Indien: Privatisierung und Landraub in Orissa PDF Drucken E-Mail

Entwicklung für wen?

Nach den Plänen der globalen Machthaber sollen alle natürlichen Reichtümer der Erde zu einer verkäuflichen Handelsware gemacht werden. Nicht einmal lebenswichtige Rohstoffe wie Wasser sind ausgenommen, sondern stellen in den Augen der Konzernchefs ein gigantisches Geschäft dar. Wie wird unsere Zukunft aussehen, wenn wir uns nicht gegen den Raub unserer Lebensquellen wehren? Vielleicht können wir dann den Wasserhahn nur mehr aufdrehen, wenn wir zuvor eine aufgeladene Chipkarte in einen Automaten gesteckt haben.

Für die Menschen in den abhängigen Ländern des Südens nehmen die Folgen dieser Politik bedrohliche Ausmaße an. Für sie bedeutet es, nicht mehr in den Flüssen baden, fischen, ihre Kleider waschen oder ihre Felder mit dem Flusswasser bewässern zu können, wie sie es jahrhundertelang getan haben. Im südindischen Plachimada etwa müssen die Frauen heute täglich kilometerweit gehen, um einen Brunnen zu finden, der noch nicht ausgetrocknet oder verseucht ist. Weil der Coca-Cola Konzern täglich 800.000 Liter Trinkwasser abpumpt, ist der Grundwasserspiegels drastisch gesunken. Das teure Tafelwasser, das der Konzern abfüllt, kann sich die einheimische Bevölkerung aber nicht leisten. Durch die schmutzigen Sümpfe, wohin die Abwässer der Fabrik geleitet werden, haben sich außerdem die Fälle von Malaria in der Region vervielfacht. Für die ärmsten und benachteiligsten Bevölkerungsgruppen entscheiden solche Veränderungen oft über Leben und Tod. Doch die Menschen haben aus der Erfahrung gelernt, sich zu wehren.

Die Grausamkeit des Konflikts offenbarte sich bei einem Vorfall im ostindischen Bundesstaat Orissa zu Beginn des Jahres. Während sich die Reichen von den luxuriösen Silvesterfeiern ausruhten, wurden 12 Stammesangehörige massakriert, weil sie ihr Recht zu Überleben gefordert hatten. In Kalinga Nagar, auf der Baustelle des geplanten Tata-Stahlwerks, wollte die Regierung den Protest der Bevölkerung mit brutaler Gewalt zum Schweigen bringen. Auf ihre Forderung nach einer gerechten Entschädigung für die Beschlagnahme ihres Landes antwortete sie nicht mit Verhandlungen, sondern mit Gummiknüppeln und Tränengas. Das erzürnte die Demonstranten so sehr, dass sie sich mit Steinen und Pfeil und Bogen zur Wehr setzten, ein Polizist kam dabei ums Leben. In Panik begannen die Polizisten daraufhin, wahllos in die Menge zu schießen.

Die Anspannung steigerte sich, als am Morgen des 4. Jänner fünf grausam verstümmelte Leichen entdeckt wurden. Die Genitalien der Männer und die Brüste der Frau waren abgeschnitten. Es war offensichtlich, dass diese Menschen nicht bei der Schießerei ums Leben gekommen, sondern gefangen, brutal gefoltert und ermordet worden waren. Beim Begräbnis der Opfer schworen die Stammesführer, nicht einen Quadratmeter ihres Landes mehr herzugeben. Am 7. Jänner lähmte ein Generalstreik das öffentliche Leben in Orissa, Straßen und Eisenbahnen wurden durch Blockaden abgesperrt.

Die Saat für den Konflikt in der Region wurde in den 1990er Jahren gesät. Auf der Suche nach immer neuen Profitquellen bedienen sich die global agierenden Konzerne politischer Instrumente, um ihre Interessen durchzusetzen. Die Weltbank zwang auch den indischen Staat, seine natürlichen Reichtümer zur Privatisierung freizugeben. In diesen Jahren haben sich zuerst nur zwei Firmen angesiedelt, NINL und MISL, ein weiteres Unternehmen gab sein Projekt nach massiven Protesten auf. Doch im Jahr 2004 plante der Tata-Konzern den Bau eines Stahlwerks und begann mit der massiven Vertreibung der Stammesangehörigen aus ihren Siedlungsgebieten. Diese weigerten sich aber, ihr Land ohne angemessene Entschädigungszahlung zu verlassen. Sie hatten aus den Erfahrungen bei der Errichtung des NINL-Werks gelernt. Damals hatten die Familien vom Staat nur minimale Beträge als Entschädigung für ihre Vertreibung erhalten, während der Staat den Grund um den zehnfachen Preis an die Firmen verkaufte. Während den Konzernen für 20 Jahre Steuerfreiheit und kostenloser Strom garantiert wurden, bekamen die vertriebenen Menschen nichts. Statt der versprochenen Jobs wurden sie auf unfruchtbares Land umgesiedelt, wo es weder sauberes Wasser noch Schulen oder medizinische Betreuung gibt. Die meisten Familien sind abgewandert, wahrscheinlich in die stetig anschwellenden Slums der Großstädte. Andere leben heute „illegal“ auf den Firmengründen, als Flüchtlinge auf ihrem eigenen Land.

Orissa ist einer der an Bodenschätzen reichsten Staaten Indiens, doch die BewohnerInnen gehören zu den ärmsten. 22 Prozent der Bevölkerung sind Adivasi, wie die Angehörigen der indigenen Bevölkerung in Indien genannt werden. Der Hauptgrund für ihre Armut ist der Raub ihres Landes. Die reichen Eisenerz-, Bauxit-, Chrom-, Kohle- und Manganvorkommen sind Anziehungspunkte für zahlreiche indische und multinationale Konzerne. Zahlreiche weitere Stahlwerke und Aluminiumraffinerien sind in Planung, durch die riesige Flächen fruchtbaren Acker- und Weidelandes sowie riesige Wälder vernichtet würden. Um die Menschen zu vertreiben, werden auch paramilitärische Truppen und faschistische Gangs ausgeschickt, die Menschen töten, Frauen vergewaltigen und Dörfer zerstören.

Den Globalisierungsgegnern wird oft vorgeworfen, sie seien entwicklungsfeindlich. Natürlich ist Entwicklung notwendig für das Wohlergehen der Menschen, aber die Frage ist: Entwicklung für wen? Für die Bewohner der Region oder für die Konzerne, die gigantische Gewinne abziehen aus einer der rückständigsten Regionen des Erde? Dazu kommt, dass die Minen in ein paar Jahrzehnten erschöpft sein werden. Zurück bleiben eine zerstörte Umwelt, für immer vernichtete indigene Kulturen sowie nie wieder gutzumachendes menschliches Leid. Wenn nur die Konzerne von der Entwicklung profitieren und nicht die Menschen, wird in Indien ein neuer Bürgerkrieg stattfinden und Kalinga Nagar wird nur ein Vorgeschmack sein auf das, womit die Herrschenden in Zukunft werden rechnen müssen.

Quelle: A World to Win News Service: http://www.aworldtowin.org/wordpress/

erschienen in: Talktogether Nr. 16/2006