Oberwart 10 Jahre nach dem Attentat PDF Drucken E-Mail

10 Jahre nach dem Attentat in Oberwart


Wenn man zur kleinen Roma-Siedlung in Unterwart kommt, springt der Unterschied zwischen den kleinen Häuschen und dem übri­gen Ort sofort ins Auge. Nicht gleich treffen wir jemanden, der bereit ist, mit uns zu reden. Doch dann begegnen wir dem Tischler und Restaurateur Anton, der uns in seine Werkstatt zu einem Gespräch einlädt.

Grausame Verfolgung

Anton beginnt sogleich zu erzählen. Dass es im Burgenland vor dem Krieg sehr viele Roma-Gemeinden gegeben hatte, fast in jedem zweiten Ort gab es Siedlungen mit 200 biss 400 Mitgliedern. Und dass nur sehr wenige von ihnen die Nazi-Verfolgung überlebt haben. Antons Mutter war 1939 geflo­hen und hat sich den ganzen Krieg über versteckt gehalten. Anton ist 1942, mitten im 2. Weltkrieg geboren. Kriegskin­der wie ihn gibt es aber unter den Roma fast keine, weil die Nazis alle Babys und Kleinkinder sofort töteten. Diejenigen, denen es gelungen war, rechtzeitig unterzutauchen, flüchte­ten nach Ungarn oder versteckten sich in den Wäldern. In den Ort Goberling, aus dem Anton ursprünglich stammt, sind nur drei Roma nach dem Krieg zurückgekehrt, hier in Un­terwart, wo früher 400 gelebt hatten, waren es dreizehn. Diese waren aber von den Nazis enteignet worden und fan­den ihre Häuser von anderen Menschen bewohnt vor. In vie­len Fällen mussten sie ihre Häuser von den Bauern wieder zurückkaufen. Den Überlebenden des burgenländischen La­gers Lackenbach, die in ihre Heimatdörfer zurückkehrten, wurde nach dem Krieg sogar die Anerkennung als KZ-Opfer verweigert.

Anton ist nach dem Krieg in Goberling in die Volksschule gekommen. Leicht war es nicht für ihn, denn seine Mutter konnte - wie die meisten Roma damals - kaum lesen und schreiben. Denn vor dem Krieg war den meisten Roma-Kindern ein Schulbesucht verwehrt. Es gab nur wenige Ausnahmen wie die Roma-Schule in Stegersbach. Der Vater ist nach dem Krieg nicht mehr zurückgekehrt. Was mit ihm passiert ist, weiß Anton nicht. Aber es gab einen Lehrer, der sich nachmittags um die Kinder gekümmert hat und ihnen beim Lernen half. Es gab auch zwei Roma Mädchen im Ort, die nicht zur Schule gehen wollten. Heute bereuen sie es, erzählt Anton weiter.

"Me som jek Rom andro Burgenland" - Ich bin ein Rom aus dem Burgenland

Nach Unterwart ist Anton durch die Heirat mit seiner Frau gekommen. Sie hatten nur 60 Schilling damals, trotzdem begannen sie ein Haus zu bauen. Fast alles haben sie mit den eigenen Händen aufgebaut. Leider verfallen die meisten anderen Häuser hier in der Siedlung, weil viele nicht mehr hier leben wollen und lieber in die Stadt ziehen, wo sie nicht als Roma erkannt werden. Anton findet es sehr schade, dass die Leute ihre Herkunft verleugnen. Er selbst ist stolz darauf ein Rom zu sein und hat mit seinen Kindern auch immer Roman gesprochen. Er hätte sich auch nicht vorstellen kön­nen, eine Nicht-Romni zu heiraten. Aus Angst, dass sie ihn vielleicht einmal als Zigeuner beschimpft hätte. "Wenn das ein Mensch zu mir sagt, den ich gern habe, würde mir das zu sehr wehtun, mein Vertrauen wäre für immer zerstört!" Die Herkunft des Wortes "Zigeuner" erklärt Anton, dass so die Roma, die mit ihren Wagen von Dorf zu Dorf gezogen sind, von den Bauern bezeichnet worden seien, dass es "ziehende Gauner" bedeute und deshalb natürlich als grobe Beleidi­gung aufgefasst werde. "Sicher haben die Roma manchmal gestohlen, weil sie Hunger hatten. Da die Bauern aber auch sehr arm waren, haben sie sich natürlich darüber nicht gefreut!"

KZ-Überlebende gibt es heute nur mehr sehr wenige, einer davon, Karl Stojka, den Anton bei der Präsentation des Buches "Wir schreiben" kennengelernt hat, ist 2003 gestor­ben. In diesem Buch sind Texte in Roman, der Sprach der Roma, veröffentlicht worden. Auch Anton schreibt Texte in Roman und es ist wichtig für ihn, dass seine Sprache eine Schrift bekommen hat, wenn er auch mit der Orthographie nicht ganz einverstanden ist. So kann sich die Sprache wei­terentwickeln und ist vor dem Aussterben geschützt. Denn viele junge Roma heute haben ihre Sprache vergessen. Frü­her verboten manche Eltern ihren Kindern sogar, Roman zu sprechen, um nicht erkannt zu werden. Vor der Veröffentli­chung des Buches hat es große Diskussionen gegeben, ob man diese Sprache überhaupt den "Gadscha" preisgeben soll. Als "Gadscha" werden die Nicht-Roma bezeichnet. Auf unsere Frage, ob denn auch ein Afrikaner als "Gadscha" bezeichnet wird, erwidert Anton: "Nein, zu einem Afrikaner würden wir das niemals sagen!"

Geschichte der Migration

Die Roma aus dem Burgenland können sich in ihrer Sprache mit Roma aus anderen Teilen Europas - etwa aus Jugoslawien - ohne Probleme verständigen. Durch den Einfluss der Region, in sie leben, sind zwar viele Wörter dazugekommen, die grundlegenden Begriffe aber - etwa die Namen der Körperteile - sind unverändert geblieben. Auch die Ähnlichkeit mit den Sprachen Nordindiens ist verblüf­fend. Einmal hat eine pakistanische Familie in der Nähe gewohnt, deren kleine Tochter, die anfangs überhaupt kein Deutsch sprach, oft zur Familie auf Besuch kam. Dieses Kind hat ihre Sprache verstanden, weshalb Anton überzeugt ist, dass die Roma aus der Gegend des heutigen Pakistan stam­men. Aufgrund der sprachlichen Einflüsse wurde die Theorie entwickelt, dass die Roma von dort über Südrussland ins Burgenland gewandert sind, während die Roma auf dem Balkan über die Türkei gekommen sind. Wir sind erstaunt zu erfahren, dass Anton die Sprache der Sinti aber nicht versteht. In Wien leben ein paar Sinti, die aus Ungarn stammen, erzählt Anton. Mit ihnen kann er sich nur auf Deutsch unterhalten. Die Sinti sind über einen anderen Weg nach Europa gekommen, über Nordafrika und Spanien. Sie seien traditionsverbundener und blieben lieber unter sich, Ehen zwischen Sinti und Nicht-Sinti gebe es selten, meint Anton, die Roma dagegen seien offener gegenüber anderen Kulturen.

Neues Selbstbewusstsein

Nach Jahrhunderten der Verfolgung und Ausgrenzung begannen die Roma sich zu organisieren und um ihre Rechte zu kämpfen. Im Jahr 1989 wurde in Oberwart der erste Roma-Verein in gegründet. Es hatte viele Vorfälle von Dis­kriminierung gege­ben, jungen Roma wurde beispielsweise der Zutritt zur Disko verweigert. Die Roma waren aber nun gebildeter und selbst­bewusster als früher und sagten: "Wir brauchen uns das nicht mehr gefallen zu lassen!" Deshalb wurde der Verein gegrün­det, auch Antons Sohn war daran beteiligt. Der Verein orga­nisiert auch kulturelle Veranstal­tungen wie den jährlichen Roma-Ball. Anton findet es aller­dings schade, dass dort hauptsächlich Kapellen vom Balkan spielen, während die burgenländische Tradition der Roma-Musik vernachlässigt wird. Musik hat für die Roma seit jeher eine wichtige Rolle gespielt, auch Anton spielt Klarinette. Leider haben die Jugendlichen heute wenig Zeit zum Üben und diese Tradition gerät in Vergessenheit, bedauert er.

Viele offene Fragen

Über das Bombenattentat am 4. Februar 1995, bei dem vier junge Männer den Tod fanden, erzählt Anton, dass ein Taub­stummer die Toten gefunden hatte. Der Bruder eilte zum Tatort und fand die teils völlig zerfetzten Leichen und ein Schild, auf dem stand "Roma zurück nach Indien!" Die Gen­darmerie hatte versucht, dieses Schild verschwinden zu las­sen, was aber nicht gelang, da es ein Reporter bereits gesehen hatte. Bis heute wurde die Bevölkerung nicht darüber infor­miert, was bei den Ermittlungen herausgekommen ist. Dass Franz Fuchs der allein Schuldige gewesen sein soll, will aber niemand glauben. Dazu gibt es zu viele unbeantwortete Fra­gen, etwa, wie es Franz Fuchs gelungen sei, sich ohne Hände in seiner Zelle aufzuhängen. Es gibt viele Theorien und Spe­kulationen und Anton sagt: "Man macht sich viele Gedanken. Warum ist das gerade in Oberwart passiert? Was die wirkli­chen Hintergründe waren, wissen aber wohl nur die, die daran beteiligt waren. Vergessen werden wir es nie können!"


Gedenkwochen in Oberwart

Am 4. Februar 2005 jährt sich das Attentat von Oberwart zum zehnten Mal. Zwei Wochen lang wird Oberwart im Zei­chen des Gedenkens an den Anschlag stehen. Von 21. Jänner bis 5. Februar 2005 wird es zahlreiche Gedenkfeiern an den rassistischen Anschlag  unter dem Titel "Amen dschijas" ("Wir leben") geben.

Am 4. Februar 1995 starben vor der Roma-Siedlung in Oberwart Erwin Horvath, Karl Horvath, Peter Sarközi und Josef Simon beim Versuch eine Tafel mit der Aufschrift "Roma zurück nach Indien" zu entfernen. Sie waren durch eine Sprengfalle getötet worden.

Seit Anfang Dezember 1993 war Österreich von einer Serie von Brief- und Rohrbomben-Anschlägen heimgesucht worden, die bis Ende 1996 elf teilweise Schwerverletzte und die 4 Toten von Oberwart forderten. Am 1. Oktober 1997 wurde in der Steiermark Franz Fuchs verhaftet, der hinter all den Anschlägen der letzten Jahre gesteckt haben soll. In den Medien und durch Justiz und Politik wurde Franz Fuchs zum Einzeltäter stilisiert. Obwohl ziemlich sicher ist, dass es sich bei den Tätern um Mitglieder der Vereinigung „Bajuwarische Befreiungsar­mee“ handelt, versuchte Haider die Geschichte umschreiben und spekulierte, dass es da um einen Konflikt bei einem Autoschieber-Deal oder um Drogen gegangen wäre. Die politischen Rahmenbedingungen aber, unter denen sich solch rassistischer Terror entwickeln konnte, wurden großteils außer Acht gelassen. Franz Fuchs wurde im Frühjahr 1999 zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe ver­urteilt. Er brachte sich in der Haft um. Heute leben in Oberwart rund 220 Roma. Ein Großteil davon wohnt in einer Siedlung am Stadtrand, nahe dem Krankenhaus.

Während der Gedenkwochen werden The­aterstücke aufgeführt, Filme über das Leben und die Speisen der Roma präsen­tiert, Lesungen, Konzerte und Diskussi­onsveranstaltungen abgehalten. Höhe­punkt der Gedenkwochen wird der 4. Februar sein. Um 23 Uhr wird ein Fackel­zug durch Oberwart zum Ort des Attentats ziehen, wo vor zehn Jahren um 23.45 Uhr die Rohrbombe hochging.

erschienen in: Talktogether Nr. 11/2005

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