USA: Hurricane Katrina PDF Drucken E-Mail

 

New Orleans zwischen Hurrikan

und Vernachlässigung

 

„Little Somalia“, nannte es ein US-Ge­neral. Und wirklich, als man die Bilder nach der Hurrikankatastrophe in New Orleans sah, dachte man, dass es sich um Szenen in der Dritten Welt handelte, und nicht im reichsten und mächtigsten Land der Welt. Es gab keinen Weg, den Hurrikan aufzuhalten, aber Chaos, Tod und Leiden, die er ausgelöst hat, wären vermeidbar gewesen. Während auf der ganzen Welt Menschen die schrecklichen Bilder in den Fernsehnachrichten verfolgten, fragten sich viele: Wie konnte es so weit kommen? Warum gab es keine organisierte Evakuation obwohl der Sturm bereits Tage vorher angekündigt wurde? Warum kommt die Hilfe so spät? Der einzige Plan, den es für die Katastrophe gab, war: Jeder muss allein sehen, wie er sich retten kann. Millionen haben versucht, auf eigene Faust zu fliehen, doch über 100.000 Menschen mussten in New Orleans zurückbleiben, einfach weil sie kein Auto hatten, kein Benzin und kein Bargeld.

New Orleans liegt im Zentrum der frü­heren Sklavenplantagen der Südstaaten. Zwei Drittel der Bevölkerung sind schwarz und arm. Die meisten von ihnen warteten mit leeren Taschen auf den Scheck der Sozialhilfe am Ende des Monats, als das Unglück passierte. Ihnen wurde gesagt, sie sollten sich im Football-Stadion sammeln. Doch statt der erhofften Sicherheit, fanden sie sich dort in einem Gefängnis ohne sanitäre Anlagen, Nahrung oder Trinkwasser wieder. Die Menschen hungerten, bald starben die ersten Kinder und alten Menschen an Dehydration. Ihre Leichen blieben zwischen den Menschen liegen.

Die Reaktion von Louisianas Gouver­neurin auf die Katastrophe war, zu einem Tag des Gebets aufzurufen. Die Menschen können beten, wenn sie wollen. Die Aufgabe der Regierung ist aber nicht, zu beten, sondern die Opfer der Katastrophe in Sicherheit unterzubringen, bis sie wieder in ihre Häuser zurückkehren können. Und alles, was Bush dazu zu sagen hatte, war, die Nationalgarde gegen die Menschen zu hetzen und den Schießbefehl gegen Menschen zu erteilen, die in Supermärkte oder Hotels einbrachen, um Nahrung und andere lebensnotwendige Dinge zu besorgen.

Beobachter erzählten, dass die Szenen, wie Polizei und Soldaten, mit den Men­schen umgingen, eher einer Besatzung als einer Rettungsmaßnahme ähnelten. Sobald sich ein paar Leute zusammen­schlossen, wurden sie als gefährliche Gangs bezeichnet. Als nach einer Woche endlich Rettungsmaßnahmen eingeleitet wurden, änderte sich daran nicht viel. Die Menschen mussten sich in Reihen aufstellen und wurden mit vorgehaltener Waffe von einem Tag zum anderen zurückgehalten, bis sie endlich an die Reihe kamen um ausgeflogen zu werden. Viele starben, als sie auf ihre Evakuation warteten, während den wohlhabenden Gästen der Hotels der Vorrang gegeben wurde. Manche der Reporter, die aus New Orleans und Biloxi berichteten, brachen aus Wut und Trauer über das Elend und die Ungerechtigkeit fast in Tränen aus.

Im Gegensatz zu den Darstellungen in den Medien, die hauptsächlich von Plünderern und Chaos berichteten, gab es zahlreiche Beispiele von Hilfsbereitschaft und Solidarität. Ein junger Mann rettete 18 Babies und Kleinkinder aus einem Wohnblock, die er mit einem Schlauchboot ins Stadion beförderte. Dort versorgte er sie weiter, da er keinen Platz gehabt hatte, die Mütter mitzunehmen. Ein Jugendlicher schwamm durch das schlammige Wasser, um eine ältere Frau zu retten, die mit einem Kinderplantschbecken gekentert war, dass sie benutzt hatte, um sich zu retten. Die Leute sammelten Essen und kochten es auf den Dächern für die Menschen, die in den Häusern gefangen waren. Viele durchsuchten die Häuser und Wohnblocks in ihrer Nachbarschaft, um alte oder kranke Leute zu suchen, die sich nicht selbst in Sicherheit bringen konnten. Die Rettungsleute auf dem Dach des Stadions leisteten fast Übermenschliches, als sie versuchten, Tausende Menschen zu versorgen. Mangels elektrischen Stroms mussten sie ihre Muskelkraft einsetzen, um le­bensrettende Geräte in Gang zu halten, während Jugendliche Insulin für Diabetes-Kranke aus Drug-Stores beschafften.

Seit 20 Jahren war Vertretern der FEMA (Federal Emergency Management Agency) bewusst, dass eines Tages ein Hurrikan die Dämme brechen würde, die um die Stadt gebaut wurden. Denn die Stadt liegt unter dem Meeresspiegel und die Dämme sind zu schwach, um einem starken Hurrikan wie „Katrina“ standzuhalten. Die Ex-Umweltministerin Martha Maddan, teilte der Presse mit: „Wir wussten, dass so etwas eines Tages passieren würde!“ Doch obwohl das Risiko bekannt war, wurde nichts unternommen, um die Dämme zu verbessern oder das Pumpsystem der Stadt zu reparieren, weil die Bundesregierung das Budget der Stadt für Dammbauten um zwei Drittel gekürzt hatte. Der Präsident benötigte Geld für den Irakkrieg. Der Krieg hat Priorität vor Maßnahmen, um Menschenleben zu schützen.

Dieses Ereignis hat uns wieder einmal deutlich die Kälte und Gewalttätigkeit des kapitalistischen Systems vor Augen gezeigt. „Wir sind nicht zornig, unsere Gefühle sind jenseits von Zorn!“ drückte ein junger Mann aus Louisiana seine Empfindungen aus. Eine 50-jährige Frau sagte: “Ich habe es so satt, wie ein Hund behandelt zu werden. Wir haben nicht um diesen Hurrikan gebeten – aber irgendwie werden wir behandelt, als wenn wir daran selbst schuld wären, als ob wir die Leute wären, vor denen man Angst haben müsste.“ Wie können ein System und eine Regierung, die ihr Volk so missachten und im Stich lassen, die Berechtigung zu regieren haben? Seine Gegner muss Bush nicht in den abgelegenen Bergregionen Pakistans oder im Irak suchen, denn sie stehen schon längst vor seiner Haustüre.

Quelle: www.rwor.org

erschienen in: Talktogether Nr. 14/2005