45 Jahre Arbeitsmigration in Österreich PDF Drucken E-Mail

Integration oder Assimilation?

Nach einem Artikel von Mümtaz Karakurt: Integration/Assimilation? Die österreichische Fremdengesetzgebung und ihre Auswirkungen, 1997

Die Forderung nach Integration der ausländischen ArbeiterInnen ist nicht erst seit den Jugendaufständen in Frankreich ein Schlagwort geworden. Doch was bedeutet Integration? Heißt Integration bedingungslose Anpassung und ist sie eine Leistung, die von den EinwanderInnen allein erbracht werden muss? Tatsächlich wird den MigrantInnen durch die staatliche Diskriminierung die Gleichheit verweigert. Der Rassismus der österreichischen Gesellschaft manifestiert sich in den bestehenden Gesetzen, in den Strukturen des Bildungssystems, des Arbeitsmarkts sowie vieler Institutionen. Die menschenfeindliche Praxis, die Existenz der MigrantInnen in „Kosten-Nutzen“-Abwägungen zu diskutieren, lässt sogar Menschen, die seit drei Generationen in diesem Land leben, immer noch als Fremde gelten.

Einwanderung und die Ausbeutung „ausländischer“ Arbeitskraft existierten in Österreich schon vor der gezielten Anwerbung von ArbeiterInnen in den 1960er Jahren. Vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts leisteten EinwanderInnen aus Böhmen einen entscheidenden Beitrag zur wirtschaftlichen und technischen Entwicklung. Nach dem Zweiten Weltkrieg führte der Wirtschaftsaufschwung zu einem steigenden Bedarf an Arbeitskräften, welcher wiederum steigernde Lohnforderungen von Seiten der österreichischen ArbeiterInnen nach sich zog. Um die Löhne auf niedrigem Niveau zu halten, wurden deshalb von der Wirtschaft billige Arbeitskräfte gesucht. Diese fand man in wirtschaftlich schwächeren Regionen am Rande Europas.

Am 17. Jänner 1961 wurde zwischen der Wirtschaftskammer und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund das „Raab-Olah-Abkommen“ getroffen, mit dem fixe jährliche Kontingente für ausländische Arbeitskräfte für bestimmte Branchen vereinbart wurden. In der Türkei und in Jugoslawien wurden in den darauf folgenden Jahren „Anwerbestellen für Gastarbeiter“ eingerichtet. Die Arbeitskräfte, genannt „Gastarbeiter“, wurden durch österreichische Ärzte untersucht und mussten Prüfungen zum Nachweis ihrer Qualifikationen ablegen. Wer jung, gesund, kräftig und ausgebildet war, erhielt einen Vertrag mit einer Firma und die Fahrkarte für den „Gastarbeiterzug“. Das System der Gastarbeiter war auf dem Rotationsprinzip aufgebaut: Man wollte sie nur so lange dulden, solange ein Bedarf am Arbeitsmarkt besteht.

Der damalige Präsident des ÖGB Olah stellte bei den Verhandlungen mit der Wirtschaftskammer die Bedingung, „dass ausländische Arbeitskräfte bei Entlassungen zuerst entlassen werden müssen“ (Bundeswirtschaftskammer 1963). Die ausländischen ArbeiterInnen wurden vor allem im Billiglohnsektor und in Bereichen, in denen ÖsterreicherInnen nicht bereit waren zu arbeiten, eingesetzt. Sie waren aber nicht nur für die Unternehmen ein gutes Geschäft, sondern auch für den Staat. Die ausländischen ArbeiterInnen boten ihre Arbeitskraft als eine „Fertigware“ an. Die „Gastländer“ haben zu den Kosten, die nötig waren, um diese „Ware“ zu beschaffen, nichts beigetragen, denn die Ausbildungs- und Erziehungskosten hat das Herkunftsland geleistet.

Da davon ausgegangen wurde, dass die ArbeitsmigrantInnen nach getaner Arbeit das Land wieder verlassen, war die Integration lange kein Thema. Doch entgegen den Plänen der Regierenden kehrten viele der „Gastarbeiter“ nicht in ihre Heimatländer zurück, sondern holten ihre Familien nach. Viele dieser Familien haben ihren Lebensmittelpunkt in Österreich gefunden. Aber obwohl sie die gleichen Pflichten haben – sie bezahlen die vollen Beträge für Steuer und Sozialversicherungskosten ein –, werden ihnen wesentliche Bürgerrechte wie das Wahlrecht auf allen Ebenen vorenthalten. Nach den „Ausländergesetzen“ können AusländerInnen ausgewiesen werden, selbst wenn sie schon mehrere Jahre in Österreich leben, wenn sie nicht über ausreichende Mittel verfügen oder ihre Wohnung den Behörden zu klein erscheint. Bereits zwei Verwaltungsstrafen genügen, dass ein Aufenthaltsverbot verhängt werden kann.

Während die gesellschaftlichen Bedingungen, die die MigrantInnen an den Rand drängen, nicht in Frage gestellt werden, wird den AusländerInnen mangelnde Integrationswilligkeit unterstellt. Ihre mangelhaften Sprachkenntnisse, ihre Kultur, ihre Anzahl, ihre Andersartigkeit, ihre lebendige Anwesenheit werden zum Problem erklärt und ihnen somit selbst die Verantwortung für den herrschenden Rassismus zugeschoben. Integration wird als einseitige Unterwerfung angesehen, zu der weder die österreichischen Behörden noch die Bevölkerung etwas beizutragen hätten. Als ob das nicht genug wäre, wird den EinwanderInnen auch noch die Verantwortung für soziale Probleme der Gesellschaft wie Arbeitslosigkeit, steigende Kriminalitätsraten, mangelnde Infrastruktur und schlechte Wohnverhältnisse  zugeschoben. So hieß es 1992 in einem Bescheid des Magistrates Linz, der die Ablehnung eines Antrags auf Familienzusammenführung wie folgt begründet:

„In einzelnen Bezirken beträgt der Ausländeranteil bis zu 13% der Wohnbevölkerung; weiters halten sich mehr als ein Viertel aller in Österreich registrierten de-facto-Flüchtlinge und Asylwerber in Oberösterreich auf. Nach den internationalen Erfahrungen kommt es bereits bei einem Ausländeranteil von mehr als 10% verstärkt zu sozialen Spannungen zwischen der Bevölkerung und Neuzuwanderern. Die Ursache dafür liegt zum Teil in der Verdrängung inländischer und bereits integrierter ausländischer Arbeitnehmer, wie auch in der mangelnden infrastrukturellen Ausstattung (insbesondere Wohnungen). Aber auch die Kriminalstruktur läst laut Sicherheitsbericht 1992 darauf schließen, dass bei sozialen Konflikten die Kriminalität ansteigt.“ 

Nebeneinander oder Miteinander?

Das Schlagwort Multikulturalität erweckt bei vielen lebhafte Bilder von bunten Veranstaltungen, bei denen Musik, folkloristische Darbietungen und vielfältige Speisen präsentiert werden. Als Belohnung für Multikulturalität wird „Bereicherung“ in Aussicht gestellt. Doch bedeutet Multikulturalität die Abkehr vom Imperativ der Assimilation, oder ist es nur ein anderes Wort für dauerhafte Ausgrenzung? Kultur wird in dieser Sichtweise als etwas Abgeschlossenes und Fertiges betrachtet, das jemand in seinem Reisegepäck mitnimmt. Aber gerade durch solche Bilder werden Stereotype gefördert, dass diese oder jene Eigenschaft typisch für Afrikaner, Türken etc. wäre. Die Menschen werden nicht als Individuen mit ihren Verschiedenheiten, sondern als Mitglieder eines Kollektivs betrachtet, deren vermeintliche Merkmale sie zwangsläufig und endgültig besitzen. Kultur ist aber genauso wie Identität kein abgeschlossener Prozess, sondern fortwährend in Entwicklung begriffen (Selin Prakash-Özer, Mümtaz Karakurt: Leben in der Fremde 1998).

Manche gutmeinende Menschen meinen, dass Vorurteile durch Informationsdefizite über andere Kulturen verursacht werden. Sie hoffen, dass größere Information zu vermehrter Toleranz führen und dass die Toleranz gegenüber anderen Kulturen zur Harmonisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse beitragen könne. Man muss sich jedoch vor Augen halten, dass der Toleranzbegriff voraussetzt, dass die eine Gruppe die Macht hat zu tolerieren, während die andere nur abwarten kann, ob sie toleriert oder zurückgewiesen wird (Philomena Essed).

Integration heißt nicht Unterwerfung, sondern freiwilliges Annehmen, nicht toleriert werden, sondern gegenseitige Akzeptanz. Um ein gleichberechtigtes Miteinander statt eines Nebeneinanders zu erreichen, bedarf es der An­strengung aller Beteiligten. Integration sollte kein Training zur Assimilation sein, sondern die Betroffenen müssen mit ihren Bedürfnis­sen ernst genommen werden. Solange die Menschen, die aus dem Ausland einge­wandert sind, nicht die selben Bürger­rechte bekommen, solange sie rechtlos und unmündig gehal­ten werden, solange sie nicht als In­dividuen akzeptiert werden, werden alle Integrationsbemü­hungen nicht zum Erfolg führen.

Quelle: Mümtaz Karakurt: Integration/Assimilation? Die österreichische Fremdengesetzgebung und ihre Auswirkungen, 1997 (zusammengefasst). In: Zapotoczky, Klaus und Gruber, Petra (Hrsg.) Entwicklungstheorien im Widerspruch. Frankfurt 1997. 

erschienen in: Talktogether Nr. 15/2006

Foto und mehr zum Thema: virtuelle Ausstellung "Gastarbajteri" http://gastarbajteri.at/