Gespräch mit Kwambo „Wenn ein Afrikaner in Frieden leben, Arbeit finden, seine Kinder ernähren und in die Schule schicken könnte, dann würde er höchstens auf Urlaub nach Europa reisen.“
Talk Together: Fast 50 Jahre Unabhängigkeit, doch kaum Fortschritte in Afrika. Was ist schief gelaufen? Kwambo: Was zählt sind die nicht Jahre, sondern die Gründe für das Scheitern. Man hat sich von der Unabhängigkeit eine große wirtschaftliche, politische Entwicklung sowie große Fortschritte in der Bildung erwartet. Diese Erwartungen sind aber nicht eingetroffen. Die Leitung der Staaten ist meist nicht in die Hände derer gefallen, die für eine eigenständige Entwicklung arbeiteten. Die Kolonialherren haben die Macht an jene übergeben, die nur das weiter führten, was sie von ihnen gelernt hatten. Sie haben bewiesen, dass sie gute Schüler sind und sogar noch besser ausbeuten, unterdrücken, töten und foltern können als ihre Lehrer. Die Freiheitskämpfer hatten keine Chance, sondern wurden von ihnen im Auftrag der Kolonialmächte ermordet, wenn sie sich ihnen in den Weg stellten. Talk Together: Was sind die Faktoren, die eine unabhängige Entwicklung verhindert haben? Kwambo: Diese Handlanger arbeiteten nicht für das Interesse des Volkes. Ihr Ziel war nur, den Sessel des weißen Mannes einzunehmen. Die Kolonialmächte, die das Ziel hatten, die kolonialen Verhältnisse aufrechtzuerhalten, konnten jetzt sagen: Sie haben ja nun ihre eigene Regierung. Die Unabhängigkeit ist dabei auf der Strecke geblieben. Die Freiheitskämpfer, die Sehnsucht nach Freiheit und Demokratie hatten, wurden von der Administration entfernt. Ein Beispiel ist Lumumba, er war ein Symbol für den Freiheitswillen der afrikanischen Völker, doch ihn hat man auf grausame Weise aus dem Weg geräumt, als Warnung an andere. Hinzu kommt aber auch, dass das europäische Modell der Demokratie in Afrika vielfach nicht funktionierte, weil nur die Reichen, die Gebildeten, die städtische Bevölkerung daran Anteil hatten, während es großen Teilen der Bevölkerung fremd und unbekannt war. Talk Together: Gab es Politiker, die versuchten, einen anderen Weg zu beschreiten? Kwambo: Ja. Ein gutes Beispiel war für mich Julius Nyerere in Tansania. Er war ein Mann aus dem Volk, er trug dieselben Kleider wie sein Volk und teilte seine Probleme… Ich meine damit, er hat sich nicht auf Kosten seines Volkes bereichert wie viele andere. Es gab genügend Staatsführer, die nur danach trachteten, sich in ein paar Jahren zu Multimillionären zu machen. Nyereres Konzept war ein auf die afrikanischen Verhältnisse angepasster Sozialismus. Das Land sollte sich aus eigener Kraft ernähren und nicht von Importen abhängig sein. Andere Staatsführer haben sich von der Sowjetunion abhängig gemacht, warteten also auch wieder auf Hilfe aus Europa. Obwohl jeder wusste, dass auch die Sowjetunion ihre eigenen Interessen vertrat, fehlte ihnen das Selbstbewusstsein, als gleichberechtigte Partner entgegenzutreten und zu sagen: „Ihr braucht unsere Rohstoffe und wir euer technisches Know How“. Unzweifelhaft gab es aber in dieser Phase in vielen Ländern riesige Fortschritte: Banken und ausländischen Firmen wurden verstaatlicht, Straßen, Schulen und Krankenhäuser gebaut. Die Menschen erlebten das erste Mal das Gefühl von Freiheit. Talk Together: Woran sind die Versuche gescheitert? Kwambo: Die traditionellen Säulen der afrikanischen Gesellschaft sind nicht der Staat, sondern die Familie, der Clan und der Stamm. Man ist abhängig von seinen Leuten und zu gegenseitiger Hilfe verpflichtet. Leute wie Siad Barre in Somalia haben die kulturellen Gegebenheiten und das traditionelle System ignoriert und versucht, das sowjetische Modell zu kopieren. Das funktionierte nicht, sondern erzeugte Konflikte und Widerstand. Dann blieb auch ihm nichts anderes übrig, als sich auf seinen eigenen Clan zu verlassen. Er verschaffte seinen Leuten wichtige Staatsposten, was wiederum Neid und Missgunst bei den anderen hervorrief, die auch ihren Anteil am Kuchen wollten. So wurde er von einem Staatsdiktator zu einem Stammesdiktator - ein typisches Beispiel für Afrika – und damit war die Grundlage für die Katastrophe des Bürgerkrieges gelegt: Hunger, Gewalt, Not, Flucht… Talk Together: Wird mit Spendenaktionen und Hilfslieferungen den AfrikanerInnen wirklich geholfen? Kwambo: Nein, es wird nicht der Hunger damit gestillt, sondern es ist ein Geschäft geworden. Es ist unfair, wenn arme Pensionistinnen monatlich Geld an Hilfsorganisationen spenden, das Geld aber nicht in den Händen der Bedürftigen landet. Hilfslieferungen machen außerdem die Menschen abhängig, das ist doch das Schlimmste, was man einem Menschen antun kann. Das lähmt ihn und gibt ihm das Bewusstsein, nutzlos zu sein. Hinzu kommt, dass Hilfslieferungen die einheimischen Märkte vernichten, so haben Maislieferungen in Somalia die Kleinbauern vernichtet, in Nigeria haben Altkleiderspenden die einheimischen Schneider in den Ruin getrieben. Sinnvoll finde ich nur, wenn man in ein konkretes Projekt investiert, dass den Menschen dazu dient, sich auf eigene Beine zu stellen. Also wenn man ein Projekt, z.B. um Brunnen oder Bewässerungsanlagen zu bauen, ein paar Jahre unterstützt, aber danach müssen die Menschen selbst zurechtkommen, sonst hat es keinen Sinn. Ich bin sogar dafür, dass dieses Geld zurückgezahlt werden sollte. Meistens erwarten die Spender aber auch Gegenleistungen, religiöse Missionare etwa - ob sie nun christlich oder islamisch sind - wollen nur ihre Ideologien verbreiten. Es ist meiner Meinung nach sinnlos, Kirchen oder Moscheen zu bauen, wenn die Menschen Trinkwasser, Krankenhäuser, Straßen und Schulen brauchen, wenn sie das haben, können sie sich ihre Kirchen und Moscheen auch selbst bauen. Wenn jemand beten will, so kommt das aus dem Herzen und er kann das überall tun. Talk Together: Heute hört man auch aus Afrika über Religionskonflikte und Fundamentalismus. Warum werden solche Konflikte so schnell aufgenommen? Kwambo: Manche warten ja nur auf einen Anlass um loszuschlagen – diese Konflikte verkaufen sich heute wie warme Semmeln. Afrika ist vielfältig, neben dem Islam und dem Christentum gibt es zahlreiche andere Religionen. Bis jetzt haben die Menschen aber miteinander gelebt, Religion war in der Vergangenheit kaum jemals ein Grund für Auseinandersetzungen. Heute hört man plötzlich davon, dass sich Menschen wegen der Religion gegenseitig umbringen. Diese Konflikte sind von außen importiert. Vor allem seit dem 11. September werden diese Konflikte überall hin transportiert. Ob in London, im Irak, in Indonesien oder in Lagos, Überall auf der Welt gibt es die gleichen Konflikte, die gleiche Angst… Früher kannte man in Afrika nur den Tribalismus, jetzt ist eine neue Herausforderung dazugekommen, mit den Religionskonflikten umzugehen. Der Hintergrund ist meiner Meinung Aussichtslosigkeit, Aggressivität und unüberlegte Gewalt, auf der anderen Seite die ständigen grenzenlosen Provokationen, versteckt hinter den heuchlerischen Floskeln "Demokratie" und "Meinungsfreiheit". Provokationen zielen darauf, den anderen absichtlich zu beleidigen – wie das z.B. bei den „Miss-World-Wahlen“ in Nigeria geschehen ist. Wenn religiöse Gefühle verletzt werden, kommt es leicht zu unüberlegten Handlungen. Doch auf der anderen Seite versteckt sich auch die Gewaltbereitschaft hinter der Religion - hier findet ein Missbrauch auf beiden Seiten statt. Talk Together: Wer steht hinter diesen Konflikten, und wie können sie überwunden werden? Kwambo: Politik, Wirtschaft und Religion stehen im Zusammenhang. Wer um die Macht kämpft, sucht Verbündete, wo man sie gerade findet, wenn man keine andere Wahl hat, ruft man die "Glaubensbrüder". Hinzu kommt, dass die Konflikte vom Ausland geschürt werden, wie etwa im Sudan. Wenn ich heute in den Irak schaue, frage ich mich: Woher kommt diese grenzenlose Wut? Die Menschen lassen sich durch Hass leiten, sie lassen sich gegeneinander aufhetzen. Hier haben wir wieder die "Teile-und-Herrsche"-Politik. Wenn sich angesehene Leute von beiden Seiten, von den Schiiten und Sunniten einigen und gegen den Krieg Widerstand leisten würden (was wahrscheinlich naiv klingt und wohl undurchführbar wäre), wäre das eine Blamage für das Weiße Haus, und sie würden versuchen, neue Konflikte innerhalb der Gruppen zu schüren. Ich habe aber im Fernsehen einen Bericht über Nigeria gesehen, wo es ja schlimme Ausschreitungen gegeben hat. Dort haben sich religiöse Führer zusammengetan, um die Konflikte zu entschärfen und zu überwinden, was offenbar auch gelungen ist. Über solche Initiativen freue ich mich sehr. Talk Together: Warum fliehen heute so viele Menschen aus Afrika? Kwambo: Früher wurden die Afrikaner zwangsweise verschleppt, weil man ihre Arbeitskraft benutzen wollte. Heute werden die Menschen in Afrika durch Kriege und wirtschaftliche Not vertrieben. Die Menschen fliehen dorthin, wo man in Frieden und Wohlstand leben kann, und das ist dort, woher die Waffen gekommen sind. Viele Familien in Afrika leben ja nur von den Geldsendungen aus dem Ausland. Wenn ein Afrikaner in Frieden leben, Arbeit finden, seine Kinder ernähren und in die Schule schicken könnte, dann würde er höchstens auf Urlaub nach Europa reisen. Wenn die Baumwollbauern in Mali in den Ruin getrieben werden, weil sie gegen die subventionierte Billigbaumwolle aus den USA nicht mithalten können, oder wenn kleine einheimische Fabriken zunichte gemacht werden, weil der Markt mit EU-Billigprodukten überschwemmt wird, nimmt man den Menschen jede Möglichkeit, aus eigener Kraft zu überleben. Es ist die Ungerechtigkeit, die die Menschen aus ihren Ländern vertreibt. Aber es sind nicht nur die Europäer oder die Amerikaner, die Schuld an der Misere haben, die Probleme sind zum Teil auch hausgemacht - durch schlechte Verwaltung und korrupte Regierungen - also muss ich meine Kritik an beide Seiten richten. Talk Together: Wie könnte man eine Lösung finden? Kwambo: Die Afrikaner haben sich einreden lassen, dass sie unterentwickelt seien, doch was man unter Entwicklung versteht, ist doch eine Frage der Sichtweise. Eine Gesellschaft beispielsweise, die im Dschungel lebt, hat ein Wissen, von dem wir keine Ahnung haben und wovon wir lernen können. Die Menschen in Afrika müssten ihr gemeinsames Interesse, ihren gemeinsamen Wunsch nach Frieden, Wohlstand und Demokratie erkennen und sich zusammenschließen, um für diese Ziele zu kämpfen. Die Afrikaner müssen aufhören, sich das System von den Europäern diktieren zu lassen, und stattdessen versuchen, eine eigenständige Art der Demokratie zu entwickeln, basierend auf überlieferten sozialen Systemen. Das heißt nicht, dass wir nicht von den Erfahrungen der Europäer lernen sollen, z.B. das System der Gewaltentrennung und der gegenseitigen Kontrolle, wie wir es hier in Österreich haben, finde ich sehr sinnvoll. Leider fällt es den Menschen in Afrika nicht leicht, die Grenzen vom Clan- und Stammesdenken zu überwinden. Die Einigung als Volk ist noch nicht entwickelt genug. Um diese Abhängigkeit zu überwinden, braucht es Selbstbewusstsein und Bildung, aber auch eine Regierung, die halbwegs Gerechtigkeit garantiert und den Menschen Orientierung gibt und Chancen ermöglicht. Talk Together: Wie geht es den AfrikanerInnen in Europa? Kwambo: Für viele Menschen, die aus Gebieten gekommen sind, wo Krieg und Armut herrschen, stehen Geld und Wohlstand im Vordergrund. Viele AfrikanerInnen haben aber im Hinterkopf, eines Tages wieder in ihre Heimat zurückzukehren, weil sie in Europa mit Rassismus und Ausgrenzung konfrontiert sind. Rassismus und Vorurteile sind leider allgegenwärtig. So habe ich von einem Fall in der Steiermark gehört, wo sich ein Afrikaner in Haus kaufen wollte, jedoch die Nachbarn dagegen protestierten, um das zu verhindern. Talk Together: Die Erfahrungen haben gezeigt, dass in Europa große Teile der ImmigrantInnen am Rande der Gesellschaft leben. Warum funktioniert die Integration nicht? Kwambo: Viele MigrantInnen leiden unter wirtschaftlicher Benachteiligung, selbst Angehörige der zweiten oder dritten Generation werden vielfach noch als Fremde angesehen. Von den Einwanderern wird Integration erwartet, aber wie sollte man sich integrieren, wenn es keine Möglichkeiten gibt? Man schiebt den Einwanderern die Schuld zu, integrationsunwillig zu sein. Konflikte oder Auseinandersetzungen gibt es aber meist dann, wenn die EinwanderInnen ihre Rechte fordern, wenn junge Leute, die hier geboren und aufgewachsen sind, einfordern, als gleichberechtigte Bürger anerkannt zu werden. Jene, die nur unter sich bleiben und zufrieden damit sind, ihr traditionelles Leben weiter zu führen, bekommen meist keine Probleme. Wenn wir wollen, dass die Integration funktioniert, muss auch das Interesse geweckt werden. Integration ist keine Einbahnstraße, sondern ein gegenseitiger Prozess. Es muss Angebote geben, Räume, in denen die Menschen ihre Ideen entwickeln und verwirklichen können. Zeig mir, was du kannst, ich zeige dir, was ich kann, nur so kann das Selbstbewusstsein gefördert werden. erschienen in: Talktogether Nr. 21/2007
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