Erinnerung an Rosa Winter PDF Drucken E-Mail

„Der Zigeuner war der Niemand“

von Dorofea

Am 26. April fand bei einem Mahnmal am Ignaz-Rieder-Kai eine Gedenkfeier für die Roma und Sinti statt, die während der NS-Zeit in KZs getötet wurden. Das Mahnmal befindet sich auf dem Gebiet der ehemaligen Rennbahn, wo die Opfer zunächst in Pferdeboxen zusammengetrieben wurden. Prof. Sarközi vom Kulturverein Österreichischer Roma betonte, dass es nicht stimme, dass die Opfer keinen Besitz hatten. Vielmehr ginge es um mehrere Millionen Euro Vermögensentzug, die eingefordert werden. Für das Mahnmal wird noch eine Schulklasse gesucht, die die Patenschaft für regelmäßige Gedenkfeiern übernehmen möchte. Unter den Anwesenden war auch die 81-jährige Rosa Winter, die die KZs überlebt hat und als Zeitzeugin wichtige Auskunft über diese schreckliche Zeit gab.

Rosa Winter erzählte ihr bedauernswertes Schicksal: „Es ist mir heute sehr schwer gefallen, hierher zu kommen. Ich habe sehr schlechte Erinnerungen, ich habe richtige Herzschmerzen. Mein Vater war Marktfahrer für Textilien, uns gehörte die Welt. 1939 kamen Polizisten in einem Überfallkommando mit Lastautos und wir wurden wie die Tiere in die Pferdeboxen zusammengetrieben. Wir duften nichts mitnehmen. Jeden Tag kamen neue Sinti von überall her. Wir bekamen fast vier Wochen nichts zu essen. Es gab nur ein Brett für die Toilette. Ein älterer Herr hatte ein paar Kilo Schmuck. Er gab der Kellnerin eines Gasthauses, das dort war, jeden Tag etwas Schmuck und bekam dafür ein paar Zigaretten und Kuchen für die Kinder. Wir sollten nach Polen kommen. Aber nach vier Wochen musste die Jugend in das Sammellager nach Maxglan, das wir erst selber aufbauen mussten. Es gab dort eine Küche, in der die Sintifrauen mit den Beamten kochten. Ich musste jeden Tag im Strassen- und Häuserbau arbeiten. Von der harten Arbeit war mein ganzer Körper aufgeschunden. Ich war froh, dass ich etwas zu essen hatte. Meine Mutter schrieb mir einen Brief, in dem stand, dass sie weg kommt, aber nicht wisse wohin. Sie schrieb, wenn sie wisse, wohin sie käme, dann würde sie mir wieder schreiben. Auf diesen Brief hin bin ich davon gerannt, doch ich wurde erwischt und am Polizeipräsidium eingesperrt. Als die Türe aufging, sehe ich meine Mutter drin. Sie war auch davongelaufen.

Nach zwei oder drei Tagen kam Leni Riefenstahl in die Zelle. Sie erwarteten, dass ich mich hinkniee und bitte, aber ich war jung und sehr stolz, ich machte es nicht. Meine Mutter schon. Es hieß: ‚Ihre Tochter kommt ins Konzentrationslager’. Insgesamt war ich sieben Jahre in verschiedenen KZs. In Ravensbrück lebte ich von einer Stunde auf die andere, auf Leben und Tod. Es gab Schläge und viel Hunger, die Hunde bissen mich. Ich bin die einzige von 12 Geschwistern, die überlebt hat. Meine Großeltern, Onkeln, alle sind in Auschwitz vergast worden. Von ein paar 100 Verwandten sind ich und ein Cousin übriggeblieben. Wir wussten, dass es KZs gibt, aber dass es so schlimm war, damit rechnete ich nicht. Wenn ich gewusst hätte, wie schlimm es ist, hätte ich ihnen die Füße abgebusselt. Ich wäre froh, wenn ich mit meinen Eltern gestorben wäre. Ich habe ja nichts, nur meine Tochter, alle sind tot, alles weg. Ich wohne am Land, koche alleine, aber das geht mir nie aus dem Kopf, der Zigeuner war der Niemand. Ich bin froh, dass die Jugend bei den Gedenkveranstaltungen immer dabei ist.“

Leni Riefenstahl war die innovativste Filmerin des Nationalsozialismus, die vor allem wegen ihrer Propagandafilme zur Kult­figur wurde. Sie verwei­gerte sich nach der NS-Zeit jeder anderen als einer juristisch argumen­tierenden Selbstprüfung. Um das „südliche Kolorit“ ihres Films „Tiefland“ zu verstärken, ließ sie im Lager Maxglan und in einem Lager nahe Berlin internierte „Zigeuner“ als Komparsen engagieren. Ihre Komparsen kamen aus einem Lager, wo sie gerade wegen ihres anderen Aussehens interniert waren. Sie wurden später fast alle ermordet, weil sie nach der nationalsozialistischen Ideologie als „anders“ und „minderwertig“ galten.

1949 beschrieb das Boulevardblatt „Revue“ erstmals die Umstände der Dreharbeiten zu „Tiefland“. Leni Riefenstahl strengte daraufhin einen Zivilprozess gegen den Verleger an. Sie gewann den Prozess. Er zog deswegen derartige Aufmerksamkeit auf sich, weil Riefenstahls Haltung einen prototypisch unzureichenden Umgang mit der eigenen Verantwortung deutlich machte. Riefenstahls späteren Auslassungen zu der „guten Behandlung“ der Internierten während der Dreharbeiten lassen nicht einmal im Ansatz eine selbstkritische Reflexion erkennen. Nina Gladitz Film „Zeit des Schweigens und der Dunkelheit“ brachte erneut die Produktionsumstände von „Tiefland“ zur Sprache. Wieder gab es eine zivilrechtliche Auseinandersetzung. Ein Teil der Riefenstahlschen Konstruktion brach zusammen: Das Lager Maxglan war kein „Wohlfahrtsfürsorgelager eigener Prägung unter kriminalpolizeilicher Leitung und Fürsorgeverwaltung“ gewesen. Vielmehr bedeutete der Alltag im Lager Zwangsarbeit, mangelhafte Verpflegung, notdürftige Unterbringung und weitestgehende Einschränkung der persönlichen Freiheit. Eine rigide Lagerordnung und die Androhung der jederzeitigen Überstellung in ein Konzentrations- und Vernichtungslager waren wichtige Disziplinierungsinstrumente.

Auch Frau Winter wirkte als Komparsin bei Leni Riefenstahl mit. Man konnte die Mitwirkung nicht verweigern. Die Gage von 6 Reichsmark pro Erwachsenem und 50 Pfennige pro Kind ging an die Lagerleitung und wurde für Zwecke des Unterhalts der Lagerhäftlinge verwendet. Die Komparsen bekamen keinen Pfennig, auch nach 1945 nicht. In dem Film geht es um einen reichen Gutsherrn, der sich in ein schönes Zigeunermädchen verliebt (gespielt von Leni Riefenstahl). Dieses verliebt sich wiederum in einen armen Hirten.


Buch-Tipp: Ludwig Laher (Hg.), Rosa Winter, Gitta Martl und Nicole Martl, "Uns hat es nicht geben sollen. Drei Generationen Sinti-Frauen erzählen“ Edition Geschichte der Heimat

erschienen in: Talktogether Nr. 13/2005

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