Gespräch mit Laziz, Saifyllah und Zeindi aus Tschetschenien PDF Drucken E-Mail

Gespräch mit Laziz, Saifyllah

und Zeindi aus Tschetschenien 

Talk Together: Was bedeutet es für Euch, dass ihr Euer Land verlassen musstet?

Laziz: Für uns Tschetschenen ist es eine absolut unbe­schreibliche Tragödie, dass wir unser Heimatland verlo­ren haben. Ich habe früher ein Buch gelesen über Tsche­tschenen in der Vergangenheit, die in andere Länder emigriert sind. Heute muss ich oft an die traurigen Erfah­rungen dieser Menschen denken. In unserer Tradition sind wir ein sehr sesshaftes Volk, in der Vergangenheit war es schon ein Problem, von einem Dorf in ein anderes zu übersiedeln.

Talk Together: Worunter leiden die Menschen in der Emigration?

Laziz: Es ist sehr traurig für uns, dass wir nicht die Möglichkeit haben, unsere reiche Kultur an unsere Kin­der weiterzugeben. Es ist natürlich wichtig für die Kin­der, die Kultur des Landes kennenzulernen, in dem sie leben. Aber ebenso wichtig ist es, ihre Wurzeln zu ken­nen. Die Kinder der Flüchtlinge haben keine Möglichkeit, ihre eigene Sprache zu lernen. Außerdem leben wir sehr isoliert und haben kaum Kontakt zur österreichischen Bevölkerung.

Talk Together: Wie ist die Situation in Tschetschenien?

Laziz: Unser Land ist völlig zerstört. In Grosny gibt es kaum Häuser, die noch ganz sind, und auch die Dörfer sind ruiniert. Zahlreiche unschuldige Menschen wurden getötet oder in Gefangenenlagern interniert. Es gibt Tau­sende Seiten von Berichten von internationalen Men­schenrechtsorganisationen, die von Folterungen und Vergewaltigungen durch die russischen Soldaten berichten. Doch gibt es keine Bemühungen, diese Verbrechen zu stoppen. Russland hat durch seine Atomwaffen auch heute noch große Macht. Ich verurteile z.B. den deutschen Kanzler Schröder. Ich denke, dass er unmoralisch handelt. Obwohl er über die Verbrechen in Tschetschenien genau Bescheid weiß, schweigt er darüber. Die Geschäfte mit Putin sind ihm wichtiger als die Menschenrechte.

Talk Together: Was sind die Hintergründe für den Krieg in Tschetschenien?

Laziz: Tschetschenien ist schon seit vier bis fünf Jahr­hunderten von Russland kolonisiert worden. Nur einmal, nach der Oktoberrevolution, hätte unsere Nation eine Chance gehabt, die Unabhängigkeit zu erlangen. Durch die vielen Kriege ist unsere Bevölkerung stark dezimiert worden. Heute zählen wir nur mehr eine Million Men­schen, früher waren es mehr. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden die autonomen Republiken unab­hängig. Die Sowjetunion bestand aus 15 Republiken, doch Tschetschenien war und ist bis heute ein Teil der russischen Republik. Die russische Regierung hat Angst, dass nach einer Abspaltung Tschetscheniens auch andere Nationen die Unabhängigkeit fordern und den Zerfall Russlands auslösen könnten. Außerdem hat Russland bereits zu viel in diesen Krieg investiert. Es sind schon zu viele Soldaten gefallen, so dass die russische Regierung nicht wagt, sich von Tschetschenien zurückzuziehen. Es gibt auch wirtschaftliche Interessen z.B. das Öl, das Anfang des 20. Jahrhunderts von den Briten entdeckt wurde. Meiner Meinung nach spielen die ökonomischen Interessen aber eine untergeordnete Rolle, es sind vor allem die strategischen und machtpolitischen Gründe, die diese Tragödie kein Ende finden lassen. Ich denke, dass nur eine Kontrolle durch internationale UN-Truppen das Blutvergießen stoppen könnte.

Talk Together: Mit welchen Problemen sind die Flüchtlinge in Österreich konfrontiert?

Laziz: Die Menschen, die nach Europa flüchten haben große Erwartungen. Z.B. habe ich immer geglaubt, dass in Europa Demokratie herrscht und die Menschenrechte respektiert werden. Doch wir wurden in diesen Erwartungen enttäuscht. Obwohl ich gute Sprachkenntnisse habe, bin ich oft mit Schwierigkeiten konfrontiert. Ich frage mich, wie es erst den Flüchtlingen gehen muss, die sich sprachlich nicht so gut ausdrücken können. Wir haben es geschafft, unser Leben zu retten und unsere Kinder in Sicherheit zu bringen. Aber die Rechte, die wir hier als Flüchtlinge haben, sind minimal. Dazu kommt noch, dass Menschen aus Tschetschenien ein sehr schlechtes Image bei der österreichischen Bevölkerung haben. Das hängt mit den einseitigen Berichten der Medien zusammen. Die negative Propaganda, die in Russland über unser Volk gemacht wird, wird unreflektiert übernommen, aber positive Berichte über unser Land und unsere Kultur gibt es so gut wie überhaupt keine.

Talk Together: Welche Unterstützung benötigen die Flüchtlinge bei der Integration?

Laziz: Mein Kollege Saifyllah und ich haben bereits in Tschetschenien in humanitären Organisationen gearbeitet und haben internationale Kontakte. Wir haben theoreti­sche und praktische Erfahrungen und verfügen über fer­tige Konzepte, wie die Arbeit mit den Flüchtlingen aus­sehen könnte. Wir könnten Seminare, Workshops, Thea­ter und kulturelle Programme organisieren. Wir möchten Flüchtlingslager besuchen und uns um die Menschen dort kümmern. Durch diese Programme würden nicht nur die Flüchtlinge profitieren, sondern auch die österreichischen Behörden. Doch dazu brauchen wir Möglichkeiten, nämlich Räumlichkeiten und finanzielle Unterstützung.

Talk Together: Was erwartet ihr von der österreichischen Gesellschaft bzw. was vermisst ihr?

Laziz: Allein in Österreich leben heute mehrere tausend tschetschenische Flüchtlinge. Uns wird nur gesagt, dass wir durch unsere Anwesenheit Probleme verursachen, und wir erfahren überhaupt keine Hilfe von den Behörden, uns in die Gesellschaft zu integrieren. Es muss aber gesagt werden, dass es engagierte Privatpersonen und NGOs gibt, die uns Unterstützung anbieten. Für die Flüchtlinge ist wichtig, einerseits mit ihrer eigenen Kultur Verbindung zu halten und den Kindern zu ermöglichen, ihre Kultur und ihre Sprache zu pflegen. Andrerseits ist es genau so nötig, ihnen Unterstützung bei der Integration zu geben. Die Leute sind außerdem traumatisiert von den Erfahrungen, die sie in ihrer Heimat durch die russische Okkupation gemacht haben. Wenn sie einem Polizisten begegnen, der z.B. am Bahnhof ihre Ausweise kontrollieren will, bekommen sie sofort panische Angst. Deshalb brauchen sie kompetente Vertrauenspersonen, an die sie sich in ihrer Sprache wenden können.

Talk Together: Was hast du gemacht, bevor du fliehen musstest?

Saifyllah: Ich bin EDV-Spezialist und habe mit Laziz in einer tschetschenischen Organisation für Kultur und Er­ziehung gearbeitet.

Talk Together: Wie war dein Leben, bevor der Krieg ausbrach?

Zeindi: Vor dem Krieg war ich Ingenieur in einer Bau­firma und leitete die Baumaterial-Versorgungsabteilung. Ich habe in Grosny gut gelebt und meiner Familie und mir ging nichts ab. Grosny war damals eine sehr schöne und grüne Stadt mit vielen Parks, wo die Wirtschaft florierte. Ich habe drei Kinder, meine Tochter Kameta ist zehn Jahre, mein Sohn Aslambek neun und mein jüngster Sohn Bekhan ist in Österreich geboren und ist jetzt neun Monate alt.

Talk Together: Wie geht es dir und deiner Familie in Österreich?

Zeindi: Ich lebe seit 6 Monaten in Salzburg. Meine Fa­milie kam schon vor mir nach Österreich, weil ich fünf Monate im Gefängnis war, besser gesagt in einem Kellerloch wo ich geschlagen wurde. Wir haben jetzt eine Wohnung bei den „Barmherzigen Schwestern“ gefunden, wo es mir und meiner Familie gut geht. Ich möchte den Schwestern, vor allem Magdalena, Antonina und Annaberta für ihre Hilfsbereitschaft danken. Auch der Elke, der Eva-Maria und der Brigitte für den Deutschkurs und die Unterstützung für mich und meine Familie. Aber ich leide sehr darunter, dass ich zur Untä­tigkeit verurteilt bin. Ich würde gerne arbeiten und meine Familie aus eigener Kraft ernähren.

Talk Together: Was heißt für euch Integration? Heißt Integration, sich bedingungslos anzupassen?

Laziz: Integration sollte ein gegenseitiger Prozess sein, von dem beide Seiten profitieren, und nicht ein einseitiger Zwang, sich unterzuordnen. Wir wollen unsere eigene Kultur und unsere Überzeugung behalten. Wir sind Moslems und es ist wichtig für uns, die Religion zu praktizieren, z.B. zu beten. Wir wollen aber niemand damit schaden oder stören. Und genauso viel liegt uns daran, die Überzeugung anderer Menschen zu respektieren. Ich möchte betonen, dass wir in dieser Beziehung sehr gute Erfahrungen mit österreichischen Menschen gemacht haben. Ich möchte zwei Erlebnisse, die wir hier in unerwarteter Weise gemacht haben, erwähnen. Nach unserem Grenzübertritt landeten wir im Gefängnis. Dort fragten wir einen Gefängniswärter, ob wir uns vor unserem Gebet waschen dürften. Er hat uns die Duschräume aufgesperrt, obwohl das normalerweise nicht erlaubt ist. Danach hat er uns sogar eine Schokolade geschenkt. Unsere Vermieterin hat uns zu Weihnachten eingeladen. Wir haben gemeinsam gefeiert und es wurden österreichische Weihnachtslieder und tschetschenische Lieder gesungen. Das war sehr schön. Ein paar Tage später hat uns die Frau einen Gebetsteppich geschenkt. Das Verständnis dieser Menschen hat uns sehr beeindruckt.

erschienen in: Talktogether Nr. 12/2005