Regina Hopfgartner über die jiddische Kultur PDF Drucken E-Mail

Lernt mit grojss chejschek

Ojfn pripetschik

Ojfn pripetschik brent a fajerl un in schtub iss hejss,
un der Rebe lernt klejne kinderlech dem alef-bejss.
Sogt-sche, kinderlech, gedenkt-sche tajere, wos ir lernt do.
Sogt-sche noch amol un take noch amol: komez-alef-o.Lernt, kinder, mit grojss chejschek, wi ich sog ajch on.
Wer ess wet gicher fun ajch kenen ivre, der bakumt a fon!
Sogt-sche, kinderlech...Lernt, kinder hot nit mojre, jeder onhejb is schwer,
gliklech is, der woss hot gelernt tojre. Zi darf der mentsch noch mer?
Sogt-sche, kinderlech...Ir wet, kinder, elter wern, wet ir alejn farschtejn,
wifil in di ojssiess lign trern un wifil gewejn.
Sogt-sche, kinderlech...As ir wet kinder, dem goluss schlepn, oissgemutschet sajn,
Solt ir fun di ojssiess trejst schepn, kukt in sej arajn!
Sogt-sche, kinderlech..."

In dem Ofen

In dem Ofen brennt ein Feuer und in der Stube ist es heiß,
und der Rabbi lehrt die kleinen Kinderlein das Alphabet.
Sagt also, Kinder, haltet es teuer, was ihr hier lernt.
Sagt also noch einmal und dann noch einmal: das Alphabet!Lernt, Kinder, mit großer Begeisterung, was ich euch ansage,
wer von euch am schnellsten Hebräisch lernt, der bekommt eine Fahne!
Sagt also, Kinder...Lernt, Kinder, habt keine Angst, jeder Anfang ist schwer,
Glücklich ist, wer die Tora gelernt hat. Was braucht der Mensch noch mehr?
Sagt also, Kinder...Ihr werdet älter werden, Kinder, dann werdet ihr von allein verstehen,
wie viele Tränen und wie viel Weinen in den Buchstaben liegen!
Sagt also, Kinder...Wenn ihr, Kinder, einmal das Los der Verbannung schleppen werdet, geplagt sein werdet, dann sollt ihr aus diesen Buchstaben Trost schöpfen, schaut in sie hinein! Sagt also, Kinder... 

Lernt mit großer Begeisterung ist ein Vers des bekannten jiddischen Liedes „Ojfn pripetschik“. Vor allem die Freude am Lernen und am Denken sind es, die Regina Hopfgartners Faszination an der jüdischen Kultur ausmachen. Die Gesangspädagogin hat sich intensiv mit der Geschichte der Juden in Europa auseinandergesetzt, weil sie in der jüdischen Kultur die Wurzeln unserer europäischen Kultur und Denkweise sieht. Bei ihrer Recherche ist sie dann auf die „jiddi­schen“ Lieder gestoßen, die Volkslieder der osteuropäischen Juden. Fasziniert von der Vielfalt der Melodien und der Intel­lektualität der Texte, hat sie dann begonnen, diese Lieder genauer zu erforschen. Sogar einen Hebräisch-Kurs hat sie gemacht, um die Texte besser verstehen zu können und nicht auf Übersetzungen angewiesen zu sein. „Die sind oft ungenau, manchmal geglättet und treffen dadurch nicht immer den Gehalt eines Wortes. ‚Lernt mit grojss chejschek’ etwa wird übersetzt mit ‚Lernt mit großem Fleiss’. In unserer leistungsorientierten Gesellschaft könnte das nur einseitig interpretiert werden. Das Wesentliche, die Freude am Lernen - ‚chejschek’ bedeutet auch Lust! -, geht hier verloren“.

In ihrem Partner Peter Schwarzbauer, der sie auf der Gitarre begleitet, hat sie den idealen Partner gefunden, um die Lieder vorzutragen. „Unser Duo ist noch sehr jung, aber Peter hat sofort ein Gefühl für diese Musik gehabt!“, erzählt sie uns. Die Lieder, handeln von den Dingen, mit denen die Men­schen täglich konfrontiert waren: von Arbeit, Liebe, Armut, Religion und Migration. Denn die Geschichte des jüdischen Volkes ist von Vertreibung geprägt. Trotzdem drücken sie Temperament und Lebensfreude aus. Da die Menschen keine materielle Heimat hatten, fanden sie ihre Heimat in ihrer Kultur. Vor allem in der Religion, in der religiösen Schrift und Sprache, sahen die Menschen ihre Wurzeln. Die „jiddische“ Sprache war eine Umgangs­sprache, die ursprünglich aus dem Mittelhochdeutschen stammt und hebräische und slawische Elemente integriert hat.

Regina hat sich eingehend mit der Geschichte der Juden in Europa beschäftigt und beginnt zu erzählen: Nach der christlichen Reconquista im Jahr 1492 wurden die Juden aus Spanien ver­trieben. Nachdem sie 70 n.Ch. von den Römer aus Palästina vertrieben worden waren, hatten sie gemeinsam mit den Ara­bern auf der iberischen Halbinsel gelebt. Das Zusammentreffen dieser beiden Kulturen bewirkte eine kulturelle Hochblüte in Spanien. Doch gejagt durch die Inquisition, waren sie nun wieder gezwungen, zu fliehen. Juden, die in Nord­deutsch­land, Nordfrankreich und Holland lebten, waren mit Ausgrenzung und Vertreibung mehr oder weniger immer und überall konfrontiert. Vor allem durch die Kirche, die keine andere Religion duldete. Es wurden Eheverbote eingeführt und Gesetze, die Juden den Grundbesitz verboten. Viele wanderten dann nach Osteuropa weiter. Doch von überall nahmen sie Einflüsse auf, die sich in ihrer Musik wiederspiegeln.

Während sich die jüdische Bevölkerung in Westeuropa jedoch zur Zeit der „Aufklärung“ an die europäische Kultur anpasste, blieben die Juden im noch feudal geprägten Osteuropa meist isoliert. Sie sprachen ihre eigene Sprache, nämlich „jiddisch“. Es war ihnen teilweise verboten, sich in den Städten anzusiedeln, deshalb bildeten sich eigene Viertel am Stadtrand, so genannte „Schtetl“ in denen die Juden lebten. Manche zogen aber auch freiwillig ins „Schtetl“, um ihre Kultur zu leben und zu bewahren. In Osteuropa gab es im Wesent­lichen nur zwei Bevölkerungs­klassen, den Adel und die Bauern. Die meisten Juden in Osteuropa waren auch sehr arm. Aber in Polen füllten die Juden diese Lücke und bildeten dort ein Bildungsbürgertum. Ihre Bildung und ihr Wissen, riefen sie oft den Neid der Bevölke­rung hervor. So kam es in Osteuropa immer wieder zu Pogromen. Das erste Mal beim Kosakenaufstand, der ein Aufstand gegen die feudalen Grundbesitzer war. Da viele Juden als Berater im Dienste der Grundbesitzer standen und zudem leichter zu fassen waren als diese, wurden sie zu Opfern der grausamen Rache an den „Ausbeutern“.

„Was mich an der jüdischen Kultur fasziniert, ist, dass die Probleme kritisch hinterfragt werden können. Das steht im krassen Gegensatz zum Dogmatismus des Katholizismus. Selbst in einfachen Liebesliedern werden philosophische Fra­gen erörtert. Und natürlich fällt die musikalische Vielfäl­tigkeit der Einflüsse auf, die in der Musik integriert sind“. Die Melodien sind stark von der osteuropäischen Musik geprägt, es finden sich aber immer orientalische Ele­mente. die von den Tora-Weisen kommen, die im Gottesdienst gesungen werden. In Osteuropa entstand auch die Bewegung der Chassi­den. Das ist eine mystische Bewegung des Judentums, in der versucht wird,  Gott in der Natur und in der Musik näher zu kommen. Die Rabbis tanzten mit ihren Anhängern bis zur Ekstase. Leute kamen von weit her, um Heilung und Trost zu finden. Das schuf allerdings auch den Boden für Aber- und Wunderglauben (übrigens Anlass zu köstlichen Parodielie­dern). Hier sind die Ursprünge der „Klezmer“-Musik zu finden. „Ich finde auch, dass die jiddische Sprache vom Klang her, dem (ost-)österreichischen Dialekt sehr ähnlich ist. Deshalb fällt es mir nicht schwer, mich hineinzudenken“.

Die jüdische Geschichte Salzburgs

803    erste Ansiedlungen von Juden
1123   Beginn einer stärkeren Niederlassung unter Erzbischof Konrad I, der sich der Juden als Finanziers und Ratgeber bediente
1267   Im XXII Salzburger Provinizialkonzil wurden zahlreiche Verordnungen gegen Juden erlassen, u.a. wurde den Juden das Tragen des gehörnten Hutes befohlen, Eheverbote mit ChristInnen auferlegt und Christen die Teilnahme an jüdischen Feiern verboten
1349   Nachdem die Juden beschuldigt worden waren, durch Vergiften der Brunnen den „Schwarzen Tod“ (Pest) hervorgerufen zu haben, kommt es zur ersten Judenverfolgung, bei der mehr als 1200 getötet wurden.
1352   sorgt Erzbischof Ortolph für die Rückkehr der vertriebenen Juden
1365   kommt es unter Erzbischof Pilgrim II durch dessen großzügige Handelspolitik zu einem stärkeren Sesshaftwerden von Juden, erste Schulen und eine Synagoge werden gegründet, Juden werden zum Kriegsdienst herangezogen
1404   Unter der Beschuldigung, Kirchengüter geschändet zu haben, werden sämtliche in Salzburg und Hallein lebenden Juden gefangen genommen, gefoltert und auf dem Scheiterhaufen verbrannt, ausgenommen wurden nur Kinder, schwangere Frauen und ein sehr reicher Freund des Erzbischofs
1418   lebten schon wieder Juden in Salzburg, im Provinizialkonzil werden die Kleidergebote erneuert und auch auf Frauen ausgeweitet. Diese mussten ein Glöckchen tragen
1429   Erzbischof Johann II fördert die Niederlassung von Juden offen, ihnen wird erstmals erlaubt, Haus- und Grundbesitz zu erwerben
1498   Die Juden wurden beschuldigt, aus dem Stift Nonnberg eine goldene Monstranz gestohlen zu haben. Erzbischof Leonhard von Keutschach verfügt „die Verbannung der Juden aus dem Erzstift Salzburg für immer und ewige Zeiten“. Am Salzburger Rathaus wird eine Tafel angebracht, die ein Mutterschwein darstellt, das jüdische Kinder säugt. Die Tafel, im Volksmund „Judensau“ genannt, wird erst 1785 entfernt
1792   Nach zwei Jahrhunderten der Fernhaltung erhalten die Juden die Erlaubnis, sich frei in der Residenzstadt bewegen zu dürfen
1867   Das österreichische Staatsgesetz hebt alle bisher bestehenden Beschränkungen auf
1872   erhält Alfred Pollack als erster Jude das Bürgerrecht in Salzburg
1888   Als Widerstand gegen die aufkommende antisemitische Strömung, veröffentlicht der Salzburger Professor Dr. Schöpf eine Schrift, die den Antisemitismus als verwerflich verdammt
1929   Die Weltwirtschaftskrise führt zu einem neuerlichen Anwachsen antisemitischer Strömungen
1933   Die Nationalsozialisten ergreifen im benachbarten Deutschland die Macht
1938   Die Annexion Österreichs durch das Hitlerreich führt zur Verhaftung, Deportation und zur Ermordung zahlreicher Juden
1945   Nach der Befreiung aus den Konzentrationslagern, entstehen in Stadt und Land Salzburg mehrere Siedlungen von jüdischen „displaces persons“, die von hier aus ihr aus ihre Reise nach Israel organisierten

erschienen in: Talktogether Nr. 10/2004