Februar 1934 PDF Drucken E-Mail

Vier blutige Tage im Februar 1934

Wenn wir heute an Bürgerkriege denken, assoziieren wir meist Ereignisse, deren Auswirkungen wir nur indirekt durch Flüchtlingsströme erleben. Doch auch in Österreich gab es Auseinandersetzungen zwischen den Gesellschaftsklassen, die in einem bewaffneten Kampf ausgetragen wurden, so im Jahr 1934. Als am 12. Februar die Schutzbündler einer Waffensuchaktion der faschistischen Heimwehr im Linzer sozialdemokratischen Parteiheim "Hotel Schiff" bewaffneten Widerstand leisteten, entbrannte ein vier Tage währender blutiger Bürgerkrieg.

Die Zuspitzung des Klassenkampfes zu einem Bürgerkrieg war nur möglich, weil der österreichischen Arbeiterschaft in dieser Zeit etwas in der Geschichte sehr seltenes und ungewöhnliches zur Verfügung stand, nämlich eine bewaffnete Volksmiliz. Gegründet wurde der „Republikanische Schutzbund“, eine aus den Ordnerschaften des Arbeiterrats und den Arbeiter- und Fabrikswehren der Jahre 1918 und 1919 hervorgegangene proletarische Militärorganisation, im Jahr 1923 von Angehörigen der österreichischen Sozialdemokratischen Partei. Am Höhepunkt seiner Entwicklung umfasste er 80.000 Mitglieder, unterwies seine Angehörigen im Waffengebrauch und führte an den Wochenenden militärische Übungen durch. In geheimen Depots waren reichliche Mengen an Gewehren, Pistolen, Handgranaten, Munition und Sprengstoff gelagert.

In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg erlebte die Sozialde­mokratische Arbeiter-Partei ihren Aufschwung. Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage herrschten Selbstvertrauen und Aufbruchstimmung in der Arbeiterbewegung. Zahlreiche proletarische Organisationen wurden gegründet, freie Gewerkschaften, Mietervereinigung, Konsumgenossenschaften, Kinderfreunde und Freizeitvereine umfassten große Teile der Arbeiterschaft. Praktischer Ausdruck dieser Entwicklung war die Wiener Kommunalpolitik der 1920er Jahre. Der sozialdemokratischen Gemeindeverwaltung gelang es, 60.000 Wohnungen für Arbeiterfamilien, Kindergärten, Bäder und Sportanlagen zu errichten, sowie Wohlfahrtspflege und Schulreform durchzuführen, was durch eine Sonderbesteuerung der Reichen finanziert wurde.
Während nach dem Ersten Weltkrieg Sozialdemokraten, Christlich-Soziale und Deutschnationale noch gemeinsam regierten, kam es bald zu Konflikten zwischen dem bürgerlich konservativen Lager und den Sozialdemokraten. Zwei gegensätzliche ideologische Gesellschaftsmodelle standen sich gegenüber. Die Wirtschaftskrise, die zunehmende Arbeitslosigkeit und das unvorstellbare Elend der Arbeitslosen führte zu immer gewalttätiger werdenden Konfrontationen, die im Jahr 1927 - nach dem Freispruch der Arbeitermörder von Schattendorf - in den Straßenkämpfen am Justizpalastbrand eskalierten. Da der Faschismus auch auf internationaler Ebene Aufwind bekam, war bei der bürgerlichen Regierung von friedlichem Konsens und Kompromiss nichts mehr zu bemerken. Autoritäre Tendenzen traten immer stärker zu Tage. Sie gipfelten im "Korneuburger Eid" der dem christlich-sozialen Lager nahe stehenden Heimwehr, die am 18. Mai 1930 dem Parlamentarismus abschwor.

Der Wille der österreichischen Bourgeoisie, die Arbeiterbewegung zu vernichten, trat in einer Broschüre deutlich zutage, die der Publizist „Sozius“ (Eli Rubin) 1930 mit dem Titel „Lenin in Wien“ herausbrachte. Darin schreibt er etwa: Die asiatische Pest des Marxismus hat Österreich ergriffen (...) Asiatische Gehirne haben einen wüsten Götzendienst aus Menschenhass und Gier ausgebrütet, wie aus beklemmend riechenden Opiumhöhlen dunstet Übles aus den Raubburgen (Sozius meint die Gemeindebauten des Roten Wien) des österreichischen Marxismus“; oder: „In Wien türmen sich, zyklopenhaft aufgeschichtet, die Würfelkolosse der marxistischen Wohnbauten, zumeist blutigrot, dunkelrot wie frisch vergossenes Blut (...) Diese ganze Stadt ist eine einzige furchtbare Festung!“ (…) „Der einzige Machtfaktor in Österreich, der sich aktiv dieser bolschewistischen Lawine entgegenstellt, ist die österreichische Heimwehr, geführt von Dr. Richard Steidle und Dr. Pfrimer. Sie kämpft, wie die Dinge liegen, nicht nur für Österreich, sie verteidigt die Kultur Europas“.

Rebellion gegen die Parteiführung

Mit dem Beginn der Kanzlerschaft von Engelbert Dollfuß verschärfte sich die Lage. Als Dollfuss 1933 das Parlament und alle demokratischen Institutionen ausschaltete, schreckte die sozialdemokratische Führung vor dem offenen Kampf zurück. So war sie unfähig, die Angriffe mit wirkungsvollen Gegenmaßnahmen abzuwehren und gab gegenüber den von Monat zu Monat effektiver werdenden Faschisierungmaßnahmen eine entscheidende Machtposition nach der anderen auf. Karl Renner, Otto Bauer und andere führende Funktionäre versuchten bis in die letzten Tage vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs, die Regierung Dollfuß durch Beschwichtigung gnädig zu stimmen. Diese demoralisierende Rückzugspolitik manövrierte die Arbeiter in eine Situation, in der die Aussicht auf eine erfolgreiche Abwehr der faschistischen Offensive nur mehr sehr gering war.

Doch der Kern der österreichischen Arbeiterschaft war nicht bereit zu resignieren und rebellierte gegen die Parteifüh­rung. Die Arbeiter waren zum Schluss gekommen, dass man dem Faschismus nur begegnen könne, wenn man die Fes­seln einer selbstmörderisch gewordenen Parteidisziplin ab­warf. Zum Wortführer dieser Opposition innerhalb der sozi­aldemokratischen Partei wurde der oberösterreichische Lan­desparteisekretär und Schutzbundobmann Richard Berna­schek. Er war es, der gegen den Willen der Parteispitze das Signal zum Kampf setzte, als am 12. Februar in Oberösterreich die faschistischen Heimwehren einmarschierten und die Landesregierung sowie die Gemeindeverwaltungen von Linz und Steyr absetzten. Wenn er es nicht getan hätte, wäre es wohl ein anderer gewesen, denn die Überzeugung, lieber sterben zu wollen als sich dem Feind kampflos auszuliefern, war in der Arbeiterschaft weit verbreitet.

Der Kampf stand von Beginn an unter denkbar ungünstigen Voraussetzungen für die Arbeiter. Viele Schutzbundkommandanten waren bereits verhaftet worden, wodurch viele geheime Waffenlager unzugänglich blieben, der Generalstreik kam nur lückenhaft zustande und das Bundesheer konnte über die Eisenbahn ungehindert seine Truppen in die Kampfzentren verlegen. Trotzdem lieferten die Arbeiter den an Zahl und Ausrüstung weit überlegenen Regierungstruppen erbitterten Widerstand, vor allem in den Arbeiterbezirken Wiens, in Linz, Steyr und im Kohlerevier des Hausruckviertels, in den Vororten von Graz und in Bruck an der Mur, dem einzigen Ort, wo der Generalstreik lückenlos eingehalten wurde und mit Kolomann Wallisch ein sozialdemokratischer Führer an der Spitze der kämpfenden Arbeiter stand.

Die Niederlage der Arbeiter

Die Herrschenden waren aber zu keinem Kompromiss bereit. Der Weltöffentlichkeit wurde vor Augen geführt, was man in Österreich darunter verstand, die Kultur Europas zu verteidigen. Das Bundesheer, die Polizei, die Gendarmerie und die austro-faschistischen Heimwehren gingen mit äußerster Brutalität gegen die Aufständischen vor. Die Wohnhäuser der Arbeiter standen unter stunden-, oft tagelangem Artilleriebeschuss ohne Rücksicht auf Frauen und Kinder. Auf die Wiener Gemeindebauten sind im Verlauf von drei Kampftagen nicht weniger als 613 Granaten abgefeuert worden. Die Arbeiter wehrten sich heldenhaft. Auf den Höfen und in den Stiegenhäusern der Gemeindebauten entbrannten heftige Kämpfe. Die Arbeiter schleuderten selbst hergestellte primitive Handgranaten, die Frauen gingen mit Küchenmessern und Bügeleisen gegen die Eindringlinge vor. Immer wieder tauchten auf den Dächern und an den Fenstern Schützen auf, die den Kampf wieder aufnahmen. Doch letztendlich mussten sie der Übermacht weichen und nach vier Kampftagen aufgeben.

Die Folgen der Niederlage waren für die Arbeiter verheerend. Über 10.000 Februarkämpfer und Arbeiterfunktionäre wurden verhaftet, 21 Menschen wurden im standrechtlichen Verfahren zum Tode verurteilt, an neun Personen wurden die Todesurteile durch Erhängen vollstreckt. Gefallene Schutzbündler ließ man zur Abschreckung tagelang auf den Straßen liegen, gefangen genommene Arbeiter wurden halbtot geprügelt. Nach ihrem Sieg errichteten die Herrschenden eine autoritär-faschistische ständestaatliche Diktatur. Die Gewerkschaften wurden zerschlagen, alle sozialdemokratischen Vereine aufgelöst und das gesamte kollektive Vermögen der Arbeiter beschlagnahmt.

Oft hört man, die blutigen Kämpfe seien ein Resultat der Radikalität der Sozialdemokratie gewesen. Eine solche Argumentation bedeutet aber, dass man den unterdrückten Schichten prinzipiell das Recht auf Gegenwehr abspricht, weil diese katastrophale und blutige Gegenreaktionen der Herrschenden hervorruft. Der Kampf der Arbeiter im Februar 1934 gehört zu den besten Traditionen der österreichischen Geschichte und hat auch heute seine Bedeutung nicht verloren. 1934 haben die österreichischen Arbeiter der Welt gezeigt, dass der Faschismus auf seinem Vormarsch nicht darauf hoffen darf, überall auf Resignation, Passivität und Kapitulationsbereitschaft zu stoßen. Trotz der Niederlage und der daraus resultierenden Verzweiflung der Arbeiterklasse schimmerte der Sieg bereits durch. Der Februar 1934 wurde zum Vorboten des antifaschistischen Kampfes der internationalen Arbeiterbewegung in Spanien und des vereinigten Kampfes der Völker gegen den Hitlerfaschismus.

Meinungen:
„Von einer geteilten Schuld kann überhaupt keine Rede sein. Die Partei machte Fehler - aber die anderen haben die Demokratie wissentlich, bewusst und mit kühlem Zynismus beseitigt.“ Bruno Kreisky, SPÖ, 1984
"Nein, nicht der bewaffnete Kampf der österreichischen Arbeiterklasse war ein Fehler. Der Fehler bestand darin, dass dieser Kampf nicht organisiert war und nicht auf revolutionäre, bolschewistische Weise geführt wurde. ... Euer Kampf war dem Wesen nach ein Kampf um die Wiederherstellung der von Dollfuß gebrochenen Verfassung. Er ist nicht über diesen Rahmen hinausgegangen..."  Georgi Dimitroff

Quelle: Prof. Dr. Hans Hautmann: Über den 12. Februar 1934,
Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 1/2004 Hans Hautmann: Über den 12. Februar 1934

erschienen in: Talktogether Nr. 15/2006