Der Oktoberstreik 1950 PDF Drucken E-Mail

Der große Oktoberstreik 1950

Niederschlagung eines Putschs oder Knebelung der Arbeiterklasse?

Der Streik, der vor 55 Jahren im September und Oktober 1955 stattfand, war eine der bedeutendsten Kampfaktionen der österreichischen Arbeiterklasse. Während wir heute in Österreich Streiks als etwas betrachten, das aus dem Rahmen der österreichischen Normalität fällt, zeigen uns die historischen Tatsachen ein ganz anderes Bild, nämlich dass die österreichische Arbeiterbewegung eine lange und reiche Tradition des Streikkampfes besitzt. Von den achziger Jahren des 19. Jahrhunderts beginnend über die Massenstreiks für das allgemeine Wahlrecht, die Teuerungsdemonstrationen von 1911, die riesigen Aufstände im Ersten Weltkrieg mit dem Höhepunkt des Jännerstreiks 1918. Die zahlreichen Kämpfe in der ersten Republik setzten sich auch nach 1945 fort. Nach dem Krieg litten große Teile der österreichischen Bevölkerung unter dem herrschenden Lebensmittelmangel. In Dokumentationen ist zu sehen, wie hungernde Menschen Nudeln auf der Straße aufsammelten, die von einem Lastwagen der Besatzungsmächte gefallen waren. Der Hunger löste große Demonstrationen und Streiks aus, bei denen von der angeblichen gemütlichen Mentalität der ÖsterreicherInnen nicht viel zu bemerken war. Im Gegenteil zeichneten sich die Kämpfe der ArbeiterInnen durch Heftigkeit und Radikalität aus.

Die Lasten des Wiederaufbaus lagen einseitig auf den Schultern der Arbeitermassen. Die Faktoren, die zum Oktoberstreik führten, waren die Kluft zwischen den sprunghaft ansteigenden Profiten, den steigenden Preisen und dem niedrigen Lohnniveau sowie die Erfahrungen mit den vorhergegangenen Lohn-Preis-Pakten. Während unmittelbar nach dem Krieg die Versorgung mit Lebensmitteln im Vordergrund stand, waren die Versorgungsschwierigkeiten der ersten Nachkriegsjahre nun vorbei. Doch während die Produktion schon mit 142 % über dem Vorkriegsstand lag, waren die Löhne noch weit unter dem Vorkriegsniveau. Die ersten beiden Lohn- und Preisabkommen waren von der Arbeiterschaft noch geduldig hingenommen worden, doch schon beim 3. Lohn-Preis-Pakt 1949 gärte es in den Betrieben. Der Sturm brach los, als die Einzelheiten des 4. Lohn-Preis-Abkommens bekannt wurden, das wie die früheren in Geheimverhandlungen von Regierungs-, Kammer- und Gewerkschaftsvertretern ausgehandelt worden war. Der Pakt sah eine Erhöhung der Preise für Mehl um 64 Prozent, für Brot um 26 Prozent, für Semmeln um 59 Prozent, für Zucker um 34 Prozent, sowie für den elektrischen Strom und bei den Verkehrstarifen um 25 Prozent vor, was einer nur zehn- bis vierzehnprozentigen Erhöhung der Löhne entgegenstand.

Obwohl von keinem ernstzunehmenden Historiker noch vertreten und selbst von ihren „Erfindern“ längst dementiert, lebt die Legende vom „Putschversuch der Kommunisten“ munter weiter und wird in Fernsehdokumentationen wie der von Hugo Portisch weiter genährt. Historische Ereignisse, die das Bild der „Harmonisierung“ Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg stören, wurden von der Ge­schichtsschreibung umin­terpretiert und zurechtge­bogen. Wenn man sich jedoch über die tatsächli­chen Begebenheiten infor­miert, erscheint die Legen­de von der Errettung vor einer kommunistischen Machtübernahme geradezu absurd. Denn diese Legen­de zielt darauf ab, den gerechtfertigten und lega­len Kampf der Arbeiter für ihre Rechte zu krimina­lisieren und ihm den Geruch der Illegalität zuzuschanzen. Der Streik nahm seinen Ausgang in der amerikanischen Besatzungszone, bei der VOEST-Linz und in Großbetrieben wie Steyr, Voith und der Großbaustelle Kaprun. Von hier breitete er sich über ganz Österreich aus, nach Wien, Niederösterreich, die Steiermark bis nach Vorarlberg. Insgesamt streikten an die 200.000 ArbeiterInnen gleichzeitig, noch viel mehr nahmen an Demonstrationen und Protestaktionen teil. Wie könnte eine so mächtige Streikbewegung wie der Blitz aus heiterem Himmel fahren oder von jemandem willkürlich angezettelt worden sein?

Doch die Regierung war nicht bereit, auch nur den geringsten Kompromiss einzugehen. Für ihr hartes Vorgehen waren politische Gründe maßgeblich, es ging darum, den Mechanismen der freien Marktwirtschaft wieder freie Bahn zu verschaffen. Behörden und Gewerkschaftsführer gingen mit Waffengewalt gegen die streikenden Arbeiter vor, die Betriebe wurden von bewaffneten Gendarmen besetzt, Dutzende Betriebsräte verhaftet und schließlich schickte die Bau-Holzarbeitergewerkschaft unter der Führung von Franz Olah 2000 Mann starke Schlägertrupps aus, um die ArbeiterInnen am Weiterstreiken zu hindern. Die Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung hatte bisher kaum ein anderes Beispiel eines solchen gewaltsamen Streikabbruchs erlebt. Die Folge war, dass an die 1000 Arbeiter, vor allem bei der VOEST-Linz, in den Steyr-Werken und im Aluminiumwerk Ranshofen gekündigt wurden. Zahlreiche Betriebsräte wurden entlassen und insgesamt 85 Mitglieder aus den Landesgremien des ÖGB ausgeschlossen, weil sie sich gegen die undemokratischen Methoden der Gewerkschaftsspitze gestellt hatten. Innerhalb der SPÖ erfolgte ein Rechtsruck. Der Ausschluss der Partei-Linken ging mit einer Entdemokratisierung und einer offenen Haltung gegenüber ehemaligen Nazis Hand in Hand.

Die Niederschlagung des Oktoberstreiks ermöglichte nicht nur die Durchsetzung des 4. Lohn-Preis-Abkommens, sondern stellte die endgültige Festschreibung der Ausrichtung der ÖGB-Politik dar. Bisher hatte die Arbeiterbewegung, einerlei ob reformistisch oder revolutionär, sozialdemokratisch oder kommunistisch orientiert, die Grundposition vertreten, dass es einer anderen Gesellschaftsordnung als der kapitalistischen bedarf und dass der kollektive Kampf der Arbeiter und Arbeiterinnen die Möglichkeit und Notwendigkeit einer neuen, sozial gerechten Gesellschaft einschließt, einer, die auf den Grundsätzen der Gemeinschaft und nicht auf denen der Konkurrenz aufbaut. Beiden Linien gemeinsam war der Gedanke, dass das nur durch den Klassenkampf erreicht werden kann.

Die Gewerkschaft nach dem Krieg stand aber klar auf dem Boden des Kapitalismus. Das bedeutete, dass die Klassengegensätze zwischen Arbeiterklasse und Unternehmern praktisch negiert wurden und die ÖGB-Führung im Sinne der „Verantwortung gegenüber der Wirtschaft“ agierte. Lohnerhöhungen und Verbesserungen der Sozialleistungen waren in diesem Konzept nur dann möglich, wenn die Wirtschaft wuchs, eine Umverteilung zwischen den Klassen wurde nicht geplant und langfristig auch nicht erreicht. Wüste anti­kommunistische Propaganda im Zeichen des „Kalten Krie­ges“ und Zugeständnisse auf Unternehmerseite festigten die „Sozialpartnerschaft“ in den kommenden Jahrzehnten. Ein mit dem Konjunkturaufschwung einhergehender steigender Wohlstand ließ die Kämpfe der Vergangenheit in Ver­gessenheit geraten.

Doch heute, im Zeichen von Sozialabbau, steigender Arbeitslosigkeit und einer zunehmenden Kluft zwischen Arm und Reich, machen sich das Fehlen kampfbereiter Organisationen und die Passivität der meisten Lohnabhängigen schmerzlich bemerkbar. Auch wenn sich die Arbeiterklasse im Lauf der letzten Jahrzehnte sozial stark verändert hat und in den Industrieländern schrumpft, besteht doch die große Mehrheit der Bevölkerung aus Lohn- und Gehaltsempfängern, deren Interessen als arbeitende Menschen zwangsläufig anders sind als die der Unternehmer. Der Gegensatz bleibt unversöhnlich, und die Konflikte zwischen beiden in der Zukunft werden mehr denn je auf Seiten der arbeitenden Menschen kollektives Handeln erfordern.


Quellen: Univ. Prof. Dr. Hans Hautmann: Der Platz des Oktoberstreiks in der österreichischen Geschichte, Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, 17. Jg. / Nr. 3, September 2010, Hans Hautmann: Der „Kommunisten-Putsch“ 1950. Entstehung und Funktion einer Geschichtslegende

2000, Oktoberstreik: Putsch oder Aufstand der österreichischen ArbeiterInnen? SLP-Broschüre, 2000

erschienen in: Talktogether Nr. 14/2005

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