Ein Fisch mit bunten Flügeln
Kunst und Entwicklung in den Slums von Delhi, Indien
Auf einem der Bilder ist ein großer Fisch mit bunten Flügeln zu sehen, der in den Himmel aufsteigt. „Ein Fisch aus dem Teich sah einen Vogel und wollte wie er fliegen“, erklärt die junge Künstlerin das surrealistische Bild mit einfachen Worten. „Da dachte ich, warum sollte er nicht fliegen? Deshalb gab ich dem Fisch Flügel und sein Traum wurde erfüllt“. Die bunten Figuren auf den Bildern der Ausstellung im Zentrum des Dr. A.V. Baliga Memorial Trusts, die von jugendlichen BewohnerInnen einer Slumsiedlung von MüllsammlerInnen im Link-House-Viertel der indischen Hauptstadt Delhi gemalt wurden, drücken die Entschlossenheit aus, sich von den Ketten aus Elend und Unterdrückung zu befreien.
Die Freiwilligen des von der Unabhängigkeitskämpferin Aruna Asaf Ali gegründeten Trusts arbeiten seit 1982 in den Slums von Delhi. Mit Bildung und Ausbildung wollen sie von der Gesellschaft benachteiligte und an den Rand gedrängte Menschen befähigen, aus dem Schatten zu treten und ihre Stimme zu erheben. Das erste Alphabetisierungszentrum der Organisation wurde in der Slumsiedlung Narendra Niketan eröffnet. Ihr Bildungsprogramm wird von zahlreichen kulturellen Aktivitäten wie Theater, Malerei und der Herstellung von Papiermascheefiguren und Grußkarten aus handgeschöpftem Papier begleitet. Weil sich die jungen Frauen mit so großer Begeisterung der kreativen Anwendung der traditionellen indischen Maltechniken widmeten, wurde das Zentrum „Kala Kutir“, Haus der Kunst, genannt.
Die Aktivitäten des Baliga Trusts haben nicht nur viele Kinder und Jugendliche von den negativen Einflüssen eines von Kriminalität, Drogen- und Alkoholmissbrauch geplagten Umfelds bewahrt, sondern auch den Frauen neues Selbstbewusstsein verschafft. Gerade die Frauen in den Slums sind mit besonderer Unterdrückung und Ausbeutung konfrontiert. Ihre Probleme reichen von Vergewaltigungen, ungewollten Schwangerschaften bis zu Krankheiten wie AIDS. Die Ausbildungsprogramme des Baliga-Trusts haben deshalb nicht nur das Ziel, die Frauen zu ermutigen, aus der häuslichen Sphäre auszutreten, sondern auch, sie zu befähigen, ökonomisch auf eigenen Beinen zu stehen und sich so aus der Spirale von Abhängigkeit und Gewalt befreien zu können.
Doch Narendra Niketan und Kala Kutir sind heute Geschichte. Während die SlumbewohnerInnen für die Wirtschaft unverzichtbare Arbeitskräfte darstellen, sehen die Behörden in den Slumsiedlungen nur einen Störfaktor, der dem Image der indischen Hauptstadt schadet. Anstatt die Ursachen für die Armut zu beseitigen, ist die Stadtverwaltung mit Bulldozern gegen die SlumbewohnerInnen vorgegangen und hat ihre Behausungen zerstört. Im Zuge dieser so genannten Stadterneuerung wurde im November 2001 auch das Bildungszentrum des Baliga Trusts dem Erdboden gleichgemacht.
Die BewohnerInnen mussten in die 30 km außerhalb der Stadt gelegene Narela Resettlement Colony umsiedeln. „Dort sind die Menschen aber weit weg von allen Arbeitsmöglichkeiten und es gibt keine Schulen für die Kinder“, erzählt die Leiterin des Trusts Ranjana Ray. „Das hat zu einer dramatischen Verschlechterung der Lebensbedingungen geführt, wobei die größte Bürde auf den Schultern der Frauen lastet. Der größte Teil des mageren Einkommens, das die Menschen als Rikschafahrer oder Hausmädchen verdienen, geht für die Fahrtkosten in die Stadt und zurück auf“. Wenn auch die Bedingungen für die zum größten Teil ehrenamtlich arbeitenden MitarbeiterInnen des Baliga-Trusts durch die langen Anfahrtswege erheblich erschwert wurden, kommt es für sie nicht in Frage, ihre Schützlinge im Stich zu lassen. Neue Ausbildungszentren und so genannte Balwadi-Centers, Vorschulen für die Kleinsten, wurden in der neuen Siedlung aufgebaut.
Das Projekt wird unterstützt vom Salzburger Verein Dosti, der vor einem Jahr gegründet wurde und vom Land Salzburg, von der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit und der Österreichischen Volkshilfe gefördert wird. Dosti bedeutet in Hindi Freundschaft. Weil der wirtschaftliche Rückhalt eine unerlässliche Säule für das Gelingen des Projekts darstellt, hat sich der Verein zum Ziel gesetzt, wirtschaftliche Beziehungen aufzubauen, die dem Prinzip der Freundschaft und Solidarität entsprechen.
Vereinsobfrau Dr. Sumeeta Hasenbichler: „Manche fragen sich vielleicht, warum wir hier in Salzburg Frauen in Indien unterstützten sollten, wo wir auch hier genug arme Frauen haben. Doch ich bin überzeugt, dass Solidarität mit Menschen in der Dritten Welt zur Verbesserung der Lebensbedingungen weltweit führt. Gerade Frauen als Mütter stellen den Schlüssel zur gesellschaftlichen Veränderung dar. Frauen denken und agieren nachhaltig, weil sie an die Zukunft ihrer Kinder denken. Eine gebildete, gut informierte, selbständige Mutter ermöglicht auch ihren Kindern eine gute Bildung und erzieht sie im Sinne des Umweltschutzes. Umwelt, Soziales, Frauenthemen und Ökonomisches müssen lokal und global miteinander verknüpft werden. Nur wenn wir alle Menschen dazu befähigen, ein selbst bestimmtes Leben zu führen, können wir vereint gegenüber die Mächtigen auftreten und eine Umsetzung von besseren Arbeitsschutzbestimmungen und Umweltschutz einfordern“.
erschienen in: Talktogether Nr. 27/2009
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