Gespräch mit Mita aus Frankreich PDF Drucken E-Mail

Gespräch mit Mita aus Frankreich

„Die französischen Mentalität und die indischen 'Sehnsucht',
von beiden habe ich etwas in mir“

Talk Together: Seit wann lebst du in Salzburg?

Mita: Ich bin erst seit vier Monaten hier.

Talk Together: Aber du sprichst perfekt Deutsch!

Mita: Ich habe in Frankreich Germanistik studiert.

Talk Together: Wie ist deine Muttersprache und verwendest du sie?

Mita: Meine Eltern stammen Kalkutta, von ihnen habe ich Bengali gelernt. Geboren und zur Schule gegangen bin ich aber  in Frankreich, deshalb bin ich zweisprachig aufgewachsen.

Talk Together: Hast du regelmäßig Kontakt zur Heimat deiner Eltern?

Mita: Ja, ich fliege jedes zweite Jahr nach Indien, um meine Verwandten zu besuchen.

Talk Together: Wie empfindest du die kulturellen Unterschiede?

Mita: Als Kind war es für mich immer sehr langweilig in Indien. Es war so heiß und bei meinen Verwandten bekamen wir immer so viel zu essen. Ich beneidete meine Freunde, die ihren Urlaub am Strand verbringen durften. Auch heute noch kann ich mich an Manches nicht gewöhnen.

Talk Together: Was stört dich in Indien?

Mita: Die meisten Leute in Indien, die es sich leisten können, haben Dienstboten, das die sehr billig sind. Mich hat es immer sehr gestört, wenn ich irgenswo gemütlich saß und neben mir eine Frau mit bloßen Händen den Boden putzte. Ich verstehe zwar, dass die Leute froh sind, überhaupt etwas verdienen zu können, aber es ist für mich schmerzhaft zu sehen, dass die Dienstboten in Indien nicht beachtet und respektiert werden.

Talk Together: Wie war deine Jugend in Frankreich?

Mita: Ich wuchs in St. Etienne, einer kleinen Stadt auf. Wir waren die einzige indische Familie dort, deswegen haben meine Geschwister und ich uns sehr schnell an die französische Kultur angepasst. In den großen Städten wie Paris ist es anders, dort gibt es große indische Gemeinschaften und die Leute bleiben meist unter sich und führen ihre indischen Traditionen weiter. Das bedeutet aber auch einen großen Druck, denn man steht ständig unter Beobachtung. Wenn ein Mädchen sich in einen Mann verliebt, der nicht zur Gemeinschaft gehört, gibt es einen Skandal und alle reden schlecht über sie.

Talk Together: Du bist jetzt mit einem Afrikaner, Gerard aus Togo, befreundet. Wissen deine Eltern davon und was sagen sie dazu?

Mita: Meine Eltern sind zum Glück sehr liberal und haben nichts dagegen, dass ich mit Gerard befreundet bin. Aber meine Verwandten in Indien haben ein großes Problem damit, viele wissen es gar nicht. Sie denken, eine Hochzeit in Indien wäre für uns unmöglich.

Talk Together: Was stört sie an der Beziehung mit deinem Freund?

Mita: Sie sagen, es wären die kulturellen Unterschiede wie unterschiedliche Ansichten über Kindererziehung, andere Ideen und Werte, eine andere Religion ... Mein Freund ist katholisch, wäre er Moslem, wäre es noch schlimmer. Sie sprechen nicht aus, dass es sie stört, dass er Afrikaner ist, aber ich denke, dass das ein Hauptproblem für sie ist. Manche Leute haben sogar Vorbehalte gegenüber Menschen aus Südindien. Als meine Kusine sich in einen Mann aus Tamil Nadu verliebte, war ihre Familie anfangs etwas skeptisch, obwohl er dieselbe Religion hat und aus der selben Kaste stammt. Heute sind sie aber glücklich verheiratet und alle Probleme haben sich aufgelöst.

Talk Together: Wie sehen die Konflikten zwischen den Religionsgruppen aus?

Mita: Nur eine Minderheit ist extremistisch. Wenn der Nachbar ein Moslem ist, haben die meisten kein Problem mit ihm, aber wenn ihre Tochter seinen Sohn heiraten will, haben sie Angst. Vorurteile gibt es natürlich auf beiden Seiten, aber jede behauptet, die andere Seite hätte die größeren Vorurteile.

Talk Together: Warum? Wovor haben sie Angst?

Mita: Sie haben Angst, die Anderen könnten ihre Kultur und ihren Glauben zerstören. Ich finde, der Glaube sollte den Menschen helfen, die Religionen aber teilen die Menschen in Gruppen. Würden die Menschen mehr an Gott denken als an die Religion, hätten sie weniger Probleme, den anderen zu akzeptieren. Jede Gruppe denkt, nur ihre Religion wäre der einzig richtige Weg.

Talk Together: Welche Rolle spielt die Religion in deiner Beziehung mit Gerard?

Mita: Gerard ist sehr gläubig und manchmal habe ich Schwierigkeiten zu akzeptieren, dass Jesus für ihn eine so große Rolle spielt. Für mich präsentiert sich das Christentum eine Religion des Leidens, Sünde spielt eine große Rolle. Ich bin in einer ganz anderen Kultur aufgewachsen. Der Hinduismus ist sehr bunt, die Götter sehen lustig aus und strahlen Lebensfreude aus. Doch sicher sind diese Probleme nicht unüberwindbar.

Talk Together: Was denken Gerards Eltern über eure Beziehung? Hast du sie kennengelernt?

Mita: Ja, ich traf Gerards Mutter in Paris. Gerards Eltern haben überhaupt kein Problem mit unserer Beziehung und haben mich sofort akzeptiert.

Talk Together: Hattest du auch hier in Österreich Probleme?

Mita: Einmal war ich zu einer "Divali"-Feier, (Divali ist ein hinduistisches Fest) eingeladen, dass die indische Gemeinde hier in Salzburg organisiert hat. Als ich mit meinem Freund dort vor der Türe stand, kam ein Mann zu mir der sagte: "Ihr seid nicht eingeladen, das ist eine Privatparty". Als ich sagte, dass ich mit einer Freundin hier verabredete sei, sagte er: "Verstehst du, man muss unsere Kultur schützen, die Feier ist nur für indische Leute" und ließ uns nicht eintreten. Das stimmte aber gar nicht, denn einige österreichische Leute waren anwesend. Gerard blieb ganz ruhig aber ich war wütend und dachte: "Wie können sich diese Leute nur beklagen, dass sie hier in Österreich unter Rassismus leiden!" In afrikanischen Gemeinschaften in Paris dagegen hatte ich nie ein Problem.

Talk Together: Hattest du in Frankreich Probleme mit Rassismus? Wie ist die Situation dort?

Mita: Als Kind wurde ich manchmal ausgespottet. Im Kindergarten sagten sie zu uns: "Ihr habt den Kopf in den Backofen gesteckt". Ich habe es aber nicht so schlimm empfunden, denn Kinder sind ja oft gemein zueinander. Mein Bruder hat heute mehr Probleme, weil er für einen Araber gehalten und deshalb häufig von der Polizei kontrolliert wird. In Frankreich gibt es natürlich auch Rassismus aber er ist versteckter als hier in Österreich. Dass in einem Zeitungsinserat für eine Mietwohnung steht "nur für Inländer" wäre in Frankreich nicht möglich.

Talk Together: Mit wem würden sie Probleme bekommen?

Mita: Es gibt viele Organisationen, die Gesetze gegen offenen Rassismus durchgesetzt haben. Da es Einwanderung in Frankreich schon viel länger gibt als in Österreich, sind die MigrantInnen dort besser organisiert. Aber trotzdem lebt der Rassismus versteckt weiter. Vor kurzem hat mich bei einer Veranstaltung eine Französin angesprochen: "Sie sprechen aber perfekt französisch, wo haben sie das gelernt?". Ich erwiderte: "Aber ich bin ja doch Französin". Ich wiederholte das mehrmals, aber sie wollte einfach nicht akzeptieren, dass ich Französin bin.

Talk Together: Hattest du jemals das Gefühl von Heimatlosigkeit?

Mita: Nein, niemals. Ich bin in Frankreich aufgewachsen und zur Schule gegangen und fühle mich als Teil der französischen Gesellschaft. Heute haben sich die Grenzen geöffnet und man trifft überall unterschiedliche Menschen. Meine Mutter dagegen leidet sehr darunter, dass sie die französische Mentalität bis heute nicht versteht. Obwohl sie gut französisch spricht, fühlt sie sich überhaupt nicht in die Gesellschaft integriert. Der Grund, dass sie sich mit Frankreich nie verbunden fühlen wird, ist meiner Meinung, dass sie unfreiwillig in dieses Land gekommen ist. Die Ehe mit meinem Vater war arrangiert und sie ist ihm nach Frankreich gefolgt. Sie war ihr Leben lang Hausfrau und hat sich für uns Kindern aufgeopfert. Mein Vater hat immer viel gearbeitet und war selten zu Hause. Sie fühlt sich fremd in Frankreich, spürt gleichzeitig aber auch, dass sie sich von ihren indischen Wurzeln entfremdet hat. Das macht sie oft sehr traurig und sie fühlt sich heimatlos. Mein Vater hat dieses Problem nie gehabt, denn er ist erfolgreich in seinem Beruf und in der Gesellschaft anerkannt.

Talk Together: Wie ist die Rolle der Frau in Indien?

Mita: Die indische Frau spielt eine große Rolle in der Familie und bei der Kindererziehung, das wird im Westen kaum anerkannt. Die Väter kümmern sich eher wenig um die Kinder. In einer traditionellen indischen Familie redet der Mann redet mit seiner Ehefrau im Befehlston fast wie mit einer Dienerin. Meine Mutter hat sehr gelitten, weil sie sich von der Familie meines Vaters unterdrückt fühlte.

Talk Together: Wo siehst du die Unterschiede in der westlichen und der indischen Mentalität?

Mita: Ich habe den Eindruck, dass die indischen Leute Schwierigkeiten leichter akzeptieren und sich an viele Situationen anpassen können, während Europäer schneller aufgeben oder depressiv werden. Mein Vater arbeitete oft sehr lange ohne sich zu beklagen. Meine Mutter hat es akzeptiert, obwohl sie darunter gelitten hat. Sie hat oft gesagt, eine Europäerin hätte ihn deswegen schon längst verlassen. Die Inder haben auch eine sehr enge Verbindung zur Familie und sind sehr sparsam. Auch ich überlege sehr lange, bis ich mich entscheide, etwas Neues zu kaufen. Hier in Europa dagegen sind viele Menschen hoch verschuldet, weil sie mehr kaufen, als sie sich leisten können.

 Talk Together: Fühlst du dich eher als Französin oder eher als Inderin?

Mita: Wenn ich in Frankreich bin, sehe ich mich als Inderin, wenn ich in Indien bin, sehe ich mich als Französin. Hier in Österreich spüre ich, dass ich von beiden Kulturen etwas in mir habe: die französische Mentalität und die indische Sehnsucht.

erschienen in: Talktogether Nr. 11/2005