen Land wie dem Sudan nicht geben, denn es gibt genug für alle. Das Problem ist nicht, dass das Land arm wäre, sondern der Missbrauch der Macht brachte Krieg, Armut und Hunger über das Land. Die Elite arbeitet für die Interessen der Imperialisten und steckt das Geld in die eigene Tasche. Das Volk bekommt nichts vom Ertrag des Reichtums seines Landes. Ich unterstütze aber auch die Internationale Politik nicht. Embargos bringen der Bevölkerung nichts. Es sind wieder die Armen, die darunter leiden und den Reichen wird nichts abgehen. Jeden Tag wird in den Medien zu Spenden für die hungernden Menschen in Darfur aufgerufen. Andrerseits wird dem Sudan von den USA ein Embargo auferlegt, das verbietet, Baumwolle zu exportieren. Heute redet Colin Powell von Völkermord in Darfur. In Ruanda wehrte sich die USA aber dagegen, von Völkermord zu sprechen. War der Grund, dass es dort kein Öl gibt? Die Leute im Sudan sind im Grunde sehr friedlich und haben keine Probleme miteinander. Die Konflikte werden durch die Politik geschürt. Die Religion wird dabei nur als Vorwand benützt, um die wahren Interessen zu verbergen. Die Verbrechen, die gegenüber dem Volk begangen werden, widersprechen dem Islam und jeder Religion sowie überhaupt aller Menschlichkeit. erschienen in: Talktogether Nr. 10/2004
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