Zum 100. Geburtstag der Halleinerin Agnes Primocic PDF Drucken E-Mail

Die Frau, die gegen den Strom schwamm

 

Auch von einem heftigen Schneesturm ließen wir uns nicht abhalten, nach Hallein zu fahren, denn wir wollten den Termin mit Agnes Primocic nicht verpassen, den wir mit ihr und ihrer Tochter ausgemacht hatten. Es war für uns eine große Ehre und Freude, diese mutige Frau kennenzulernen, die sich auch in der schwierigen Zeit des Nationalsozialismus nicht unterkriegen ließ. „Woher kennt ihr mich denn überhaupt? Und wie habe ich verdient, mit so berühmten Persönlichkeiten wie Rosa Luxemburg, die wir immer verehrt haben, auf die Titelseite eurer Zeitung zu kommen? Ich bin doch nur eine einfache Frau, was ich gemacht habe, ist doch nicht vergleichbar!“ fragte sie bescheiden, als wir ihr in ihrem Zimmer im Halleiner Seniorenheim die Talk Together Ausgabe überreichten. „Wenn die Situation heute so wäre wie damals, würden Sie uns sicher auch helfen“, erwiderten wir. „Ja! Wenn ich es kann“, lautete die Antwort.

Es ist schön zu wissen, dass Helden nicht weit weg und unerreichbar, sondern auch in unserer Nachbarschaft zu finden sind. In den 100 Jahren ihres Lebens hat Agnes schlimme Zeiten erlebt. Es hat Leute gegeben, die sagten, sie hätte es sich selbst zuzuschreiben, dass sie eingesperrt wurde. Sie meinten, es wäre ihr nichts passiert, wenn sie ruhig gehalten hätte. Doch ruhig zu halten und zuzusehen, wenn Unrecht geschieht, konnte Agnes Primocic nie.

In der Zigarrenfabrik

Stillgehalten hat Agnes Primocic nicht in der Zigarrenfabrik, in der sie als junge Frau eine Stelle bekam. Da sie mehr wusste als die meisten Arbeiterinnen, wurde sie als Betriebsrätin gewählt. Die Kolleginnen baten sie oft, ihnen während der Arbeit "Geschichten" zu erzählen, über die Bücher, die sie gelesen hatte: über Sexualität und Verhütung zum Beispiel, aber auch, wie wichtig es für die Arbeiter ist, sich zu organisieren und für ihre Rechte zu kämpfen. Die Frauen in der Zigarrenfabrik hielten zusammen, unterstützten sich gegenseitig und wehrten sich gegen ungerechte Behandlung. Mit dieser Haltung wurden die Tabakarbeiterinnen in den 20er Jahren zum Vorbild im Kampf für soziale und politische Ge­rechtigkeit. Als es im Februar 1934 darum ging, gegen die endgültige Zerschlagung der Arbeiterbewegung Widerstand zu leisten, ging Agnes mit ihrer Genossin, der Ziegleder Mali, mit Flugblättern von Fabrik zu Fabrik und forderte die männlichen Kollegen in der Saline, der Brauerei und der Zellulosefabrik zur Teilnahme am Generalstreik auf. Die trauten sich nicht und so kam es, dass die „Weiberleut“ von der Zigarrenfabrik die Einzigen waren im Land Salzburg, die fast geschlossen streikten.

Widerstand gegen Faschismus und Nationalsozialismus

Stillgehalten hat Agnes nicht in der Zeit der faschistischen Diktatur in Österreich, als es darum ging, die Rechte der Arbeiter zu verteidigen. Agnes Primocic ließ sich auch nicht durch die wiederholten Verhaftungen einschüchtern, denn sie wusste, dass ihr Weg der richtige war. Das schlimmste im Gefängnis war für sie, nicht zu wissen, ob sich jemand um ihre Kinder kümmerte.

Stillgehalten hat Agnes auch nicht nach dem Einmarsch Hitlers, wo der Widerstand noch viel gefährlicher war. Die Nazis hatten ein System, das durch Vernaderung und Spitzelwesen funktionierte. Als ihr Mann in den Krieg an die Ostfront geschickt wurde, musste sie ihm versprechen, nichts gefährliches mehr zu tun, damit die Kinder nicht allein und unversorgt zurückblieben. Doch als das erste Mal ein Brieferl mit der Bitte um Hilfe kam, konnte Agnes dieses Versprechen nicht einhalten. Es war vom Sepp Plieseis, einem Widerstandskämpfer im spanischen Bürger­krieg, der von der Vichy Regierung verhaftet und ins Konzentrationslager geliefert worden war. In Hallein befand sich ein Steinbruch, und der war eine Außenstelle des Konzentrationslagers Dachau. Mit Hilfe einer Bäuerin und der Genossin Mali schaffte sie es, ihm zur Flucht zu verhelfen. Plieseis floh in die Ausseer Berge, wo er eine Widerstandsgruppe gründete. Er blieb nicht der einzige, insgesamt hat sie 20 Widerstandskämpfern bei der Flucht geholfen. Ihre Tochter, die damals noch klein war, erinnert sich an damals als eine Zeit ständiger Angst. Auch wenn sie nicht verstand, was passierte, fühlte sie, dass das Leben ihrer Mutter gefährlich war.

Dank und Ehrungen für ihren mutigen Widerstand und ihr Engagement, das sie auch nach dem Krieg weiterführte, wurden ihr aber erst zuteil, als der Film und das Buch über sie herausgekommen waren. Wenn sie nicht so alt geworden wäre, hätte man sie vielleicht nie beachtet. Agnes bedauert, dass nur ihr allein Ehre zuteil wurde, während von den anderen Genossen heute keiner mehr lebt. "Wie viele Genossen wurden getötet, während der, der mich damals ins Gefängnis brachte, im Laufe seines Lebens durch alle Parteien gewandert ist, von den ‚Schwarzen’ zu den den Nazis und schließlich landete er bei der SPÖ. Er hatte niemals Probleme und starb eines natürlichen Todes. Solche Leute hat es überall gegeben, die versuchten, bei den Regierenden beliebt zu sein“, und manchmal fragt sie sich: „Wie viele haben gegen das Unrecht gekämpft und ihr Leben verloren. Und was hat es genützt? Wenn man die Welt heute anschaut, herrschen doch immer noch überall Ungerechtigkeit und Ausbeutung!“

Nein, Agnes Primocic, dein mutiges Engagement war nicht umsonst! Du hast es verdient, von allen Menschen, die Frieden und Demokratie lieben, geehrt zu werden. Dein Mut und deine Unbeugsamkeit sind eine wertvolle Inspiration für uns und werden uns immer in Erinnerung bleiben!

Buchempfehlung: Nicht stillhalten, wenn Unrecht geschieht, Die Lebenserinnerungen von Agnes Primocic, M. Zehetner (Hrsg.), 2004 Akzente-Verlag, Salzburg


erschienen in: Talktogether Nr. 12/2005

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