Kunsttherapie in der Schubhaft in Salzburg PDF Drucken E-Mail

Raum für Möglichkeiten in einer unmöglichen Situation 

von Roland Felbinger

 Rund 120 Personen werden derzeit im Salzburger Polizeianhaltezentrum in Schubhaft gehalten – damit sind die zur Verfügung stehenden Plätze voll belegt. Dies ist die deutlich spürbare Auswirkung der Gesetzeslage, die sich mit Anfang des Jahres geändert hat. Mehr als die Hälfte der Personen in Schubhaft sind AsylwerberInnen – ihre Flucht vor Krieg, Folter und oft lebensbedrohlicher Armut endete hinter Gittern. Vielfach werden Flüchtlinge hier mit einer Perspektive konfrontiert, die Existenzängste verschärft: Sie sollen in einen anderen Staat weiter-, ab- oder gar ins Herkunftsland zurückgeschoben werden.

Seit nunmehr zehn Jahren leistet der Diakonie Flüchtlingsdienst psychosoziale und humanitäre Dienste in der Schubhaft, um die Situation für die Angehaltenen zu erleichtern. Jetzt wurde die Arbeit um ein bahnbrechendes Angebot erweitert: „Mit der Kunsttherapie schaffen wir Raum für Möglichkeiten – in einer Lage, die für die angehaltenen Menschen als buchstäblich unmöglich empfunden wird“, sagt Roland Felbinger vom Flüchtlingsdienst. „An zweiundzwanzig Stunden täglich bleibt ihnen nichts anderes übrig, als untätig in ihren Zellen zu sitzen und darauf zu warten, dass die Behörden über ihr Schicksal entscheiden. Vor allem für AsylwerberInnen – die unserer Ansicht nach auf keinen Fall in Schubhaft genommen werden sollten – ist das eine kritische Situation. Diese kann zu Retraumatisierungen oder Verzweiflungstaten führen, wie zum Beispiel Selbstverletzungen.“

In der Kunsttherapie finden Menschen in Schubhaft die Möglichkeit, sich mit ihren (Existenz-) Ängsten auseinander zu setzen und neue Perspektiven zu entwickeln. In kleinen Gruppen, die von der Kunsttherapeutin Joy Hörwarter geleitet werden, entstehen Zeichnungen und Gemälde. Diese Bilder sind für die TeilnehmerInnen wie Fenster nach außen, durch die Freunde und Familie schauen, und gleichsam Fenster nach innen, ins eigene Sein. Hörwarter: „Oft werden Angehörige dargestellt – meistens symbolisch in Tiergestalt. Viele Menschen in Schubhaft machen sich Sorgen um die Zurückgebliebenen, wissen nicht, wie es ihnen geht oder wo sie sind.“ Auch Enttäuschung und Zorn über die Situation in der Schubhaft und über die ungewisse Zukunft werden in der Kunsttherapie verarbeitet. „In den Therapiegruppen haben die TeilnehmerInnen und ich schon alle Emotionen durchlebt – es wurde gelacht und geweint, manchmal auch gesungen“, sagt Hörwarter.

Für die Polizei, die für die Durchführung der Schubhaft zuständig ist, klang die Idee, Kunsttherapie anzubieten, zunächst völlig absurd. Stadtpolizeikommandant Major Lindenthaler: „Als uns der Flüchtlingsdienst zum ersten Mal den Vorschlag unterbreitet hat, habe ich innerlich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Doch das Projekt hat sich auch als wichtig für das Miteinander der Angehaltenen herausgestellt.“ Der Kommandant des Polizeianhaltezentrums, Chefinspektor Reyer, ergänzt: „Es gibt jetzt weniger Aggression in der Schubhaft. Auch für die BeamtInnen hat das Projekt eine Erleichterung gebracht.“

In der sechsmonatigen Pilotphase des kunsttherapeutischen Projekts haben 79 Personen aus 28 verschiedenen Ländern an dem Projekt teilgenommen. Mehrere Hundert Bilder sind dabei entstanden – und damit die Möglichkeit, Unaussprechliches und Unbewusstes auszudrücken. Eine Auswahl der Bilder war bis vor kurzem in der Bundespolizeidirektion in Salzburg zu sehen. Jetzt geht die Ausstellung auf Wanderschaft durch Österreich. Am 23. Juni werden einige der Bilder auch im Rahmen des Festes zum Internationalen Flüchtlingstag in der ARGEkultur in Salzburg zu sehen sein.

Leider ist die Fortführung dieses österreichweit einzigartigen Pilotprojektes nicht gesichert: Während für die Materialkosten das Polizeianhaltezentrum aufkommen würde, fehlt es an der Finanzierung der Personalkosten für die Kunsttherapeutin. Mag.a Daiva Döring, Leiterin der Diakonie Schubhaftbetreuung: „Wir übernehmen die Kosten der Weiterführung zunächst auf eigenes Risiko und hoffen darauf, dass sich das Innenministerium zu einer Subventionierung bereit erklären wird.“ Denn die Ergebnisse der Pilotphase sprechen für sich. Auch Polizeidirektor Dr. Gottfried Mayr sagt: „Es wäre wirklich sehr schade, wenn die Kunsttherapie eingestellt werden müsste!“

erschienen in: Talktogether Nr. 16/2006