Somalia: Diktator, Warlords, Islamisten, Besatzer und Piraten PDF Drucken E-Mail

Dikator, Warlords, Islamisten, Besatzer und Piraten:
Was hat Somalia noch zu erwarten?

von Abdullahi A. Osman

Früher war das Meer der einzige friedliche Ort in Somalia. Während auf dem Land der Bürgerkrieg tobte, fuhren nur wenige Küstenbewohner mit ihren Booten hinaus, um Fische fangen. Plötzlich hat der Krieg auch das Meer vor Somalia erreicht, und die kleinen Fischer haben sich in Piraten verwandelt, die, mit modernsten Waffen ausgerüstet, ins Meer fahren und sogar in der Lage sind, große Schiffe wie den saudischen Supertanker zu kapern. Somit ist Somalia wieder durch negative Schlagzeilen in die Weltpresse gekommen. Die Piraten haben mit ihren Manövern nicht nur die Situation in Somalia weiter verschlechtert, sondern auch der Weltwirtschaft Verluste in Milliardenhöhe zugefügt. Zusätzlich zum Bürgerkrieg und den schon bekannten Verbrechen, hat sich in dem ostafrikanischen Land eine neue Art von Gewalt entwickelt.

Fischer gegen Fischdiebe

Begonnen hat es damit, dass es in Somalia keine Regierung gab, die die Küstengewässer kontrollierte. Diese Situation nutzten internationale Fangflotten aus und haben das Meer leer gefischt, während andere dort illegal Giftmüll versenkten. Um sich dagegen zu wehren, hat sich eine Gruppe von Geschäftsleuten zusammengetan und Geld für die Überwachung der Küsten zu gesammelt, damit die Fischer Boote kaufen und gegen die Fangflotten kämpfen konnten.

„Was würdet ihr denn tun, wenn euch die Lebensgrundlage genommen wird und ihr eure Familie nicht mehr ernähren könnt?“ sagte ein Pirat zum Profil-Reporter Johannes Dieterich, der die kleine Hafenstadt Eyl, den Stützpunkt der Piraten, besucht hat. Doch die Männer, die damals um Spenden gebettelt haben, sind heute mit den modernsten Waffen ausgerüstet und sehr reich geworden. Laut Dieterichs Reportage im Profil (1.12.2008) hat sich die ehemalige Fischergruppe inzwischen zu einer hochprofessionellen Mafia mit Privatarmeen und Verbindungen zur internationalen Geschäftswelt entwickelt. Aus dem armen Fischernest Eyl ist heute eine Stadt mit Villen, Internetcafés und Restaurants geworden, in denen eine Tasse Tee soviel kostet, wie anderswo somalische Familien nicht einmal pro Tag zum Leben zur Verfügung haben.

„Als die Meere leer gefischt und mit Atommüll verseucht wurden, gab es weder von Seiten der UNO, noch der EU oder der USA einen Aufschrei. Ich lehne jede Gewalt ab“, sagt Warsame, ein in Österreich lebender gebürtiger Somalier, „doch man muss wissen, dass viele Menschen in Somalia die Piraten als Helden sehen, die das Meer und die reichen Fischgründe schützen“.

Jetzt muss die Bevölkerung neben der äthiopischen Besatzungsarmee, der Armee des so genannten Präsidenten, und den Islamisten auch noch die Auswirkungen der Piraterie erdulden. Da es in keine zentralen Ordnungsorgane gibt, ist die Situation so eskaliert, dass man heute weder auf dem Landweg nach Mogadischu reisen, noch sich über das Meer trauen kann. Da Industrie und die Landwirtschaft seit dem Ausbrechen des Bürgerkriegs im ganzen Land lahm liegen, ist das Land auf Importe aus dem Ausland angewiesen. Doch weil kein Schiff mehr wagt, an einem somalischen Hafen anzulegen, hat dies zu einer Explosion der Preise geführt. „Meine Familie ist völlig abhängig, dass ich ihnen Geld schicke,“ erzählt der ehemalige Bürgerkriegsflüchtling Warsame weiter, „wenn alles immer teurer wird, können sie selbst vielleicht überleben, doch von dem Geld, das ich ihnen schicke, lebt nicht nur meine Familie, sondern auch zahlreiche Nachbarn und Verwandte, die wiederum von ihr abhängig sind. Wenn das Leben so teuer wird, kann meine Familie vielleicht überleben, aber was ist mit den anderen? Man redet immer davon, welchen Schaden die Piraterie für die Weltwirtschaft darstellt, aber wer kümmert sich darum, was mit den Menschen in Somalia passiert?“

Heute scheint die Lage in vielen Ländern wie in Somalia fast einem düsteren Endzeit-Movie zu gleichen, wo es keinerlei Ordnung und Kontrolle gibt, nur jene herrschen, die Macht und Waffen besitzen und rivalisierende Banden um die Ressourcen kämpfen und die Bevölkerung unterdrücken. Oder hat die Realität in vielen Regionen der Erde heute die Phantasie der Science-Fiction-Autoren schon längst überholt?

Ursachen für das Chaos

Wie konnte es soweit kommen, dass aus dem einstmals blühenden und aufstrebenden jungen Staat am Horn von Afrika ein Herd von Chaos und Gewalt geworden ist? Einer der Gründe liegt zweifellos in der Clanpolitik. Die Clans und ihre Führer spielten traditionell eine große Rolle in der somalischen Nomadengesellschaft. Konflikte und Auseinandersetzungen zwischen den Clans gab es schon immer, doch niemals waren sie so tief und grausam wie heute.

Doch die überlieferten Traditionen kamen mit den Erfordernissen eines modernen Nationalstaates in Widerspruch. Nach der Unabhängigkeit im Jahr 1960 scheiterte die neue demokratische Regierung an den Rivalitäten der Clanführer. 1969 kam General Siyaad Barre nach einem Militärputsch an die Macht. Er errichtete eine Diktatur und schaltete politische Gegner brutal aus. Jedoch muss man ihm zugute halten, dass er das Land modernisierte und einige im Volk sehr populäre Reformen einführte, wie die Alphabetisierung der somalischen Sprache.

Einen der ersten Putschversuche wagten einige Generäle, die mehrheitlich aus der nordöstlichen Provinz Puntland stammten. Siyaad Barre verurteilte alle Beteiligten zum Tode. Doch manche der Putschisten entkamen, einer davon war Abdullahi Yusuf Ahmed, der jetzige Marionettenpräsident Somalias, der damals nach Äthiopien floh. Später entstand aus dieser Gruppe die Somali Salvation Front (SSDF). Das Somali National Movement (SNM) wurde 1981von einer Gruppe aus Nordsomalia gegründet, und der United Somalia Congress (USC) 1989 von einer Gruppe Oppositioneller aus Südsomalia. Gemeinsam war diesen Gruppen außer dem S am Anfang ihres Namens und dem Vorhaben, Siyaad Barre zu stürzen, nur, dass sie Somalia weder vereinigt, gerettet noch als Nation betrachtet haben, sondern nur ihre eigene Machtinteressen verfolgten.

Um sich gegen seine Widersacher zu behaupten und an der Macht zu bleiben, verfolgte Siyaad Barre nicht nur die bewaffneten Rebellen, die gegen ihn kämpften, sondern tötete und vertrieb auch deren Anhänger. Er spielte die Stämme gegeneinander aus: Wenn er gegen die Rebellen der SSDF vorgehen wollte, schickte er Offiziere und Soldaten aus dem Norden (SNM) und dem Süden (USC) und schürte somit die Feindschaft zwischen den Clans. 1988 ließ Siyaad Barre mit Soldaten aus Nordostsomalia und Südsomalia die nordsomalischen Städte Hargeysa, Berbera und Burco bombardieren. Gleichzeitig wurden Massaker im ganzen Land, vor allem in Zentral- und Nordostsomalia, verübt.

Das Erbe Siyaad Barres

Als der USC 1991 Siyaad Barre aus Mogadischu vertrieb, jubelte das Volk im ganzen Land. Doch der Jubel hat nicht lange angedauert. Denn die nach ihm kamen, haben es nicht besser gemacht als er, sondern das Land durch ihre Machtkämpfe in einen bis heute nicht beendeten Bürgerkrieg getrieben.

Kurz nach dem Sturz Barres erklärte sich die vom SNM dominierte Nordprovinz unabhängig und nannte sich Somaliland, während der SSDF in Bosaaso zusammentraf und Abdullahi Yusuf sich selbst zum Präsidenten von Nordostsomalia (Puntland) ernannte. Im Süden jedoch entbrannte nach dem Sturz Barres ein erbitterter Machtkampf innerhalb des USC zwischen den Rivalen Aidid und Mahdi. Einer der Gründe, warum aus Mogadischu ein Zentrum der Gewalt geworden ist und der Krieg kein Ende findet, ist folgender: Während in den anderen Provinzen ein Stamm bzw. ein Clan dominiert und die Minderheiten sich unterordnen müssen, leben in der Hauptstadt Angehörige verschiedener gleich mächtiger Clans, die dort sesshaft geworden sind.

Ein anderer Faktor für die Zerrissenheit Somalias ist durch ausländische Einflüsse zu erklären. Siyaad Barre schwankte zwischen der Unterstützung der Sowjetunion und den USA, was ihm erlaubte, eine riesige Armee aufzubauen und viele Waffen ins Land zu bringen. Was Siyaad Barre also hinterlassen hat, sind viele Waffen, Hass und eine gespaltene Bevölkerung.

Doch während es die ausländischen Mächte damals nur mit einer Person zu tun hatten, gibt es heute zahlreiche Spieler auf der Bühne, die unterschiedliche Interessen und unterschiedliche Förderer haben. Unter der Macht und den Machtkämpfen der Warlords litt vor allem die Bevölkerung, während sie selbst ihre Familien ins Ausland brachten.

In diesem Chaos waren es die von arabischer Seite unterstützen islamischen Gerichtshöfe, die erstmals wieder für Sicherheit und Ordnung sorgten und deshalb von der kriegsmüden Bevölkerung als Retter begrüßt wurden. Menschen, die während dieser Zeit in Mogadischu lebten, erzählen, dass es dort seit langer Zeit wieder möglich war, auf die Straße zu gehen, ohne Angst haben zu müssen, an der nächsten Ecke überfallen oder erschossen zu werden.

Warum sind die Islamisten unbeliebt geworden?

Bevor die Islamisten in Mogadischu die Macht übernahmen, sind die Geschäfte in Mogadischu trotz der allgegenwärtigen Angst gut gelaufen. Während die Geschäftsleute die neue Sicherheit begrüßten und die islamischen Gerichtshöfe anfangs unterstützten, waren viele jedoch bald von ihnen enttäuscht, weil sie sich in ihre Geschäfte einmischten und bestimmten, was verkauft werden durfte und was nicht; so verboten sie u.a. Kinos und Musikstudios. Zudem hatten sie mit ihrer eingeengten Weltanschauung kein Verständnis für die Bedürfnisse der Bevölkerung und außerdem keine Ahnung von Verwaltung. Noch dazu waren die Islamisten ein Dorn im Auge der US-Regierung. Deshalb unterstützten sie den im Volk unpopulären Kriegverbrecher Abdullahi Yusuf, der 2004 in Nairobi zum Präsidenten gekürt wurde, und schickten äthiopische Soldaten nach Mogadischu, um seine Regierung zu schützen.

In den langen Jahren des Bürgerkriegs wurden zahlreiche Verbrechen verübt und das Volk musste viel Grausamkeit und Ungerechtigkeit erdulden. Bombenattentate und Selbstmordangriffe gibt es allerdings erst als die äthiopischen Streitkräfte in Somalia einmarschiert sind und die Menschen dadurch erzürnt haben. Vor dem Zusammenstoß zwischen äthiopischer Armee und Islamisten hat es zwar Krieg gegeben, aber trotz alledem war ein Leben in Mogadischu möglich. Der Handel hat funktioniert und die Menschen haben versucht, sich zu arrangieren, so gut es ging. Über das Meer wurden Güter aus aller Welt ins Land gebracht und mit der Zeit wurde die einst nur von bestimmten Bevölkerungsgruppen praktizierte Fischerei eine immer wichtigere Nahrungs- und Einkommensquelle für viele Menschen.

Offensichtlich ist es für die EU und die USA wichtiger, durch die somalischen Gewässer gefahrlos hin und her fahren zu können, als das Wohlergehen der Menschen dort. Da Somalia aber sämtliche staatlichen Formen verloren hat, ist das Land für alle Verbrecher und ferngesteuerten Kriegstreiber zugänglich, ob es äthiopische Militärs, Islamisten und jetzt die Seeräuber sind. „Ich wünsche mir, dass die Piraten verschwinden“, sagt Warsame, „doch wenn die Piraterie beseitigt wird, dürfen die somalischen Gewässer kein Niemandsland werden. Daher erwarte ich von den Industrieländern, die ihre Kriegschiffe an die Küsten vor Somalia schicken, dass sie nicht nur die Piraten verjagen, sondern auch die illegale Fischerei und Giftmüllentsorgung unterbinden, bis Somalia wieder in der Lage ist, selbst seine Ressourcen und Grenzen zu schützen“.

 

Anmerkung der Redaktion:

Nach neuesten Pressemeldungen haben die in Somalia stationierten äthiopischen Truppen mit dem Abzug begonnen, nachdem Präsident Abdullahi Yusuf am 29.12. von seinem Amt zurückgetreten ist. Wir hoffen, dass mit diesem Schritt eine friedlichere Entwicklung eingeleitet werden kann.

erschienen in: Talktogether Nr. 27/2009