MigrantInnen beim Wort: „Jetzt red’ i mit!“ PDF Drucken E-Mail

„Jetzt red’ i mit!“

Es passiert selten, dass Migrantinnen die Möglichkeit haben, über Integration, über ihre Situation und die Zukunft in ihrer neuen Heimat mitzudiskutieren. Über diese Themen erfahren sie meist nur aus dem Fernsehen oder lesen in den Zeitungen. Es gibt aber MigrantInnen, die sich, wenn sie diese Nachrichten erhalten, die Frage stellen: Warum hat man uns nicht informiert, warum ignoriert man uns? Aber diese Fragen bleiben meist unbeantwortet.

Auf der einen Seite wird von den MigrantInnen erwartet sich zu integrieren, andrerseits fehlen aber Anhaltspunkte, was darunter zu verstehen sei, ebenso wie bedürfnisgerechte Angebote. Während das Thema Integration 20 Jahre lang von der Politik vernachlässigt wurde, ist dieses Wort heute in aller Munde. Weil Integration meist einseitig mit Vorschriften verbunden ist, die sie zu erfüllen haben, und das Thema auch immer wieder für rechte Kräfte zu einem Wahlkampfthema geworden ist, wirkt dieser Begriff allerdings für MigrantInnen meist fordernd und oft sogar bedrohlich.

Da der Verein VeBBAS sehr eng mit MigrantInnen zusammenarbeitet, sind Dr. Margit Öppmayr und Dr. Manfred Oberlechner auf die Idee gekommen, diese ungewöhnliche Diskussionsrunde mit dem Titel „Jetzt red’ i mit“ zu organisieren. Dabei nahmen sie die zurzeit stattfindende Erarbeitung eines Integrationskonzeptes für das Land Salzburg zum Anlass, das Thema Integration aus Sicht der MigrantInnen zu beleuchten.

Auf dem Podium befanden sich ausschließlich MigrantInnen, während der größte Teil des Publikums aus Einheimischen bestand. Die Diskussion wurde vom Obmann des Verein Salzburg - Kultur und Kommunikation und Talktogether Herausgeber Abdullahi Osman moderiert, es diskutierten Badih Sheihani aus Syrien, Djuja Bećirević aus Bosnien, Giti und Azar Omidi aus dem Iran, Radmilla Stojćić aus Serbien und Jubril Olawunmi aus Nigeria.

Die Stadt Salzburg hat bereits vor einiger Zeit ein Integrationskonzept beschlossen, während sich jenes des Landes noch in Arbeit befindet. Auf die Frage, ob die DiskussionsteilnehmerInnen von diesem Prozess etwas mitbekommen hätten, stellte sich aber heraus, dass zwar einige TeilnehmerInnen von einem Integrationskonzept gehört hatten, jedoch fast niemand dessen Inhalt kannte. Auffällig war auch, dass sich sehr viele Interessierte an der Diskussion beteiligten, aber trotz Einladung - mit Ausnahme von Frau. Mag. Julia Sommer vom Land Salzburg - verantwortliche PolitikerInnen und Integrationsbeauftragte von Stadt und Land fehlten.

Radmilla Stojćić, die als eine der wenigen MigrantInnen an einer Arbeitsgruppe zur Erstellung des Integrationskonzeptes beteiligt war, klärte auf. Frau Stojćić berichtete, dass die Inhalte dieses Papiers zwar schön klängen, allerdings die Leute nicht erreichten. Erstens, würden die Betroffenen zu wenig informiert und zweitens, mangele es an Konzepten zur konkreten Umsetzung. Hinzu komme, dass sich die Integrationsbemühungen vor allem auf das Thema der Sprache konzentrierten, während andere Aspekte vernachlässigt würden.

Da nur wenige der Beteiligten den Inhalt des Integrationskonzepts kannten, kamen in der Diskussion vor allem unterschiedliche Erfahrungen und Meinungen zur Sprache. Der nigerianische Taxifahrer Jubril Olawunmi erklärte, dass er nach wie vor Nigeria und nicht Österreich als seine Heimat betrachte, weil er sich verpflichtet fühle, für die Entwicklung seines Landes etwas zu tun. Der herrschende Rassismus gegenüber schwarzen Menschen in Österreich trage aber auch seinen Teil zu diesem Gefühl bei.

Djuja Bećirević dagegen sieht Österreich als ihre neue Heimat an und betrachtet es als vorrangige Aufgabe der Familie, dieses Gefühl auch den Kindern zu vermitteln, um das Gefühl der Gespaltenheit, unter dem viele Jugendliche aus der zweiten Generation leiden, zu verhindern. Azar Omidi aus dem Iran kritisierte die Ungerechtigkeit, dass allein erziehende Mütter bei der Erteilung der Staatsbürgerschaft benachteiligt seien, da sie den dafür erforderlichen Mindestverdienst nur unter größten Schwierigkeiten erzielen könnten.

Azars Schwester Giti, die in Salzburg studiert, warf ein, dass viele MigrantInnen aus Ländern kämen, in denen Diktatur, Bürgerkrieg und Folter an der Tagesordnung stünden, und deshalb froh seien, in einem Rechtsstaat wie Österreich zu leben. Sie stellte aber auch den Integrationsbegriff in Frage, der für sie nicht mit Nationalität verbunden sei, da sie selbst ihr Land aus dem Grund verlassen hatte, weil sie sich dort nicht integrieren konnte.

Angesprochen wurde auch die Problematik von MigrantInnen der zweiten und dritten Generation, die sich oft nirgends richtig verwurzelt fühlen. Da man sich aber nur dort integrieren kann, wo man sich wohl fühlt, sollte Kindern nicht nur im Kindergarten und in der Schule, sondern auch in den eigenen vier Wänden das Gefühl gegeben werden, hier zu Hause zu sein. Bei diesem Punkt stellte sich jedoch heraus, dass der Begriff „Integration“ nicht eindeutig zu definieren ist, und es entwickelte sich eine heftige Debatte darüber, wo die Grenze zwischen Integration und Anpassung liege.

Auf die Frage „Brauchen wir denn ein Integrationskonzept?“ waren sich jedoch alle Anwesenden einig, dass ein Integrationskonzept durchaus sinnvoll und notwendig sei. Es sollte jedoch kein Konzept sein, das den Menschen von oben übergestülpt werde. Es könne nur dann erfolgreich sein, wenn die Betroffenen selbst mitreden und mitentscheiden können.

Es stellt sich die Frage, was VeBBas und seine Freunde mit dieser Veranstaltung erreichen wollten. Als MigrantIn fühlt man sich oft unmündig und nicht ernst genommen. Dieser Abend lieferte den Beweis dafür, dass MigrantInnen mündig und ernst zu nehmen sind. Darüber hinaus konnte die weit verbreitete Meinung, MigrantInnen seien nicht an Integration interessiert, widerlegt und gleichzeitig bestätigt werden, dass es genügend MigrantInnen gibt, die den ausdrücklichen Wunsch und die Fähigkeit haben, an der Gestaltung einer gemeinsamen Zukunft aktiv mitzuwirken. Normal 0 21 false false false MicrosoftInternetExplorer4

erschienen in: Talktogether Nr. 25/2008