Raks Sharki - der orientalische Tanz
Gunda Kerndl im Gespräch mit Nadia Cipriani
"Für mich ist der Tanz etwas ganz Besonderes, er drückt aus, dass das Leben ein Fest ist. Sicher ist es auch Trauer, Leid und Schmerz, aber es ist auch ein Fest, und das gehört gefeiert.“
Gunda: Wie bist du zum orientalischen Tanz gekommen?
Nadia: Ich habe schon als kleines Mädchen sehr gerne getanzt. Doch ich bin in einem sehr körper- und sexualitätsfeindlichen Milieu aufgewachsen. Mit sechs Jahren kam ich in Rom in ein katholisches Internat. Dort war die Erziehung sehr streng und körperliche Bedürfnisse wurden unterdrückt. Die Nonnen haben uns geschlagen, wenn wir Musik gehört und getanzt haben. In Salzburg machte ich einen Kurs im Afro-Asiatischen Institut bei einer Tanzlehrerin aus Nordafrika und lernte die ersten Schritte. Ich entdeckte, dass der orientalische Tanz für meine spezielle Situation sehr passend war. Er ermöglichte mir, den Zugang zu meinem eigenen Körper, meinen Gefühlen und meiner Weiblichkeit, welcher durch meine Kindheitserfahrungen blockiert gewesen war, wiederzufinden. Der orientalische Tanz ist ein sehr femininer Tanz, die Bewegungen des Körpers und der Hände sind kreisförmig. Für mich war es am Anfang schwierig, doch langsam spürte ich, wie sich die Blockaden im Beckenbereich langsam auflösten. Ich war damals sehr schüchtern und gehemmt, der Tanz gab mir zu meinem Selbstbewusstsein als Frau sehr viel Kraft. Nachdem sich dieser kleine Kurs aufgelöst hatte, machte ich eine Ausbildung im Tanzstudio Nadea, heute arbeite ich im Studio 13, Zentrum für Kreativität Gesundheit und Bewegung.
Gunda: Du hast erzählt, dass im katholischen Internat die Freude am Körper und der Bewegung mit Schmerz bestraft wurde. War es schwer, dich davon zu lösen?
Nadia: Schwer würde ich es nicht nennen – der Tanz ist schon schwierig doch für jede Frau lernbar. Es war vielmehr eine Auseinandersetzung mit meiner Vergangenheit, eine Auseinandersetzung mit dem „Frausein“ in einer Gesellschaft, die immer noch sehr von Männern dominiert wird, und in der Kreativität unterdrückt wird. Ich habe im Tanz eine Befreiung erlebt.
Gunda: Du hast bewusst nein gesagt zur Unterdrückung der Bewegungsfreude…
Nadia: Es geht nicht nur um Bewegungsfreude. Die Kreativität, die wie ich glaube in jedem Kind steckt, sei es männlich oder weiblich, die Lust am eigenen Körper, die ganze Lebensfreude wurden systematisch erstickt. Ich glaube, dass nicht nur ich, sondern die meisten Menschen in irgendeiner Art und Weise so etwas erfahren haben. Alles was mit dem Körper zu tun hat, wurde als schmutzig oder sündig bezeichnet, es war einfach nicht gut, eine Frau zu sein. Diese negative Programmierung hat mich lange gehindert, dem Trauma ins Gesicht zu schauen, es zu verarbeiten und zu heilen. Dann habe ich für mich die ganzheitliche Medizin entdeckt. Ich finde, dass der Tanz für die Frau – sicher auch für die Männer, die brauchen das vielleicht noch viel mehr – ein Heilungsprozess sein kann, der sicher ein Leben lang dauert, bis alle Blockaden gelöst sind.
Gunda: Woher stammt der orientalische Tanz oder Bauchtanz, wie er oft fälschlicher Weise genannt wird?
Nadia: Die Ursprünge des orientalischen Tanzes liegen weit zurück in der matriarchalischen Zeit vermutlich vor 30.000 Jahren. Man weiß nicht genau, ob er aus Afrika oder Indien kommt, da gibt es unterschiedliche Theorien. Er verbreitete sich im ganzen Orient und war lange Zeit hoch angesehen. Ursprünglich war er ein religiöser Fruchtbarkeitstanz, um Dankbarkeit gegenüber der „Mutter Erde“ auszudrücken. Er war in Altertum in Ägypten verbreitet und wird auch im Alten Testament erwähnt. Später bekam der orientalische Tanz einen schlechten Ruf und wurde mit Prostitution in Zusammenhang gebracht. Erst in der modernen Zeit, ausgehend von Amerika, ist es wieder zu einer Belebung dieser alten Tradition gekommen. Der Trend kam über Europa zurück in den Orient, heute gibt es in Ägypten zahlreiche Tanzschulen. In den 1970er und 1980er Jahren erlebte er einen großen Boom, das war die Zeit, in der die ganzen Körpertherapien nach Wilhelm Reich entstanden sind.
Gunda: Wie wirken die Bewegungen auf den Körper und die Seele?
Nadia: Durch die kreisenden Bewegungen in der Brust und in der Hüfte werden Energien freigesetzt und die Chakren geöffnet. Das bewirkt eine bessere Atmung, fördert die Durchblutung und den Kreislauf, der Rhythmus wirkt auf das Herz. Aber auf wissenschaftliche Weise kann ich das nicht erklären, so weit bin ich in meinem Studium noch nicht vorgedrungen, es ist ja ein lebenslanges Studium. Viele Frauen, die sich für den orientalischen Tanz interessieren, suchen - meist unbewusst - Harmonisierung und Stressabbau. Für mich ist der Tanz etwas ganz Besonderes, er drückt aus, dass das Leben ein Fest ist, sicher ist es auch Trauer, Leid und Schmerz, aber es ist auch ein Fest, und das gehört gefeiert.
erschienen in: Talktogether Nr. 15/2006
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