Grenzenlose Erwartungen
und ernĂŒchternde RealitĂ€t nach dem Wahlsieg in Nepal
In dem kleinen Staat an den HĂ€ngen des Himalaya fehlt es den meisten Menschen sogar am Nötigsten. In mĂŒhsamer Arbeit versuchen die Bauern, dem steinigen Land ihr tĂ€gliches Brot abzuringen. Doch das nepalische Volk hat beschlossen, dass seine Zukunft anders aussehen soll. Es hat beschlossen, dass es den König nicht mehr braucht und sein Schicksal in die eigenen HĂ€nde nehmen will.
Keine gewöhnliche Wahl
Das Ergebnis der ersten freien Wahl nach neun Jahren in Nepal glich einer Sensation: Die Kommunistische Partei Nepals (Maoistisch), die bei ihrer GrĂŒndung noch als unbedeutende Splittergruppe belĂ€chelt worden war, wurde am 23. April 2008 nach AuszĂ€hlung der Stimmen von der Wahlkommission als Wahlsieger benannt. Wenn die âMaobadiâ, wie die Mitglieder der Partei vom Volk genannt werden, auch proportional nicht die absolute Mehrheit erreichten, wurde die CPN-M stĂ€rkste Partei und erhielt mehr als doppelt so viele Stimmen als ihre nĂ€chster Rivale, der Nepali Congress, wĂ€hrend königstreue Gruppen nicht einmal den Einzug ins Parlament schafften.
Dieser Wandel hĂ€tte nicht stattfinden können ohne den jahrelangen zĂ€hen Kampf fĂŒr Erneuerung, der von der Partei in den lĂ€ndlichen Gebieten des Landes gefĂŒhrt wurde. Ein Kampf, der eine neue demokratische Revolution zum Ziel hat, um das Land vom Imperialismus und Feudalismus zu befreien. Vor zwei Jahren griff die Bewegung auch auf die StĂ€dte ĂŒber. Mit Streiks, StraĂenblockaden und Demonstrationen wurde der verhasste König Gyanendra gezwungen, die absolute Macht abzugeben und das Parlament wieder einzusetzen.
Internationale Wahlbeobachter, darunter der ehemalige US-PrĂ€sident Jimmy Carter, bescheinigten eine weitgehend faire und freie Wahl. Sie waren voll des Lobes fĂŒr den Wahlprozess, vor allem auch, weil er friedlicher verlief als erwartet.
Blockade und schwierige Verhandlungen
Unbeirrt von der Kritik innerhalb der kommunistischen Weltbewegung â vor allem von Genossen aus Indien, die ihr aufgrund ihrer parlamentarisch-institutionellen Orientierung die Abkehr von revolutionĂ€ren Prinzipien vorwerfen, hielt die CPN-M an ihrer Taktik fest. Denn, âdem Volk zu dienenâ heiĂt fĂŒr sie, Möglichkeiten und Gefahren richtig einzuschĂ€tzen und die Menschen keinen unnötigen Risiken auszusetzen, trotzdem aber das Ziel nie aus den Augen zu verlieren. Der Parteivorsitzende, der 54-jĂ€hrige Pushpa Kamal Dahal, genannt Prachanda, erklĂ€rte im Mai in The Worker: âKommunisten in aller Welt mĂŒssen die neuen Herausforderungen verstehen, vor denen wir heute am Anfang des 21. Jahrhunderts stehen. Wir sind zur Erkenntnis gelangt, dass ein Mehrparteiensystem fĂŒr eine pulsierende Gesellschaft notwendig ist, auch im Sozialismusâ.
Am 28. Mai wurde die Republik ausgerufen und König Gyanendra musste den Palast rĂ€umen. Ansonsten gab es nicht viel Einigkeit bei den Mitgliedern der verfassungsgebenden Versammlung. Die bei der Wahl geschlagenen Parteien bildeten eine Allianz und setzen alles daran, jede Bewegung der CPN-M zu blockieren, woraus diese die Konsequenz zog, sich vorerst nicht an einer Regierungsbildung zu beteiligen. Eine Regierungsbeteiligung sei fĂŒr die Partei nur eine Schlinge, um sich aufzuhĂ€ngen, da es unter den herrschenden UmstĂ€nden unmöglich sei, das geplante Programm zu implementieren, lautete die BegrĂŒndung. SchlieĂlich wurde aber doch noch eine Einigung mit den meisten der Parlamentsparteien erzielt, und am 17. August wurde der ehemalige Lehrer Prachanda, der zehn Jahre im Untergrund lebte, von den Abgeordneten mit groĂer Mehrheit zum Premierminister der neuen Republik gewĂ€hlt.
Viele offene Fragen
Viel mehr als die Frage der Postenverteilung brennt den Menschen in Nepal aber die Frage im Herzen, ob die Errungenschaften, die das Volk durch zehn Jahre ausdauernden Kampf und zahlreiche Opfer errungen hat, landesweit konsolidiert werden können. Die RevolutionĂ€re sind mit dem Slogan: âDas Land denen, die es bebauen!â ins Feld gezogen. Wird es ihnen auch gelingen, die WiderstĂ€nde zu ĂŒberwinden, die drĂŒckende Armut zu bekĂ€mpfen und die grundlegendsten BedĂŒrfnisse der Bevölkerung zu befriedigen? Werden die armen Bauern, die Frauen, die unterdrĂŒckten Kasten und die nationalen Minderheiten ihre neu gewonnen Rechte verteidigen können? Wird Nepal eine Basis fĂŒr eine revolutionĂ€re Umgestaltung der Welt oder bleibt das Land im Netz auslĂ€ndischer Interessen gefangen? Dieser Kampf ist noch lange nicht entschieden.
Prachanda ist ĂŒberzeugt: âDer revolutionĂ€re Prozess findet heute in LĂ€ndern der Dritten Welt statt. Wenn er dort vollendet ist, wird die Welle auch auf die entwickelten LĂ€nder ĂŒbergreifenâ. Der brennende Wunsch nach tief greifenden VerĂ€nderungen spiegelt sich auch in den Gesichtern Tausender jubelnder junger Menschen wider, die auf den StraĂen mit Paraden den Wahlsieg feierten. Werden sich ihre grenzenlosen Erwartungen erfĂŒllen? Normal 0 21 false false false MicrosoftInternetExplorer4
erschienen in: Talktogether Nr. 25/2008
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