Interview mit Sandra, Internationale Plattform gegen Isolation PDF Drucken E-Mail

Interview mit Sandra,

Internationale Plattform gegen Isolation, Wien

Talk Together: Du warst an der Organisation des 7. Internationalen Symposiums gegen Isolation vom 19.-22. Dezember 2008 in Wien beteiligt. Was sind die Hintergründe und Ziele der Plattform?

Sandra: Das Symposium wird seit 7 Jahren immer zum selben Datum organisiert und hat den Ursprung in einer breit angelegten Kampagne gegen die Isolationsgefängnisse in der Türkei und einem sieben Jahre andauernden Widerstand innerhalb und außerhalb der Gefängnisse. Daraus ist die Plattform zur Solidarität mit politischen Gefangenen entstanden, die eine internationale sein soll und Isolation und Folter auf der ganzen Welt angreift. Mit der Zeit hat sich der Begriff Isolation aber ausgeweitet auf Isolation auch außerhalb der Gefängnisse in verschiedenen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen und umfasst die Isolierung und Kriminalisierung von oppositionellen und fortschrittlichen Kräften (z.B. aufgrund der sog. Anti-Terror-Gesetze), die Isolierung und Abtrennung ganzer Ländern und Völker (durch Embargos und Sanktionen), aber auch die Unterdrückung von Menschen durch Armut und Marginalisierung. Im Symposium wurden demnach sowohl die individuellen (Gefangene) als auch sozialen Kämpfe gegen die Isolation angesprochen.

Talk Together: Welche Gruppen haben an diesem Symposium teilgenommen und was sind seine Ziele?

Sandra: Das Symposium ist prinzipiell offen für alle, ausgenommen sind natürlich faschistische und rassistische Kräfte. An diesem Symposium haben verschiedene Gruppen und Einzelpersonen aus Österreich, der Türkei, dem Nahen Osten, England, Irland, dem Baskenland, Sri Lanka usw. teilgenommen, die mit Repression konfrontiert sind und sonst kaum eine Stimme haben, so auch Angehörige religiöser und ethnischer Minderheiten. Das Ziel ist, Erfahrungen auszutauschen, sich zusammenzuschließen und neue Initiativen ins Leben zu rufen und zu koordinieren, sowie Öffentlichkeit für die angesprochenen Themen zu schaffen. In den sieben Jahren, seit es diese Symposien gibt, haben viele Künstler und Intellektuelle aus Europa, Asien, Lateinamerika  und den USA wie Angela Davis haben an den Zusammenkünften teilgenommen. Heuer haben beispielsweise auch Michael Genner von Asyl in Not und Ursula Berner von den Grünen teilgenommen und auf die Probleme und die Ausgrenzung von Flüchtlingen und MigrantInnen hingewiesen.

Talk Together: Über welche Themen wurden beim Symposium diskutiert?

Sandra: Eine der brennendsten Fragen war die angekündigte Schließung von Guantanamo und die Frage, was danach kommen wird. Ein ehemaliger Häftling berichtete in einer Videokonferenz über seine Erfahrungen. Außerdem waren viele Gäste aus der Türkei da, u.a. Ahmet Kulaksiz, der zwei Töchter durch das Todesfasten verloren hat, und der Anwalt Behic Asci, der seit 2007 seinen Hungerstreik unterbrochen hat. Hintergrund dafür ist die prekäre Situation der politischen Gefangenen in den Isolationsgefängnissen, die nicht nur völlig von der Außenwelt und allen sozialen Kontakten abgeschirmt sind, sondern auch noch Schlägen, Folter und Schikanen, die stark an die Nazi-Zeit erinnern, ausgesetzt sind. Im Todesfasten haben 122 Menschen ihr Leben verloren und viele bleibende Schäden davongetragen.

Talk Together: Vielen Menschen ist das Todesfasten unverständlich. Wie kann man eine solche drastische Form des Widerstands erklären?

Sandra: Diese Menschen sahen es als das letzte Mittel an, ihren eigenen Körper einzusetzen, um Öffentlichkeit für ihr Anliegen zu schaffen. Das Todesfasten wurde begleitet von pausenlosen Aktionen - vor allem der Angehörigen der Gefangenen, die sich in der Organisaton TAYAD zusammengeschlossen haben. Der Anwalt Behic Asci hat sich zu diesem Schritt erst entschlossen, als er alle juristischen Mittel eingesetzt hatte und damit nichts erreichen konnte. Durch seinen hohen Bekanntheitsgrad hat er viele Menschen mobilisiert, z.B KünstlerInnen, die in Liedern zur Solidarität aufgerufen haben, oder Anwälte, die in ihren Roben auf den Straßen aufmarschiert sind, um ihren Protest auszudrücken. Das Todesfasten ist 2007 unterbrochen worden, zu einem Zeitpunkt, als das Leben von Behic Asci bereits auf der Kippe stand.

Talk Together: Welche Fortschritte konnten dadurch erreicht werden.

Sandra: Durch die Todesfastenaktion konnte durchgesetzt werden, dass das Thema Isolation in den Medien diskutiert werden kann – vorher war es streng verboten, in Zeitungen Artikel über das Thema zu veröffentlichen. Somit ist es gelungen, die politische Isolation zu durchbrechen. Außerdem wurde eine Verbesserung der Haftbedingungen in den Isolationsgefängnissen vom Justizminister versprochen, z.B. dass die Gefangenen die Möglichkeit haben, einmal in der Woche zu zehnt zusammenzutreffen um sich auszutauschen. Umgesetzt wurden diese Forderungen allerdings erst in einem einzigen Gefängnis. Deshalb muss die Öffentlichkeitsarbeit weiter fortgesetzt werden. Das Drängen darf nicht nachlassen.Zudem ist es wichtig die Gefangenen zu unterstützen, also Briefe zu schreiben, sie regelmäßig zu besuchen und Veranstaltungen zu organisieren.

Talk Together: Manche behaupten, die Menschenrechtssituation in der Türkei hätte sich verbessert. Was sagst du dazu?

Sandra: Davon ist nicht viel zu bemerken. Am 8.Oktober 2008 starb Engin Ceber, der von der Polizei verhaftet wurde, weil er die Zeitung „Yürüyüs“ (Der Marsch) verkaufte -  eine legale Zeitung - an den Folgern der Folter. Und am 7. Oktober 2007 wurde der 19-jährige Ferhat Gencek, ebenfalls Zeitungsverkäufer, von der Polizei angeschossen und ist seitdem querschnittsgelähmt.

Talk Together: Wie bist du persönlich dazu gekommen, dich für die Anliegen der politischen Gefangenen international und speziell in der Türkei einzusetzen?

Sandra: Ich hatte immer schon den Wunsch, mich für unterdrückte Menschen einzusetzen. Gerechtigkeit ist für mich ein Schlüsselwort und ich sehe es als meine menschliche Pflicht an, mich dafür zu engagieren. Deshalb ist es mir ein Bedürfnis, mich in einem Kreis von Menschen zu organisieren, um einen Gegenpol zu bilden, zu dem, was der Welt aufgedrückt wird, und um die Würde des Menschen zu verteidigen. Wenn die UN-Menschenrechts-Charta umgesetzt würde, wäre das nicht nötig. Weil das aber leider nicht der Fall ist, möchte ich meine Solidarität mit allen Menschen zeigen, die unter Besatzung, Ausbeutung und Armut leben, die vertrieben werden oder aufgrund ihrer Ansichten und Ideen verfolgt werden, die in Gefängnissen gefoltert werden, oder mit Völkern, denen durch Einmischung von außen, Destabilisierung oder Sabotage die Eigenständigkeit und Souveränität verweigert wird. Internationale Solidarität und die Freundschaft der Völker stehen für mich dabei im Vordergrund. An der Widerstandsbewegung in der Türkei haben mich ihre Opferbereitschaft ihr Bewusstsein für internationale Solidarität beeindruckt.

Bereits in der Schule spürte ich das Bedürfnis, mich gegen Ausgrenzung zur Wehr zu setzten. Später habe ich versucht, den Schmerz, den ich beim Anblick von Ungerechtigkeit empfinde, politisch umzusetzen. Angefangen hat mein politisches Engagement mit der Auseinandersetzung mit dem Faschismus. Bald entdeckte ich aber, dass vieles, was damals im KZ geschah, auch heute noch passiert, nur auf andere Weise und anderen Zielscheiben. In diesen Tagen bestürzt mich besonders das Schicksal der Menschen in Gaza, denen jegliche Grundlage zum Leben genommen wurde, die wie in einem großen Gefängnis leben und schon seit Tagen bombardiert werden. Täglich führe ich Telefongespräche mit einer Freundin in Gaza. In den Medien wird immer nur von der Hamas gesprochen, aber nicht alle Menschen in Gaza sympathisieren mit der Hamas, sie sind aber den Angriffen genauso ausgeliefert. Die Kraft zum Widerstand, den diese Menschen auch unter den widrigsten Umständen nicht verlieren, beeindruckt zutiefst und ist ein Exempel für uns geworden, dass die Stimme des  Widerstands -  nicht nur in Gaza – niemals ausgerottet werden kann, und gibt uns Stärke und Hoffnung.

Talk Together: Welche Rollte spielen Frauen im Widerstand?

Sandra: Ich habe viele politisch bewusste Frauen kennen gelernt, die viel Offenheit, Mut, und Herz gezeigt haben. Vor allem die Angehörigen von politischen Gefangenen, insbesondere die Mütter, haben viel Stärke und Opferbereitschaft bewiesen. In der Türkei wird den Frauen eine wichtige Rolle zugestanden, wenn die Gesellschaft auch noch stark durch feudale Traditionen geprägt ist. Wenn man in der Frage der Frauenbefreiung etwas erreichen will, muss man in die Gesellschaft hineinscheuen, denn man kann niemanden etwas aufzwingen. Außerdem habe ich den Eindruck, dass es bei manchen feministischen Inhalten oft um Äußerlichkeiten geht. Ich denke, man muss erst die sozialen Bedingungen analysieren, und dann behutsam vorgehen und gemeinsame Lösungen suchen. Meistens geht es ja um Familien, deshalb müssen alle einbezogen werden, auch die Männer, die Älteren und vor allem die Jugendlichen, welche den größten Gefahren z.B. durch Drogen oder Bandenkriminalität ausgesetzt sind. In unserem Verein versuchen wir, die Eltern mit den Problemen zu entlasten, in denen sich die Gemeinschaft um die Kinder und Jugendlichen kümmert.

Talk Together: Danke für das Gespräch.

 erschienen in: Talktogether Nr. 27/2009