Gespräch mit Amir aus dem Iran PDF Drucken E-Mail

Gespräch mit Amir aus dem Iran:

„Der Mensch lebt doch auch durch seine Fantasie! Wir brauchen natürlich Demokratie. Aber wenn es eine wirkliche Demokratie gäbe, dann wäre die Welt doch ein Paradies.“


Talk Together: Wie war dein Leben, bevor du nach Österreich gekommen bist?

 

Amir: Im Iran war ich Lehrer, jedoch wurde ich aufgrund meiner politischen Überzeugung verfolgt und habe meine Stelle verloren. Ich war Mitglied einer marxistischen Organisation, die sich Fadai nennt, was man ungefähr mit „Opfer für das Volk“ übersetzen könnte. Ich unterrichtete Biologie in einer Schule in den Bergen. Ich habe mit meinen Schülern oft darüber gesprochen, warum die Menschen in unserem Land so arm sind, obwohl wir so viel Öl haben. Ein Schüler hat das zu Hause erzählt, und der Onkel des Schülers war Mitglied des Geheimdiensts. Danach hat man mich beobachtet und zehn Tage später wurde ich verhaftet. Man verband mir die Augen und steckte mich ein eine Gefängniszelle, wo man mich schlug. Drei Jahre war ich im Gefängnis, danach wurde über mich ein Berufsverbot verhängt und ich durfte nicht mehr als Lehrer arbeiten.

Talk Together: Was hast du danach getan?

Amir: Danach musste ich mir andere Jobs suchen, ich zog von Stadt zu Stadt und verrichtete verschiedene Arbeiten. Sechs Monate arbeitete ich in einer Textilfabrik. Dort herrschten sehr schlechte Arbeitsbedingungen und die Löhne waren sehr niedrig. Deshalb wurde eine Demonstration organisiert, an der ich mich auch beteiligte. Dabei wurde ich wieder verhaftet und verbrachte ein halbes Jahr im Gefängnis.

Talk Together: Wann hast du beschlossen, den Iran zu verlassen?

Amir: Das war, nachdem ich und ein paar Freunde vom Geheimdienst festgenommen wurden, als wir gerade dabei waren, Plakate und Transparente für eine 1. Mai Demonstration vorzubereiteten. Zu dieser Zeit war gerade Ramazan. Der 1. Mai ist im Iran kein Feiertag wie hier, sondern illegal. Nach dreizehn Tagen transportierten sie mich in einem LKW in Richtung Choramshar, dabei gelang es mir abzuspringen und zu flüchten. Ich verbrachte 4 Monate mit falschem Pass in der Türkei, danach 3 Monate in Sarajewo, bis ich endlich nach Österreich kam. Von meinen Freunden, die mit mir verhaftet worden sind, fehlt jede Spur, niemand weiß, wo sie sind und was mit ihnen geschehen ist.

Talk Together: Es wird viel über das iranische Atomprogramm gesprochen. Was ist deine Meinung darüber?

Amir: Auch wenn ich meine Regierung hasse und natürlich gegen Atomwaffen bin, kann ich trotzdem nicht einsehen, dass unser Land nicht haben darf, was andere auch haben. Wenn eine Speise gut ist, ist sie für alle gut, wenn sie schädlich oder giftig ist, ist sie für alle giftig. Wenn der andere ein Messer hat, suche ich selbst auch ein Messer, um mich verteidigen zu können. Wenn sie einen Angriff planen, suchen sie irgendeinen Vorwand. Im Irak waren es die angeblichen Massenvernichtungswaffen, und in Afghanistan Taliban und Al Qaida. Wer sind denn die Taliban überhaupt? Sie sind doch eine Abteilung der CIA. Und was ist Al Qaida? Wurden sie nicht von der CIA erschaffen? Trotzdem glaube ich nicht, dass die USA wirklich einen Angriff auf den Iran planen, meiner Meinung nach ist das ein Spiel zwischen den Regierungen der USA und des Iran.

Talk Together: Was denkt die iranische Bevölkerung über die Androhung von Strafen, wenn die iranische Regierung das Atomprogramm  nicht einstellt?

Amir: Natürlich kann ich das nicht genau sagen, weil ich ja nicht im Iran bin, aber ich telefoniere regelmäßig mit meiner Familie und Freunden. Natürlich gibt es unterschiedliche Meinungen dazu, manche denken, wir brauchen das Atomprogramm, andere meinen, es wäre viel zu teuer. Natürlich haben die Menschen auch Angst vor Krieg. Aber ich glaube, dass der größte Teil der iranischen Bevölkerung zu sehr damit beschäftig ist, das tägliches Überleben zu sichern, um sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Wenn ich sie darauf anspreche, sagen manche: „Lass mich damit in Ruhe! Ich suche Brot!“ oder „Von mir aus sollen die Amerikaner den ganzen Iran bombardieren!“

Talk Together: Wie ist die jetzige politische und wirtschaftliche Situation im Iran?

Amir: Die wirtschaftliche Situation für die meisten Menschen im Iran ist katastrophal. Obwohl der Iran über natürliche Reichtümer wie Öl, Gold, Bodenschätze und den Fischreichtum von zwei Meeren verfügt und gute Einnahmen in die Staatskasse fließen, lebt ein Großteil der iranischen Bevölkerung in bitterer Armut. Wohin fließt das ganze Geld? Es gibt eine Handvoll Reiche, die den ganzen Reichtum abziehen und ins Ausland transferieren. Heute ist die Lage viel schlimmer als zu Zeiten des Schah, damals gab es zwar politische Unterdrückung, aber den Leuten ging es wirtschaftlich besser als heute. Schulbildung, Krankenversorgung, Öl, Gas und Strom waren damals für die Bevölkerung gratis und die Wohnungen billig, heute ist alles sehr teuer geworden. Ein Kilo Orangen kostete früher 1 Cent und heute 5 Euro bei einem Durchschnittslohn eines Arbeiters von 300-400 Euro im Monat. Und das, obwohl es im Norden und im Süden des Landes riesige Obstanbaugebiete gibt. Ich habe den Eindruck, dass das Regime die Bevölkerung aushungern will, denn wenn der Bauch leer ist, hat man keine Zeit und Kraft, sich mit Politik zu beschäftigen.

Talk Together: Es heißt, das Ahmadinejad in seiner Zeit als Bürgermeister den Armen geholfen hat. Was denkst du über den Präsidenten Ahmadinejad?

Amir: Wenn jemand Millionen stielt und dann ein paar Euro den Armen gibt, kann man das als helfen bezeichnen. Für mich ist er auch nur wieder eine neue Marionette, ein Schauspieler, den sie auf die Bühne geschickt haben. Ich vergleiche das mit einer elektrischen Sicherung. Damit die ganze Situation sich nicht in einer Explosion entlädt, benötigen sie eine Sicherung. Diese Rolle hat Khatami gespielt, der das Volk mit der Aussicht auf Reformen hingehalten hat. Genauso ist es bei Ahmadinejad. Die Menschen leiden unter Hunger und Arbeitslosigkeit, und das Volk soll mit Versprechungen auf Verbesserungen besänftigt werden.

Talk Together: Was denkst du über die Rolle der EU?

Amir: Die Europäer stehen mit einem Fuß hier und mit dem anderen dort. Einerseits laufen sie mit den USA konform, treten aber ein bisschen leiser. Andrerseits haben sie aber ihre eigenen Interessen und stehen mit den USA in Konkurrenz. Es gibt viele englische, französische und deutsche Konzerne im Iran, an einem Krieg im Iran sind sie bestimmt nicht interessiert. Unter einem Krieg und der damit verbundenen Erhöhung des Ölpreises würden vor allem Europa und China leiden, die USA haben große Ölreserven. Aber auch die USA machen Geschäfte mit der iranischen Regierung, nur läuft das auf Umwegen, sozusagen unter dem Tisch.

Talk Together: Welche Interessen standen deiner Meinung nach hinter der Machtergreifung der islamischen Regierung im Iran?

Amir: Letztendlich ging es ums Öl. Der Schah wollte den Ölpreis hoch halten und die Ölexportmenge nicht mehr erhöhen. Deshalb wollten die USA und die Europäer ihn loswerden. Die Revolution wurde ja nicht nur von Islamisten, sondern auch von Kommunisten geführt, die den Schah stürzen wollten. Doch dann holte man Khomeini aus dem Irak zuerst nach Frankreich, und dann wurde er in den Iran geschickt. Zuerst war die SAVAK, die Geheimpolizei des Schahs, gegen Khomeini, dann hat sie ihm geholfen. Aber Khomeini war kein schlechter Mensch, meine Familie kannte ihn und hat ihn manchmal besucht, als er noch im Irak lebte. Ich mochte ihn, er hatte ein gutes Herz, nur von Politik verstand er nichts. Er wäre besser in der Moschee geblieben, dann hätte er nicht so viel Schaden anrichten können.

Talk Together: Wie stehst du zur Religion?

Amir: Ich bin auch religiös erzogen worden und war bis zu meinem 19. Lebensjahr sehr gläubig. Doch dann begann ich zu zweifeln. Man sagt, Gott ist die Liebe, warum ist unsere Welt dann so schlecht? Man sagt, dass wir alle gleich sind, das ist aber nicht wahr. Ich habe jetzt Hunger, ich will nicht auf das Paradies warten. Wo ist Gott? Ich habe immer nach der Wahrheit gesucht, und ich denke, dieses Gefühl ist in jedem Menschen. Meiner Meinung nach ist der Glaube an Gott aber eine private Sache, die niemanden etwas angeht. Niemand kann anderen befehlen oder verbieten, an Gott zu glauben. Egal, ob jemand an Gott glaubt oder nicht, man muss ein Mensch sein. Es kommt doch nur darauf an, wie ein Mensch handelt. Viele haben Verbrechen begangen im Namen Gottes, andere glaubten nicht an Gott und haben auch Verbrechen begangen.

Talk Together: Was war der Hintergrund für den Krieg zwischen dem Iran und dem Irak?

Amir: Bei uns gibt es ein Sprichwort, man kann gut im Trüben fischen. Der Krieg war ein gutes Geschäft, die USA und andere imperialistische Mächte haben an beide Seiten Waffen verkauft.

Talk Together: Was könnte den Iran aus der Krise herausholen?

Amir: Wie kann ich nur an mein Land denken? Heutzutage ist die Welt wie ein Dorf geworden, alles hängt zusammen. Wenn ein Mensch krank ist, kann ich ihm doch auch nicht helfen, indem ich nur seinen Finger heile. Eine Lösung nur für ein Land zu finden, ohne die globalen Probleme zu lösen, erscheint mir unrealistisch. Wenn nur wieder andere Marionetten eingesetzt werden, wird sich nicht viel verbessern. Damit sich wirklich etwas ändert, müsste die Basis für die ganze Ungerechtigkeit zerstört werden. Dafür sehe ich zurzeit aber keinen Weg. Das soll aber nicht heißen, dass ich die Hoffnung aufgegeben habe. Der Mensch lebt doch auch durch seine Fantasie! Wir brauchen natürlich Demokratie – aber wenn es eine wirkliche Demokratie gäbe, dann wäre die Welt doch ein Paradies. Normal 0 21 false false false DE X-NONE X-NONE MicrosoftInternetExplorer4

erschienen in: Talktogether Nr. 18/2006

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