"Ich will die Kriegsführung gar nicht verstehen können, ich will wissen wie man Frieden macht..." von Annette Klasing Ich komme mir vor wie in der (biblischen) Geschichte von "David gegen Goliath": Über 50.000 Soldaten sind im ganzen Land (besonders natürlich rund um den Gazastreifen) mobilisiert, es gilt die höchste Alarmstufe in Israel und es sind mal wieder "Closures" (Ausgangssperren) verhängt worden über die Checkpoints am heutigen Morgen. Am Tag zuvor sind bewaffnete Siedler aus den - von der bevorstehenden Räumung betroffenen - Siedlungen Homesh und Sa Nur (nördliche Westbank) drohend durch benachbarte arabische Dörfer gezogen. Die Hamas gibt zeitgleich in einer Pressekonferenz die Fortsetzung des bewaffneten Kampfes in Israel bekannt, sollte Israel nicht unverzüglich auch die Siedlungen in der Westbank räumen. Und dennoch: Es gibt sie, die kleinen unermüdlichen Projekte und Begegnungen der Annäherung und der Friedensbemühungen. Unser Internationales Begegnungszentrum hat in Vorbereitung einer Internationalen Konferenz "Narratives of land, peoples, identities" im November ein Kunstprojekt mit israelischen und palästinensischen KünstlerInnen durchgeführt und am vergangenen Donnerstag diese Ausstellung unter dem gleichnamigen Konferenz-Titel eröffnet. Obwohl der Bethlehembesuch für Israelis verboten ist, ließen sich zehn israelische Frauen und Männer nicht davon abhalten: Wir holten sie in Beit Jala ab (dort gibt es noch eine "undichte Stelle"...) und fuhren zusammen ins Zentrum. Ich spürte ihre Verunsicherung und Furcht; im Zentrum angekommen zeigten sie Erleichterung und Begeisterung. Das Zusammentreffen mit den palästinensischen KollegInnen war beeindruckend, die Diskussionen um die Ausstellungsstücke (Fotos, Collagen, Gemälde und Installationen) von Respekt und Achtung gekennzeichnet. Unsere israelischen KollegInnen wollten natürlich gern die Altstadt und die Geburtskirche besichtigen, also geleitete ich sie durch die Gassen. Für mich war beziehungsweise ist es eine ver-rückte Wirklichkeit: Ich als Deutsche begleitete sie in den Ort und in die Geburtskirche. Plätze, die sie von früheren Besuchen und Jahren kennen und die ihnen jetzt so fern sind. In der Geburtskirche angekommen, hörte ich, wie sich ein Tourist einer afrikanischen Reisegruppe bei dem Guide erkundigte, ob denn auch Israelis nach Bethlehem kommen würden. Seine Antwort: ‚Nein, es kommen kaum welche – und wenn, dann geleiten wir sie durch einen Extra-Eingang oder machen eine spezielle Führung. Wir möchten nicht, dass sie attackiert werden und ihnen hier etwas passiert." Wir schauten uns an und gingen schnell weiter. Später wieder im Zentrum angekommen, rief eine Kollegin Freunde in Israel an, um sie zu motivieren, noch nach Bethlehem zur Eröffnungsfeier zu kommen. Heute, am Sonntag, begebe ich mich schon früh nach Jerusalem zum weltweiten Kongress der "Frauen in Schwarz". Die Altstadt ist komplett abgeriegelt und die Polizei befürchtet Auseinandersetzungen zwischen Siedlern und Palästinensern. Endlich angekommen auf dem Ölberg, zeigt sich mir ein buntes Treiben: 700 Frauen aus fast allen Teilen der Welt sind gekommen. Gila Svirsky begrüßt die Frauen begeistert und ruft alle Ländergruppen nacheinander auf. Zehn Frauen wurden zuvor bei ihrer Einreise auf dem Flughafen Tel Aviv festgehalten und bis zu acht Stunden in Haft genommen. Mit 300 bis 400 Teilnehmerinnen hatte Gila gerechnet, die 700 angereisten Frauen bringen die Organisatorinnen ganz schön an die Grenzen. Yana, ihre israelische Kollegin, berichtet in ihrer Begrüßungsansprache von einer Kontroverse mit einem Soldaten während einer vorangegangenen Demonstration: "Er schrie mich an, dass ich keine Ahnung von Kriegsführung habe – ich antwortete ihm, dass ich den Krieg auch nicht verstehen wolle, ich will wissen wie man Frieden macht!" Sie pointiert in ihrer Rede den ihrer Meinung nach in Israel zunehmend mehr entstandenen "Hochsicherheitstrakt": "Ja, die PalästinenserInnen leben in einem Gefängnis hinter der Mauer, aber auch hier in Israel wird unser Leben mehr und mehr durch Polizei und Militär bestimmt." Henriette Dahan-Kalev, eine Wissenschaftlerin jüdisch-arabischer Herkunft beschreibt die schwierigen Lebensbedingungen allein erziehender Mütter orientalischer Herkunft: Sie würden unter den Diskriminierungen und dem dramatischen Sozialabbau in Israel besonders leiden. Zamira Kamal, die palästinensische Frauenministerin, spricht über die Folgen der langjährigen Besatzung und des Krieges: Armut und Verelendung stiegen dramatisch an, besonders würden Frauen und Kinder leiden. Sie prangert die "ethnische Säuberung" Jerusalems und die aggressive Siedlungspolitik an; ganze Komplexe arabischer Häuser und Wohnungen werden derzeit konfisziert und/ oder gesprengt (s die aktuellen Planungen in Silwan, einem arabischen Stadtteil Jerusalems). ie Siedlungen in der Westbank rund um Bethlehem (Har Homa, Gilo und Gush Etzion) werden kontinuierlich ausgeweitet. Die palästinensische Aktivistin Amal Khreisheh warnt vor der zunehmenden Bestimmung des Lebens - und vor allem der Frauen - durch religiöse Vorherrschaft: "Wir Frauen haben immer für Freiheit und Unabhängigkeit gekämpft, die Menschen hier wenden sich heute zunehmend mehr der Religion zu – wir wollen kein Gefängnis, in dem die Religion und das Patriarchat das Sagen haben!" "Den Finger in die Wunde" legt dann Nabila Espanioly aus Nazareth. Sichtlich emotional ruft sie den Frauen zu: "Ja, wir können jetzt alle viele Erfahrungen und Geschichten über das Leiden berichten, wir streiten mittlerweile mehr darüber wer am meisten marginalisiert ist anstatt darüber zu diskutieren, wie wir aus diesem Desaster wieder herauskommen! Liebe Schwestern, wir müssen bei uns selbst beginnen und gegen die Fesseln auch in unseren eigenen Reihen ankämpfen!" Über dreißig Workshops – verteilt über das Wochenende und moderiert von jeweils einem jüdisch-palästinensischem Team – werden angeboten. So zum Beispiel eine Veranstaltung über die jüngsten Ergebnisse einer israelisch-palästinensischen Frauenkonferenz in Istanbul, welche die Umsetzung der UN-Resolution 1325 in den Mittelpunkt rückte (Selbstverpflichtung der UN-Mitgliedsstaaten, Frauen in allen Entscheidungen zu beteiligen). Auf dem Abschlussplenum diskutierten Frauenpolitikerinnen aus Guatemala, Serbien, Italien, Israel und Palästina über mögliche frauenpolitische Strategien und Aktionen: "Wir müssen die Gesetzmäßigkeiten des Krieges, der Gewalt und der Macht durchbrechen; wir müssen von einzelnen Protesten zu einer kontinuierlichen Widerständigkeit kommen’", rief Dalit Baum (Israel) den Frauen zu. Auch gezielte Maßnahmen wie zum Beispiel wirtschaftliche Sanktionen werden diskutiert. Ganz konkrete Solidarität zeigten mehrere hundert Frauen, die sich auf einer großen Kreuzung in Jerusalem zur Mahnwache gegen die israelische Besatzung einfanden und nach Ramallah fuhren, um all die Frauen (und ihre Organisationen) zu besuchen, die aufgrund des Einreiseverbots nach Israel nicht an der Konferenz teilnehmen konnten. erschienen in: Talktogether Nr. 14/2005
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