Als Soldaten einen Krieg beendeten PDF Drucken E-Mail


Als Soldaten einen Krieg beendeten

Widerstand in der amerikanischen Armee gegen den Vietnamkrieg

Die Herrschenden wären bestimmt glücklich, könnten sie diese Episode aus den Geschichtsbüchern entfernen. Nicht nur, weil die größte Supermacht von einer Bauernarmee besiegt worden war, sondern vor allem deshalb, weil es der kollektive Aufstand der Soldaten war, unterstützt durch eine breite Antikriegsbewegung, denen es gelungen war, eine der mächtigsten Militärmaschinerien in die Knie zu zwingen.

Der Zerfall begann langsam, doch nachdem er ein bestimmtes Ausmaß erreicht hatte, breitete er sich aus wie eine Epidemie. Weil die militärische Moral bisher hoch angesehen war, wurde das Militärkommando vom raschen Zerfall der Grundlage ihrer Macht völlig unvorbereitet getroffen. Es waren auch nicht – wie oft behauptet – die Zwangsrekrutierten, die den größten Anteil am Widerstand hatten. Die jungen Menschen, die in die Armee eintraten, entstammten zu einem großen Teil entweder der armen weißen Arbeiterklasse oder ethnischen Minderheiten, die sich durch den Militärdienst die Chance auf ein besseres Leben erhofften. Doch das Bild, das den jungen Leuten vom Leben beim Militär vermittelt worden war, wurde sehr schnell von den harten Fakten der Realität zerschmettert. Die Versprechungen, die ihnen die Anwerber gemacht hatten, lösten sich in Luft auf, sobald sie in den Lagern angekommen waren. Sowohl Freiwillige als auch Eingezogene waren gleichermaßen den täglichen Schikanen, der brutalen Entmenschlichung, den Gefahren und der Sinnlosigkeit des endlosen Bodenkriegs ausgesetzt.

1966 – Der Widerstand beginnt:

Die ersten Widerstandsaktionen erforderten die Bereitschaft, sich selbst zu opfern. Der erste öffentliche Akt des Widerstands war die Verweigerung von drei Soldaten, David Samas, James Johnson, und Dennis Mora, die gerade ihr Training beendet hatten, sich nach Vietnam einschiffen zu lassen. Der Fall erzielte große Öffentlichkeitswirkung, aber die Männer wurden zu drei Jahren härtester Zwangsarbeit verurteilt. Es folgte eine Serie individueller Widerstandshandlungen: die Weigerung, nach Vietnam zu gehen, die Weigerung zu trainieren oder Befehle zu befolgen. Sie waren alle bedeutungsvoll, weil sie die immense Angst aller Soldaten ausdrückten und aus der generellen Passivität aufrüttelten. Doch eine kleine Zahl von Verweigerern konnte die Militärmaschinerie noch nicht treffen.

1968 – Der Zusammenbruch der Moral

Zwischen 1968 und 1969 jedoch stieg die Zahl von Deserteuren auf ein Vielfaches an. Die Agitation der Kriegsgegner erfolgte einerseits in den GI-Kaffeehäusern, die vor fast jedem Militärstützpunkt der USA errichtet wurden, andererseits mit über 50 GI-Untergrundzeitungen. Für die Soldaten in den Kampfzonen wurde die Befehlsverweigerung ein wichtiges Mittel, schrecklichen Verletzungen oder dem Tod zu entkommen.

Bereits Mitte 1969 setzte sich die gesamte Kompanie der 196. Infanteriebrigade, statt zu kämpfen, einfach auf den Boden. Ein paar Monate später folgten eine Gewehrkompanie und eine Kavalleriedivision ihrem Beispiel.

Als der rapide Zerfall der Moral und Rebellionen das US-Militär erschütterten, war der Krieg auch in der Gesellschaft immer unpopulärer geworden. Anti-Kriegs-Demonstrationen wurden immer größer, und auch prominente Politiker sprachen sich gegen eine Weiterführung des Krieges aus.

Außerdem entfremdeten die Black-Consciousness und die Hippie-Bewegung immer mehr Rekruten von den militärischen Autoritäten. Sie kamen bereits mit einer negativen Einstellung zur Armee, die sich durch die Erfahrungen des Krieges in offene Feindschaft verwandelte: der endlose Bodenkrieg gegen einen oft unsichtbaren Feind, die Feindseligkeit der Bevölkerung, die Unterstützung eines unpopulären und korrupten Regimes.

1970 und 1971: Höhepunkt der Rebellion

Allmählich verwandelten sich die milden Formen von politischem Protest und Ungehorsam gegenüber militärischen Befehlen in offene Meuterei. Die Antwort auf die Revolte folgte schnell und mit voller Härte. Wegen der Agitation gegen den Krieg, dem Verteilen von Flugblättern oder auch nur, weil sie sich weigerten, den Afro oder die langen Haare abzuschneiden, wurden zahlreiche Soldaten zu jahrelangen Gefängnisstrafen verurteilt. Doch damit wurde nur erreicht, dass die Militärgefängnisse bald überfüllt waren und sich zu neuen Zentren der Revolte entwickelten.

In den Kriegsgebieten vermieden die Soldaten Gefechtshandlungen, feierten Partys anstatt zu kämpfen. Zehn Prozent der Soldaten entfernten sich unerlaubt von der Truppe, mindestens 12000 GIs liefen zum VietCong über. Die drastischste Widerstandsform der GIs war das „Fragging“, das gezielte Töten von unterdrückerischen Vorgesetzten. Insgesamt sind nach Schätzungen während des Vietnamkrieges an die 9000 Offiziere und Unteroffiziere von ihren eigenen Untergebenen getötet worden.

Der Befreiungskampf der Schwarzen und die Antikriegsbewegung

„Ich habe keinen Streit mit dem VietCong und kein Vietnamese hat mich jemals Nigger genannt, Nein, ich fahre nicht 10.000 Meilen um Leute zu ermorden, nur um mitzuhelfen, dass die weißen Sklaventreiber ihre Herrschaft über die dunkelhäutigen Menschen fortsetzen können.“ Mit diesen Worten begründete der Boxer Muhammad Ali 1966 seine Weigerung, in die Armee einzutreten, und setzte damit Beispielswirkung. Mit der Erklärung zum Widerstand gegen den Vietnamkrieg von Rev. Martin Luther King im April 1967 bekam die Widerstandsbewegung gegen den Vietnamkrieg einen neuen prominenten Mitstreiter.

Im Juli 1967 - es war die Zeit der Detroit Rebellion, des größten Aufstandes der schwarzen Bevölkerung, der die USA je erschüttert hat - stellten William Harvey und George Daniels, zwei schwarze Marines, ihren Vorgesetzten die Frage, “warum schwarze Männer einen Krieg der Weißen in Vietnam austragen sollten“. Die Antwort folgte sofort und auf brutale Weise. Wegen „illoyaler Äußerungen“ wurde Daniels zu zehn Jahren, Harvey zu sechs Jahren schwerster Zwangsarbeit verurteilt.

Schwarze GIs bildeten oft den harten Kern der subversiven Gruppen in der US-Armee. Mit zunehmender Dauer des Krieges trugen immer mehr schwarze GIs Plaketten mit dem Black-Power-Zeichen, der geballten schwarzen Faust, auf ihren Helmen, ein rotes Halstuch und unter den Helmen quollen ihre Afros hervor. Viele schwarze Soldaten begrüßten einander mit dem „Power-Handschlag“. Viele schwarze Soldaten identifizierten sich mit Malcolm-X, der über die Heuchler in Washington spottete, die schwarze Soldaten nach Asien schickten, um dort Gewalt anzuwenden, aber von den Schwarzen in den Südstaaten, wo Rassentrennung und Diskriminierung herrschten, Gewaltlosigkeit forderten.

Ein schwarzer Veteran erinnert sich: „Die meisten waren wie ich…, naiv. Wir hatten keine Ahnung, was wirklich vor sich ging. Eine Aussage von Ho Chi Minh hat uns die Augen geöffnet. Er sagte: ‚Das ist ein Bürgerkrieg’. Da wurde uns klar, dass wir die Aggressoren waren, denn wir waren 14.000 Meilen von zu Hause entfernt“.

Die Ermordung von Martin Luther King beeinflusste den Kriegsverlauf mehr, als jedes andere Ereignis außerhalb des Krieges. In fast jedem US-Militärstützpunkt brachen Revolten und Proteste aus. Kurze Zeit später wurden die Lokale der Black Panther Party in Chicago und kurz danach ihr Hauptquartier in Los Angeles von der Polizei überfallen. Berichten zufolge sympathisierten über 60 Prozent der schwarzen Soldaten mit Black Panther Führer Eldridge Cleaver, der schwarze Soldaten aufgerufen hatte, entweder die Armee zu verlassen oder sie von innen zu zerstören.

Ein Veteran erzählt: „Was wir erlebten war der Amerikanische Alptraum. Wir hatten das Gefühl, dass wir im Vietnamkrieg an die vorderste Front geschickt wurden, während wir zu Hause in den hintersten Reihen bleiben sollten“.

Der neue Luftkriegund neuer Widerstand

Anfang der 1970er Jahre beschloss die Regierung, die Bodentruppen aus Vietnam abzuziehen und auf einen Luftkrieg umzu­schwenken, weil bei den Bodentruppen Meuterei und Sabotage die mäch­tigste Armee der Welt lähmten. Doch auch mit diesem Schachzug gelang es ihr nicht, den Widerstand zu unterdrücken. Zu stark war zu diesem Zeitpunkt schon die Bewegung gegen den weithin als grausam und ungerecht wahrgenommenen Krieg.

Mit der Kriegsführung änderten sich auch die Formen des Widerstands. Als die USS Coral Sea im Herbst 1971 in Kalifornien auf eine Bombardierungsfahrt vorbereitet wurde, befanden sich 4500 Personen an Bord. Ein paar Soldaten begannen eine Petition in Umlauf zu bringen, die dazu aufforderte, die Mission zu stoppen. Obwohl diese Petition heimlich herumgereicht werden musste, hatten nach ein paar Wochen mehr als tausend Soldaten unterschrieben. Als das Auslaufen dennoch nicht verhindert werden konnte, sprangen zahlreiche Matrosen ins Meer.

Im Juli 1972 setzten Matrosen zwei amerikanische Flugzeugträger kurz vor dem Auslaufen nach Vietnam durch Sabotage außer Gefecht. Auf der USS Forrestal zerstörte ein Feuer das Radarzentrum und richtete einen Schaden in Höhe von sieben Millionen Dollar an. Die Reparaturen dauerten zwei Monate. Auf der USS Ranger verursachten zwei Schrauben und ein Spachtel einen Maschinenschaden von einer Million Dollar und verzögerte den Einsatz des Schiffes um dreieinhalb Monate.

Das Vermächtnis des Widerstands

Wenn auch der Vietnamkrieg lange vorbei ist, ist das Spiel das gleiche geblieben und nur die Schauplätze sind ausgetauscht worden. Der Widerstands gegen den Vietnamkrieg hat jedoch weit mehr erreicht als eine Verkürzung der Kriegsdauer: er hat den Mythos der Unbesiegbarkeit einer Supermacht für immer gebrochen. Militärstrategen müssen mit dem Misstrauen gegenüber ihren Motiven rechnen und die Möglichkeit eines Widerstands einkalkulieren, wann immer sie planen, in ein Land einzumarschieren oder es zu bombardieren.

Quellen: I resistance in the Vietnam War, libcom.org - steven 2006;
Black GIs, Rebellion and the Fall of the Flag, Revolutionary Worker 1999
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erschienen in: Talktogether Nr. 25/2008