Sind Sie arm oder werden Sie es!Eindrücke von der 2. Regionalen Armutskonferenz, die unter dem Motto: "Nichts über uns ohne uns. Partizipation, Selbstorganisation und regionale Armutsbekämpfung“ am 29. und 30. November 2004 im Bildungshaus St. Virgil stattfand. von Sabaha Sinanovic
„Sozialleistungen sollen kein Trostpflaster sein, um Habenichtse ruhig zu halten, einen Aufstand oder gar eine Revolution zu verhindern, sondern ein Recht in einer solidarischen Gemeinschaft, in Notsituationen Hilfe zu erhalten.“ Wann ist man arm? Sozialhilfe sollte rasch und möglichst unbürokratisch sein, um ein menschenwürdiges Leben zu sichern. So ähnlich sehen die Wünsche der meisten aus. Wird dieses menschenwürdige Leben mit dem geltenden Sozialhilferichtsatz erreicht? Wer sagt, was als menschenwürdig angesehen wird? Ist man schon arm, wenn man in der Kleidung der letzten Saison steckt, keinen Fernseher hat, sich die Heizkosten nicht mehr leisten kann oder im Winter mit dem Fahrrad unterwegs ist? Freunde zum Essen einladen, wenigstens einmal im Monat – ein Gala-Diner oder Nudeln mit Ei? Wie kommt es, dass gut Verdienende abrutschen – wie zB Albert Fortell und seine Frau Barbara Wussow, die die Sozialhilfe wieder in die Schlagzeilen gebracht haben? Sinkt die Solidarität von Österreich mit Österarm, wie eine karitative Organisation plakatiert? Menschen, die arbeiten gehen, denken an die faulen „Schmarotzer“, die zu Hause vor dem Fernseher oder im Park sitzen und angeblich nicht arbeiten gehen wollen. Ist es wirklich so, wie es manchmal scheint? Hier persönliche Eindrücke von meiner ersten Armutskonferenz und einige Gedanken zum Armsein. Erste Hürde: die Tagungsgebühr Das Hauptthema Partizipation wurde meiner Meinung nach zwar am Beginn der Konferenz mit dem Vortrag „Partizipation und Selbstorganisation“ von Ulrich Bröckling (Universität Konstanz) behandelt, danach aber leider nicht in die Praxis umgesetzt. Nach meiner persönlichen Hürde der Tagungsgebühr - diese betrug für 2 Tage im Vollpreis € 45,- (Ermäßigungen gab es auf Anfrage, diese konnte ich in Anspruch nehmen) - ging es zum Mittagsbuffet um € 9,- pro Person. Wir haben uns das Essen selbständig auf 2 Personen aufgeteilt, kreative Selbstorganisation. Die Praxisphasen am Nachmittag wurden in 2 Teile zu je 7 Workshops aufgeteilt. In der Praxisphase I habe ich eine Präsentation der Bewohnerservicestellen der Stadt Salzburg gesehen, leider bleib sehr wenig Zeit um nachzufragen oder zu diskutieren. Meinem Eindruck nach, haben die Servicestellen leider selbst wenig Möglichkeit, Einfluss auf die Politik und damit die Gestaltung ihrer Arbeit zu nehmen. Es wird jedoch versucht, Partizipation in den Servicestellen umzusetzen. Im zweiten Workshop wurden Praxisbeispiele der Beteiligung von MigrantInnen vorgestellt. Das Projekt „paraplü“ in Steyr und die Fachstelle für Bildung und Integration Dornbirn zeigten, wie Partizipation in der Praxis aussehen kann. Für Salzburg könnten wir uns Anleitungen von diesen Einrichtungen holen. Am Abend des 29. Nov., bei der öffentlich zugänglichen Diskussion, befragte ich Soziallandesrat Dr. Erwin Buchinger, warum die Sozialhilfe in Salzburg zurückgezahlt werden muss. Leider erhielt ich die übliche Antwort, kurz zusammengefasst: Wir wissen, dass es sich nicht rechnet, aber trotzdem machen wir es. Die Frage, warum das Sozialleitbild (ist derzeit in Arbeit) nicht in Partizipation erstellt wird, beantwortete der Soziallandesrat mit einer allgemeinen Skepsis gegenüber der Partizipation, er hat Vorbehalte. Nicht viel Neues also. Danach fuhr er mit dem Auto weg und ich sportlich mit dem Fahrrad. Eine Konferenz über uns eben doch ohne uns? Die Enttäuschung über den Umgang mit Betroffenen während der Diskussion und am Tag darauf blieb noch lange, phasenweise war ich entsetzt mit welcher Überheblichkeit ihnen begegnet wurde. Vor allem, weil ich selbst als Betroffene meist unentdeckt blieb. Es könnte jedoch auch daran liegen, dass ich selbst mich nicht als arm sehe, also war ich halb Betroffene, halb sozial Engagierte. Ich hatte den Eindruck, dass die Armutskonferenz eine Fachtagung für SozialarbeiterInnen sein hätte sollen, von Partizipation nach dem Motto „Nichts über uns ohne uns“ – also der Meinung wirklich Betroffener - wollte man scheinbar nichts hören. Vielleicht erscheint das als harte Kritik, ich glaube jedoch, dass dies nötig ist, um die OrganisatorInnen aufzurütteln. Wie kann Partizipation gefordert werden, um danach das Gegenteil zu tun? Natürlich ist es schwierig, aus der Phase der persönlichen Erfahrungsberichte herauszukommen, um auf die „Arbeitsebene“ zu wechseln, aber auch dafür sollte Zeit sein, wenn auf die Teilnahme wirklich Betroffener wert gelegt wird. Am Tag 2 wurden im open space die Themen für die Workshops am Nachmittag ausgewählt. Danach besprachen wir in Einzelgruppen kurz den Eindruck von der Konferenz. Auch bei dieser Gelegenheit wurde in unserer Gruppe Enttäuschung über die mangelnde Partizipation Betroffener geäußert. Doch wo waren die Betroffenen selbst? Eine Konferenz über uns eben doch ohne uns? Im Nachmittagsworkshop haben wir kreative Ideen für Menschen mit wenig Geld entwickelt, zB Tauschbörsen, Staßenbuffets, Volksküchen. Vielleicht wird es gelingen das eine oder andere zu realisieren. Dennoch bleibt es in Salzburg Stadt schwierig, ohne Geld etwas zu unternehmen. Die Legitimation der Vertretung bzw. Selbstvertretung war für mich einer der interessantesten Workshops. Wir stellten uns die Frage, warum wollen arme Menschen keine Beschränkung der Rechte der Reichen? Hoffen sie durch einen Lottogewinn irgendwann einmal selbst reich zu werden? Warum sprechen Arme nicht selbst, sondern stehen immer als BittstellerInnen vor den Türen der Sozialämter? Sehr oft höre ich, dass arme Menschen oder MigrantInnen eine Lobby brauchen, die für sie spricht. Ich frage mich, warum sollten diese Menschen nicht für sich selbst sprechen können? Warum ihnen die Stimme nehmen und sie dadurch weiter entmündigen oder gar ins soziale Out zu stellen? Die Frage ist, wer vertritt wen, wer braucht wen? Die SozialarbeiterInnen, die Armen oder umgekehrt? Natürlich geht die Angst um, dass SozialarbeiterInnen dann arbeitslos werden, wenn die Menschen für sich selbst eintreten. Die Kürzung der Finanzmittel greift um sich und nur „produktive“ Einrichtungen und die, die nicht unangenehm mit politischen Forderungen auffallen, bekommen noch Geld. Was ist produktiv, wie wird gute Sozialarbeit bewertet, gibt es eine Erfolgsquote im Sozialbereich? Was müssen SozialarbeiterInnen leisten um gerecht entlohnt und nicht selbst auf der Seite der Klientel in Armut zu landen? Diese Fragen blieben für mich ungeklärt, der Kampf um die Finanzmittel geht jedoch weiter. Arbeitslose SozialarbeiterInnen soll es trotz Selbstorganisation keine geben. Für mich schließt es sich nicht aus, für sich selbst zu sprechen und dabei die Unterstützung der Einrichtungen und der geschulten SozialarbeiterInnen in Anspruch zu nehmen, um z.B. Themen zu erarbeiten oder zu formulieren. Partizipation sollte Recht sein, keine Gnade Verabschieden wir uns von der Rolle der Bittsteller und treten wir ein für eine echte Teilhabe am Entscheidungsprozess. Statt teurer Werbemittel, unzähliger Präsentationen wie es sein sollte, und Fachsimpelei über „armutsgefährdet oder arm“, fordere ich offene Räume, Werkstätten, fachliche Hilfe (zB juristische Beratung) und ähnliches zur Verfügung zu stellen und die Menschen selbst entscheiden lassen, was sie wollen und wie sie selbst ihre Situation verbessern können. Mitentscheidung ist Partizipation, nicht Beratung in Beiräten oder ähnliches. In armen Menschen schlummert viel verborgenes Potential, denn Armsein heißt kreativ sein, um zu überleben. Diese Menschen müssen eingeladen werden, um auf ihre Art und Weise, in ihrer Sprache mitzuarbeiten. Ihre Arbeit soll geschätzt werden als wichtiger Beitrag zur Sozialpolitik. Denn Sozialpolitik heißt zu überlegen, welche Strukturen Armut ermöglichen, und das können nur Betroffene. Soziale Änderungen können nur von unten – nicht von oben herbeigeführt werden. Selbst entscheiden heißt für mich jedoch nicht, dass sich die öffentliche Hand zurückzieht und dadurch die Armut privatisiert wird und sich die einzelnen Gruppen private Sponsoren suchen. Die öffentliche Hand stellt den Rahmen zur Verfügung und in diesem Rahmen, zB Stadtteilzentren erarbeiten die Betroffenen gemeinsam mit den SozialarbeiterInnen Lösungen für ihre Probleme im Grätzl. Es setzt jedoch voraus, dass alle Menschen Zugang zu den Informationen haben, Fachausdrücke sollten erklärt werden, die Grundbedürfnisse befriedigt werden – mit leeren Bauch, ungewaschen und müde vom Schlafen in der Kälte kann man nicht an einer Konferenz teilnehmen, da hat man andere Sorgen. Direkte Demokratie ist anstrengend, dauert lange, aber es zahlt sich aus. Partizipation sollte ein Recht in einer Demokratie sein, keine Gnade. Sozialleistungen kein Trostpflaster, um Habenichtse ruhig zu halten, einen Aufstand oder gar eine Revolution zu verhindern, sondern ein Recht in einer solidarischen Gemeinschaft, in Notsituationen Hilfe zu erhalten.
Sabaha Sinanovic, Tochter bosnischer Einwanderer, Halbtagssekretärin, Studentin, aktiv im Salzburger Social Forum und für das Friedensvolksbegehren. Am 26. Jänner 2005 startet ihre Radiosendung "Zenska soba" - auf bosnisch/kroatisch/serbisch mit deutscher Übersetzung auf der Radiofabrik (107,5 MHz) im Rahmen der Reihe "Frauenzimmer" (Mittwoch ab 18.00 Uhr). erschienen in: Talktogether Nr. 11/2005
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