Leere Worte stillen den Hunger nichtMit einer gewaltsamen Niederschlagung durch die Polizei endete Anfang Mai der Marsch von Tausenden landlosen Landarbeitern in die Hauptstadt Brasilia. Die Landlosen wollten damit auf ihre Forderungen aufmerksam machen: Die Einhaltung der vom Präsidenten Lula versprochenen Agrarreform. Während in der Bucht die Luxusjachten der Reichen segeln, leben Hunderte Familien – vom Säugling bis zur Großmutter - auf dem nackten Schotterboden unter schwarzen Plastikplanen. Doch bei dieser Siedlung handelt es sich nicht um eine von Brasiliens Favelas, der unzähligen Elendssiedlungen am Rande der Großstädte, sondern um Landlose, die brachliegende Grundstücke besetzt haben. Sie träumen von einer eignen Parzelle Land, auf der sie durch den Anbau von Feldfrüchten ihren Lebensunterhalt selbst erwirtschaften können. Als Zeichen ihres Stolzes wehen über ihren Behausungen die roten Fahnen ihrer Bewegung. In den Gemeinschaftsküchen wird dafür gesorgt, dass für jeden genug Reis und Bohnen da sind und niemand hungern muss. Armut trotz Überfluss Welche Ironie: Brasiliens Präsident hat große Pläne, das fruchtbare Land zum größten Agrarexporteur der Welt zu machen, doch Millionen Menschen können sich nicht mal selbst ernähren. Ein Prozent der Grundbesitzer verfügt über mehr als die Hälfte des Landes, während 23 Millionen Menschen ein eigenes Stück Land verweigert wird. Vor über zehn Jahren begannen sich die ausgebeuteten und unterdrückten Landarbeiter zusammenzuschließen, um für ihr Recht auf Nahrung und ein menschenwürdiges Leben zu kämpfen. Brasilien hat keinen Mangel an freiem Grund, deshalb lassen die Großgrundbesitzer nicht benötigte Grundstücke brachliegen. Diese wurden von den Landlosen besetzt, die begannen, sie zu bebauen und ihre Siedlungen aufzubauen. Doch auf diesen Angriff auf ihren Besitz antworten die Grundbesitzer mit schonungsloser Gewalt. Sie legten sich Privatarmeen zu, die als brutale Mörderbanden bekannt sind. Durch die weitgehende Straflosigkeit werden ihre Verbrechen legitimiert. Denn in der kapitalistischen Welt wird Privatbesitz als Heiligtum betrachtet und jeder Angriff tödlich bestraft. Betrogene Hoffnung Es waren die Arbeiter und die Landlosen, die Lula da Silva gewählt hatten. Sie setzten große Hoffnungen in den Arbeiterführer der historischen Streiks der 70er Jahre. Doch die bittere Realität ließ sie ihre Täuschung erkennen. Die versprochene Landreform ließ auf sich warten. Wie könnte es auch funktionieren, für die Armen Gerechtigkeit zu erreichen, ohne die Besitzrechte der Reichen anzugreifen? Der Großteil der landwirtschaftlichen Produktion Brasiliens, wie der Zuckeranbau, die Produktion von Orangensaft oder die Rinderzucht, wird von ausländischem Kapital dominiert. Präsident Lula hat nach seinem Amtsantritt nicht versäumt, der US-Regierung und den Vertretern des multinationalen Kapitals erkennen zu geben, dass sie sich auf ihn verlassen können. Ein Präsident in einem abhängigen Land ist nicht mehr als ein Vermögensverwalter der Konzerne. Vereint gegen die Ausbeutung Auch die Ereignisse in Bolivien zeigen, dass es in Lateinamerika brodelt und das System nur mehr an einem dünnen Faden hängt. Bolivien hat die größten Erdgasvorkommen Lateinamerikas, doch die Bevölkerung lebt in bitterer Armut. Die Massen sind nicht länger bereit, sich ausbeuten zu lassen und fordern auf eindrucksvolle Weise ihren Anteil am Reichtum ihres Landes. Sie haben sich in Nachbarschaftskollektiven organisiert und leisten mit Streiks und Straßenblockaden Widerstand gegen den Raub der natürlichen Ressourcen ihres Landes. Ob es ihnen gelingt, eine grundsätzliche Änderung zu erreichen, liegt an ihrer Einigkeit und politischen Reife. Wer hofft, diese durch Appelle oder Verhandlungen erreichen zu können, meint es nicht wirklich ernst und wird notwendiger Weise enttäuscht werden. Nicht nur in Lateinamerika, auch in vielen Ländern Asiens ist offensichtlich, dass das globale System der Ausbeutung nur mehr durch Gewalt aufrechtzuerhalten ist. Uns wird gesagt, ein besseres System gäbe es nicht, denn die Revolutionen in der Sowjetunion und in China hätten die Menschen nicht auf Dauer befreien können und somit versagt. Warum betrachtet man nur die Verfehlungen, nicht die Fortschritte, die in diesen Ländern gemacht worden sind? Natürlich darf nicht verleugnet werden, dass dort der Sozialismus nicht nur wegen der äußeren und inneren Feinde, sondern auch aufgrund von Unzulänglichkeiten und auch schwerwiegenden Fehlentwicklungen gescheitert ist. Doch sollte deshalb der der Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit beendet und der Wunsch nach der Befreiung von Armut und Ausbeutung aussichtslos sein? Die Sehnsucht nach Freiheit und Gerechtigkeit in den Herzen der Menschen kann nicht ausgelöscht werden. Es ist unsere Verantwortung, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Und es wird die Aufgabe der kommenden Generationen sein, der Bewegung neues Leben zu geben, neue Inhalte zu verleihen und noch viel weiter zu gehen – in eine befreite Zukunft!
Mehr Infos: Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra http://www.mst.org.br erschienen in: Talktogether Nr. 13/2005
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