Israel/Palästina: Stimmen für den Frieden PDF Drucken E-Mail

STIMMEN FÃœR DEN FRIEDEN

IN ISRAEL UND PALÄSTINA

Viele Israelis sind nicht mehr bereit zum Unrecht, das täglich an der palästinensischen Zivilbevöl­kerung verübt wird, zu schweigen. Während Zeitungen und Fernsehnachrichten vor­zugsweise über Bombenattentate und Militäraktionen berichten, haben die Stimmen, die für Vernunft und Frieden plädieren, vergleichsweise wenig Echo in den Medien. Sowohl in Israel als auch in Palästina sind aber zahlreiche Menschen überzeugt, dass nur eine friedliche und gerechte Lösung ein menschen­würdiges und angstfreies Zusammenleben für alle Menschen in dieser Region ermöglichen kann. Wäh­rend Millionen von Palästinensern zu Flüchtlingen gemacht wurden und unter katastrophalen Bedingun­gen in Flüchtlingslagern oder unter der israelischen Besatzungsmacht auf engstem Raum zusammenge­pfercht leben, sind auch die Menschen, die in Israel leben, Opfer dieser unmenschlichen Politik, wenn sie täglich bangen, ob ihre Kinder lebendig aus der Schule zurückkehren.

Es gibt in Israel zahlreiche Friedensorganisationen, die bekanntesten sind "Women in Black", die von Uri Avnery gegründete Bewegung Gush Shalom (The Peace Block), Coalition of Women for Peace, Peace Now und Ta'ayush ("Koexistenz"), darunter aber auch religiöse Gruppen (Rabbis for Peace). In diesen Organisationen arbeiten arabische und jüdische Menschen zusammen für eine friedliche und gerechte Lösung des Konflikts. Sie organisieren Demonstrationen und Protestmärsche in die besetzten Gebiete gemeinsam mit arabischen Organisationen. Wöchentlich werden in Tel Aviv und Jerusalem Friedensdemonstrationen abgehalten. Women in Black, eine Vereinigung, die international organisiert ist, hält jeden Freitag Mahnwachen in vielen Orten in ganz Israel und auf der ganzen Welt.Sie beobachten und verhindern die Menschenrechts­verletzungen an den Kontrollposten und organisieren Hilfslieferungen an die Menschen in den von der israelischen Armee abgesperrten Gebieten. So wurde ein Hilfsgüterkonvoi und eine Beobachtungs­delegation nach Jenin geschickt, nachdem die israelische Armee dort einmarschiert war. Die Lösung wird in einem gemeinsamen Staat gesehen, in dem Menschen verschiedener Herkunft und Religion gleichberechtigt leben können. Angesichts der derzeitigen Eskalation wird aber als erster Schritt eine Lösung des Konflikts in der Zweistaatlichkeit gesucht.

gemeinsame Olivernernte als politische Aktion: Friedensaktivistinnen der Organisation Ta'ayush unterstützen palestinensische BäuerInnen (Quelle: www.taayush.org)


Brief aus einem Israelischen Gefängnis

von Yigal Bronner

Über 500 sogenannte "Refuseniks", israelische Soldaten, die den Wehrdienst in den okkupierten Gebieten verweigern oder Befehle ablehnen, die sie für illegal oder unmoralisch halten, sitzen in israelischen Gefängnissen - unter ihnen nicht wenige mit höherem militärischen Rang. Sie werden von der Organisation Yesh Gvul ("Es gibt eine Grenze") unterstützt.

Liebe Freunde und Freundinnen,

Ich möchte euch ein paar meiner Gedanken mitteilen, die mir in den langen Stunden des Zwiebelschälens und der Reinigung öliger Töpfe kamen, oder wenn ich versuchte, den Leuten um mich meine Beweggründe zu erklären, die manchmal für sie schwer zu verstehen sind. Warum hat ein Mann meines Alters - verheiratet mit zwei Kindern - "all das notwendig"? Warum nehme ich das auf mich, nur um den Wehrdienst in den besetzten Territorien zu verweigern?

Solche Fragen zwangen mich, meine Taten aus der Perspektive der anderen Gefangenen zu untersuchen. Ein 36-jähriger Mann ist eingesperrt gemeinsam mit Soldaten, die halb so alt sind wie er. Er wurde getrennt von seiner Familie, ihm wird verboten seinen Hut abzunehmen (sogar in der Zelle oder beim Essen), er darf keine Kissen oder Leintücher verwenden, keine Uhr tragen, nicht im Speisesaal essen (er muss seine Mahlzeiten im Gang neben seiner Zelle hinter Gittern zu sich nehmen) und weder bei der Arbeit noch beim Essen mit jemandem sprechen. Er wird gezwungen vierzehn Stunden am Tag zu arbeiten (in der Küche oder die Duschräume putzen), und er muss stillstehen und "Achtung" schreien, jedes Mal wenn ein Offizier vorbeigeht und einer langen Liste anderer Befehle und Verbote gehorchen, deren einziger Zweck darin besteht, ihn zu erniedrigen. Warum würde sich jemand bei Verstand so etwas freiwillig aussetzen?

Um diese Fragen ernsthaft beantworten zu können, muss man sich die Alternativen vor Augen führen, das was ich zu tun verweigert hatte. Natürlich wird versucht, mich durch eine Reihe von Maßnahmen zu demütigen. Aber ich bin überzeugt, dass es noch viel entwürdigender ist, andere Menschen zu erniedrigen, zum Beispiel an einem Checkpoint in die Augen eines Palästinensers oder einer Palästinenserin zu sehen und ihn/sie zu hindern, zum Arbeitsplatz, in die Schule oder in das Krankenhaus zu kommen. In die Augen der Bewohner zu sehen, denen ich noch einen Tag Ausgangssperre auferlegt habe, eine Ausgangssperre ohne Anfang und Ende. In die Augen eines Bauers zu schauen, dessen Obstgarten zu vernichten mir befohlen wird, oder in die Augen einer Familie, deren Häuser ich zerstöre. Und mein Spiegelbild in den Augen dieser Menschen zu sehen: ein verachteter Soldat gegenüber von zitternden Leuten, die um seine Gnade flehen. Das ist für mich viel, sehr viel erniedrigender.

Es gibt manche, die behaupten, die Präsenz von Leuten wie mir, könnte die Besetzung ein bisschen menschlicher machen. Tatsächlich, zweifellos kann man einen Obstgarten mit Höflichkeit ausreißen, ein Haus ruhig und auf zivilisiertere Weise zertrümmern, und vielleicht sogar die gesamte Bevölkerung aus ihrem Dorf vertreiben - wie das in Süd-Hebron geschehen ist - auf organisierte und weniger gewaltsame Art. Es ist möglich, so scheint es, in aller Stille ein ganzes Volk zu enteignen und zu unterdrücken. Die Frage stellt sich trotzdem: Kann eine Person, die sich ihre Menschlichkeit bewahren will, solche Aktionen ausführen?

Für mich ist die Antwort klar: Nein.

Darum wenn wir, die Refuseniks, erklären, dass es bestimmte Dinge gibt, die eine Person einfach nicht tun darf, dann meinen wir nicht, in der Küche zu arbeiten, denn so eine Arbeit ist würdevoll. Wir meinen Taten, die andere Menschen erniedrigen und ihnen Menschlichkeit absprechen. Es gibt keinen Zweifel, dass es besser ist im Gefängnis zu sitzen, isoliert, schweigend einen Hut zu tragen, Töpfe abzuwaschen und Zwiebel zu schälen. Ich bevorzuge - bei weitem - die Tränen, wenn ich einen Sack Zwiebel nach dem anderen schneide, den Tränen bei den Bildern der Okkupation.

Hochachtungsvoll, Yigal

Quelle: https://www.thenation.com/article/letter-israeli-jail/


erschienen in: Talktogether Nr. 1/2003

 

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