Flüchtlingshölle an Europas AußenpostenDie kleinen spanischen Enklaven Ceuta und Melilla in Marokko stellten seit vielen Jahren Schlupflöcher in die Festung Europa dar. In den umgebenden Wäldern leben afrikanische Flüchtlinge in versteckten, aber gut organisierten Gemeinschaften und warten auf ihre Chance, über die Stacheldrahtzäune zu klettern oder mit einem kleinen Boot die Meerenge von Gibraltar zu überqueren. Von Melilla aus kann man die spanische Küste deutlich sehen. Doch das Meer ist trügerisch. Manchmal werden die spanischen Küsten mit Leichen überschwemmt. „Sie sagen, der schnelle Tod ist besser, als vor den Augen ihrer Eltern zu sterben“, erzählte ein marokkanischer Sozialarbeiter, der mit den meist jugendlichen MigrantInnen arbeitet. Manche von ihnen waren schon jahrelang unterwegs, seit sie ihre Heimatländer Mali, Senegal, Ghana oder Nigeria verlassen hatten. Bis vor kurzem haben die spanischen Behörden diese „Einwanderer“ meist nicht zurückgeschoben, weil vor allem die riesigen Agrarkonzerne froh waren über den Nachschub an billigen Arbeitskräften, die ihnen ermöglichten, Europa mit Obst und Gemüse zu beliefern. Doch das Spiel wurde grimmiger. Die ungerechten Handelsbedingungen und die unmenschlichen Strukturanpassungsmaßnahmen, die den „Dritte-Welt“-Ländern von den internationalen Finanzinstitutionen aufgezwungen werden, verursachen in Afrika zunehmend Wirtschaftskrisen und Hungersnöte. Immer mehr junge Leute sehen keinen anderen Ausweg aus dieser Hoffnungslosigkeit, als die gefährliche Reise nach Europa zu wagen. Im September und Oktober versuchten Hunderte dieser Menschen, die Zäune zu bezwingen. Man vermutet, dass sich die Nachricht verbreitet hat, dass die Stacheldrahtzäune erhöht und technische Überwachungsinstrumente eingesetzt werden sollten. Die Männer nahmen alle Kleidungsstücke, die sie besaßen, um sich vor dem tödlichen Stacheldraht zu schützen, und stürmten den Zaun in Gruppen. „Am 3. Oktober strömten Hunderte blutend und hinkend nach Mellila“, berichtete ein Reporter. Sie hinterließen den Draht eingefärbt mit Fetzen aus Fleisch und Stoff. Spanien beschuldigte Marokko, die EinwanderInnen ermutigt zu haben, die Zäune zu stürmen, um Spanien zur Aufgabe der Enklaven zu bewegen. Ob das der Wahrheit entspricht oder nicht, Marokkos König beugte sich schnell dem Druck. Als zwei Tage später 500 Flüchtlinge erneut versuchten, in die Enklave einzudringen, wurden sie von der marokkanischen Polizei geschlagen und festgenommen. Nach ihren Angaben wurden fünf Menschen in Ceuta und sechs in Melilla erschossen, doch Menschenrechtsorganisationen geben an, dass die Zahl viel höher sei. Sie dokumentierten, dass Polizei und Militär beider Länder zusammenarbeiteten, um die ImmigrantInnen zu bekämpfen. Spanien ließ Marokko die Schmutzarbeit machen, indem es einen bisher noch nie benützten Vertrag anwandte, der Marokko zwingt, alle Menschen aufzunehmen, die Spanien „illegal“ von dort aus betreten haben. Hunderte Flüchtlinge wurden nach Marokko abgeschoben, unter ihnen auch Leute, die bereits auf spanischem Boden gelebt hatten. Die Situation wurde von den Behörden zum „Notstand“ erklärt, ohne die Bedingungen zu berücksichtigen, die diese Menschen in Richtung Norden getrieben hatte. 9000 marokkanische Polizisten zogen aus und fielen über die Flüchtlingslager her. Die Flüchtlinge wurden auf Lastwagen verladen und gezwungen, die Grenze nach Algerien zu überschreiten, ebenso „illegal“ wie sie herein gekommen waren. Doch weil sie von dort aus auch wieder zurückkommen könnten, wurde eine neue Methode eingeführt. Nach Angaben der Madrider Tageszeitung „El País“ stopfte die marokkanische Polizei 1500 Flüchtlinge in Busse und fuhr sie in Handschellen zehn Stunden lang in eine weit abgelegene Gegend, wo es nichts gibt außer endlosem Sand und Steinen. Dort wurden die Menschen in der Nacht ohne Essen und Wasser ausgesetzt und ihrem Schicksal überlassen, unter ihnen auch schwangere Frauen und Kinder. Empörung löste der Bericht der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ aus, die eine Gruppe von 500 Menschen in der Wüste aufgefunden hatte, viele von ihnen schwer verwundet. Inmitten dieses Aufschreis gegen eine solche Unmenschlichkeit, versuchten die spanischen Behörden sich von dem, wie sie es nannten, „Exzess“ der marokkanischen Behörden, zu distanzieren. Gleichzeitig kündigten sie ein neues Programm der „politischen und wirtschaftlichen Hilfe“ für die marokkanische Monarchie an. Man kann buchstäblich sagen, dass die Marokkaner dafür bezahlt werden, damit sie den Europäern die Flüchtlinge vom Hals schaffen. Quelle: A World to Win News Service: http://www.aworldtowin.org/wordpress/ erschienen in: Talktogether Nr. 15/2006
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