Klimaschutz und Entwicklung - Gespräch mit Sumeeta Hasenbichler PDF Drucken E-Mail

"Global denken – lokal handeln"

Gespräch mit Sumeeta Hasenbichler

Talktogether: Die Klimakatastrophe wird hauptsächlich durch die Industriestaaten verursacht. Welche Auswirkungen hat die Umweltzerstörung für die Menschen in den abhängigen Ländern des Südens?

Sumeeta: In erster Linie Hunger, Obdachlosigkeit, weil große Wetterschwankungen immer häufiger auftreten, durch Dürre, Überschwemmungen oder Orkane werden Ernten zerstört und Lebensräume vernichtet. Laut Greenpeace fallen heute 14 Prozent weniger Monsunregen als früher. Der Punjab, die Kornkammer Indiens, wo es fünf Flüsse gibt und 25 Prozent der landwirtschaftlichen Erzeugnisse produziert werden, ist bereits jetzt sehr stark von der Trockenheit betroffen und der Grundwasserspiegel ist dramatisch gesunken. Teilweise wurden schon 100 Meter tief gebohrt und kein Wasser gefunden. Ein großer Teil der Böden sind versalzen, dazu hat auch die industrielle Landwirtschaft mit intensiver Bewässerung und massivem Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden beigetragen. Die Ernährungssicherheit ist in sehr vielen Ländern des Südens stark gefährdet.

Die Artenvielfalt, die besonders reich ist im Süden, sinkt dramatisch, 40 Prozent der Arten sind bereits bedroht, 200 Pflanzen- und Tierarten sterben täglich aus. Es ist ja nicht so, dass, wenn Pflanzen und Tierarten aussterben, die Menschen nicht betroffen wären. Das betrifft auch den Norden, also z.B. die Arktis. Wenn die Eisschichten verschwinden und Tiere aussterben, verschwinden auch die Menschen, die diese Tiere jagen. Die Gletscher des Himalaya schrumpfen rasant und bereits 2030 wird die Wasserversorgung von 500 Millionen Menschen im Norden Indiens, in Pakistan, Bangladesh und China gefährdet sein. Die Zustände sind dramatisch und die Regierungen wissen das, haben aber dennoch keine wirksamen Maßnahmen getroffen, um dieser Entwicklung zu entgegnen.

Klimawandel wird immer die Schwächsten zuerst treffen, die Armen, die Frauen und die Kinder. Vor allem die Kinder, weil die Lebensbedingungen der zukünftigen Generationen wesentlich schlechter sein werden als jetzt. Große Teile des fruchtbaren Landes in Bangladesh werden durch Überschwemmungen und den steigenden Meeresspiegel verschwinden oder versalzen, auch im ägyptischen Nildelta ist das, wie wir wissen, der Fall. Auch die kleinen Fischer haben keine Zukunft, weil die industriellen Fangflotten des Westens die Meere leer fischen. Wir wissen auch, dass die Meere wärmer werden, und im warmen Wasser gedeihen weniger Fische und Tierarten. Die Fischerei als gesamte Industrie ist sehr stark gefährdet.

Wir reden immer von der Umwelt, aber was heißt Umwelt? Die Umwelt wird weiter bestehen, es werden auch Tier- und Pflanzenarten weiter bestehen, auch wenn wir so weiter tun wie jetzt. Die Frage ist, ob die klimatischen Bedingungen, die wir Menschen für ein gutes Leben brauchen, ob die Tier- und Pflanzenarten, die wir zum Leben benötigen, weiter bestehen werden. Darum geht es letztendlich.

Talktogether: Die Länder der Dritten Welt haben Aufholbedarf und die Menschen wollen am Fortschritt teilhaben. Sind Entwicklung und Klimaschutz vereinbar?

Sumeeta: Das Argument, dass Armutsbekämpfung Vorrang vor dem Klimaschutz habe, wird oft als Ausrede verwendet, um keinen Klimaschutz betreiben zu müssen. Aber gerade die Armen sind vom Klimawandel am stärksten betroffen. Sie sind diejenigen, die in die Städte flüchten müssen, weil die Ernten ausbleiben, weil ihre Subsistenzwirtschaften nicht mehr funktionieren, weil sie vertrieben und ihre Lebensräume vernichtet werden. Klimaschutz bedeutet Armutsbekämpfung. Wenn wir die Armut bekämpfen wollen, wenn wir weltweit Gerechtigkeit haben wollen, müssen wir Klimaschutz betreiben.

Wenn Entwicklungsländer sagen, wir möchten die gleichen Fehler machen, die der Westen gemacht hat, die gleichen Stufen durchlaufen, ist das extreme Kurzsichtigkeit. Es gibt bereits andere Formen des Wirtschaftens und es gibt andere Formen der Energiegewinnung als die der großen Energieproduzenten. Gerade in Entwicklungsländern, die eine sehr schwach ausgebaute Infrastruktur haben, müssen für die Wasser- und Stromversorgung entlegener Dörfer riesige Leitungsnetze gebaut werden. Das kostet nicht nur viel Geld, sondern bedeutet auch die Zerstörung unberührter Naturräume – also erstens reale Kosten und zweitens Umweltkosten.

Die Volkswirtschaften könnten viel sparen, wenn sie das Geld statt in Prestigeobjekte wie Atomkraftwerke oder Megastaudämme in kleine dezentralisierte Energieprojekte investieren würden. Die großen Infrastrukturen werden zudem von großen multinationalen Konzernen gebaut, so dass die Gewinne nicht im Land bleiben. Wenn man dieses Geld in kleine Energienprojekte investiert und die lokale Bevölkerung einbezieht, bleiben diese Menschen autark und unabhängig von den großen Energiemonopolisten, können im Einklang mit dem technischen Fortschritt ein besseres Leben führen und gleichzeitig zum Klimaschutz beitragen.

Talktogether: Es wird oft davon geredet, dass mit Klimaschutz gute Geschäfte gemacht werden können. Besteht bei solchen Projekten aber nicht die Gefahr, dass der Klimaschutz nur so lange verfolgt wird, als man damit Profite macht?

Sumeeta: Wenn man unter Profit kurzfristiges Geldverdienen versteht, wird es nicht funktionieren. Dieses System wird immer wieder kippen und scheitern, es wird immer wieder neue Crashes und Krisen geben.

Wenn bei der Erzeugung eines neuen Produkts mit einberechnet wird, welche Ressourcen für die Erzeugung, die Verwendung und die Entsorgung aufgewendet werden müssen, wird das Produkt nicht mehr so billig sein. Wie viele Handys werden jährlich weg geworfen, obwohl darin kostbare Materialien enthalten sind und Umweltsünden für ihre Gewinnung begangen wurden!

Oder wie viel Energie in einer Aluminiumdose steckt und wie viele Landschaften zerstört wurden, um sie zu erzeugen! Da müsste so eine Dose viele Jahre lang verwendet werden, damit sich ihre Erzeugung rentiert. Es sind heute bereits so viele Ressourcen im Umlauf, die müssen wieder verwendet werden, denn die Kosten für die Erschließung neuer Ressourcen sind einfach zu hoch. Wir selbst sind aber auch Teil der Gesellschaft und des Systems, und spiegeln diese verschwenderische Art des Wirtschaftens in unserem Denken und unserem täglichen Verhalten wieder. Deshalb sollte sich auch jeder Einzelne fragen: Brauche ich das alles wirklich? Man muss nicht jedes Jahr ein neues Handy kaufen. Teilweise gibt es schon ein Umdenken: Nutzen statt kaufen, Recycling oder Maschinenringe, wie das bei Bauern der Fall ist. Solche Dinge werden viel stärker kommen müssen in allen Bereichen der Gesellschaft. Auch die Sinnhaftigkeit vieler Produkte muss hinterfragt sein. Jetzt leben die Werbung und sehr viele Industrien davon, dass Bedürfnisse in den Konsumenten künstlich geweckt werden.

Talktogether: Um Ressourcen werden aber auch blutige Kriege geführt, wie aktuell im Kongo. Hat Umweltschutz ohne soziale Gerechtigkeit überhaupt einen Sinn?

Sumeeta: Eben nicht. Umweltschutz, wie er jetzt betrieben wird, läuft so, dass die Wirtschaft nur nach den Interessen derer betrieben wird, die eine Lobby haben. Die Frauen, die Kinder, die Menschen im Süden, sie sind alle nicht vertreten. Doch ohne sie wird Umweltschutz nicht möglich sein. Wenn wir die Wälder schützen, wenn wir die Landschaften schützen, schützen wir auch die Menschen, die in ihnen und von ihnen leben. Die Menschen brauchen keine Entwicklungshilfe in Form von Geld und keine Maschinen vom Westen, sie brauchen Zugang zu Wasser, sie brauchen Land, das sie bebauen können. Die soziale Gerechtigkeit ist deshalb eine Kernkomponente des Umweltschutzes, Umweltschutz ohne Gerechtigkeit ist nicht denkbar.

Talktogether: Genau betrachtet haben internationale Vereinbarungen wie das Kyoto-Protokoll nichts zur Reduzierung der CO2-Emissionen beigetragen, andrerseits hat die Wirtschaftskrise hier sehr viel bewirkt. Sind wir nicht längst an einem Punkt angelangt, an dem ein rein quantitativer Wachstum nicht mehr Fortschritt, sondern Zerstörung bedeutet?

Sumeeta: Ja eben. Ich bin der Überzeugung, dass es so etwas wie ständiges Wachstum nicht geben kann. Jedes System hat eine kritische Größe, und wenn es die kritische Größe übersteigt, kippt das System. Daher ist ein System, in dem das Geld und die Macht nur in sehr wenigen Händen konzentriert sind, bereits ein sehr instabiles System. Einige wenige Konzerne sind mächtig und groß geworden, sie haben, meine ich, ihre kritische Größe bereits überschritten und werden zerplatzen, denn sie wachsen, weil es vielen so schlecht geht, sie bestehen auf Kosten der Umwelt und der Menschen. Ein nachhaltiges Wirtschaftssystem wird auch ein Gesundschrumpfen beinhalten müssen und zwar auf allen Ebenen.

Wir sind ein Teil der globalen Familie, und damit meine ich nicht nur die Menschen, sondern auch die Pflanzen, Tiere und auch Landschaften. Wir wissen bereits, würden alle nach dem Lebensstil der Menschen in Europa leben, würden wir zweieinhalb Planeten benötigen. Doch Schrumpfen bedeutet nicht auf Genuss zu verzichten. Wenn man seine Zeit statt in den Konsum in Freundschaften, Beziehungen und soziales Engagement investiert, bedeutet das auf persönlicher Ebene sehr wohl einen Gewinn. Wenn ich weniger konsumiere, muss ich auch weniger Zeit für Arbeit aufbringen. Wir suchen alle nach Glück, und dieses Glück glauben wir in materiellen Dingen zu finden. Die Werbung suggeriert uns, dass Glück und Schönheit käuflich wären. Aber die Dinge, die wirklich wichtig für unser Glück sind wie Beziehungen, Freundschaften, eine intakte Umwelt, gute Luft, Frieden, Liebe, diese Dinge sind nicht käuflich.

Wir brauchen eine dezentralere Art des Wirtschaftens, in dem Sinne, dass nicht große Konzerne dominieren, sondern dass Dinge vor Ort und bedürfnisgerecht produziert werden. Das bedeutet nicht, sich abzuschotten. Das Schicksal von allen weltweit hängt miteinander zusammen. Die einen haben das Glück, in einer Umwelt zu leben, in der sie mehr Zugang zu Ressourcen haben als andere. Deshalb bleibt Solidarität das oberste Prinzip.

Talktogether: Welche Rolle spielen Frauen für den Umweltschutz bzw. welche Rolle können sie spielen?

Sumeeta: Frauen sind auf andere Weise vom Klimawandel betroffen und haben auch anders dazu beigetragen. Sie haben ein anderes Mobilitätsverhalten, benützen mehr öffentliche Verkehrsmittel, haben nicht so große Autos. Sie essen mehr Milchprodukte und weniger Fleisch.

Im Süden sind gerade die Frauen vom Klimawandel in extremer Weise betroffen: Sie sind von natürlichen Ressourcen viel abhängiger als die Männer und gleichzeitig besitzen sie weniger materielle Ressourcen oder weniger Zugang zu diesen. Sie bekommen schwerer Kredite, habe eine höhere Analphabetismusrate und weniger Zugang zu Informationen. Frauen leisten unentgeltliche Arbeit, besorgen die Lebensmittel, Brennmaterial und Wasser. Sie leben von natürlichen Zyklen. Wenn aber diese sich immer mehr verändern, werden ihre Lebensbedingungen noch schwieriger als sie ohnehin schon jetzt sind. Sie müssen z.B. viel weitere Wege zurücklegen um Wasser zu holen.

Wasser ist überhaupt der Schlüssel und wird in Zukunft wahrscheinlich der Grund für viele Kriege sein, wenn wir dieser Entwicklung nichts entgegensetzen.

In den Subsistenzwirtschaften, die von Frauen betrieben werden, verfügen Frauen aber auch über sehr viel Wissen, z.B. über die medizinischen Qualitäten von Pflanzen, oder über die Fruchtfolge, die sie anwenden, um die eigene Familie zu versorgen. Dieses Wissen geht für immer verloren, wenn die Landwirtschaft immer mehr umgestellt wird auf die Erzeugung von Cash-Crops für den Export. Wenn die Landwirtschaft nicht mehr genug zum Leben einbringt, bleiben die Frauen in den Dörfern zurück, während die Männer in die Städte gehen, um Arbeit zu suchen. Sie sind es, die aufgrund der erschwerten Lebensbedingungen gesundheitlich gefährdet sind, weil sie weniger Nahrung zur Verfügung haben. Aufgrund der durch Mangelernährung hervorgerufenen schlechteren Immunität sind sie für Krankheiten, die durch Wasser oder Tiere übertragen werden, z. B. in der Schwangerschaft, anfälliger.

Bei Klimaschutzmaßnahmen schlagen Männer technische Lösungen vor, während Frauen von der Veränderung des Lebensstils oder der Vermeidung von Emissionen reden. Auf allen mächtigen Gremien international und national, die über Umweltschutz bestimmen, sitzen Männer. Frauen sind nach wie vor in den Entscheidungsgremien stark unterrepräsentiert.

Auch bei Klimakatastrophen sind Frauen anders betroffen. So können sie weniger schnell flüchten, weil sie sich um Kinder oder die Alten kümmern, aber auch weil sie durch einschränkende Kleidung bei der Flucht behindert werden. Außerdem werden ihre Bedürfnisse, z. B. Sanitätsartikel, bei Rettungsmaßnahmen zu wenig berücksichtigt. Männer argumentieren meist mit Zahlen. Oft weiß 'frau' nicht, was hinter den Zahlen steckt, von welchen Annahmen 'man' ausgeht.

In allen sozialen Bewegungen des Südens ist heute eine Umweltkomponente enthalten, wie in der Bewegung gegen die Staudämme oder bei den Gegnerinnen von Waldrodungen. Sich in solchen Bewegungen zu engagieren, ist ein gewaltiger Beitrag, den Frauen bereits jetzt für den Umwelt- und Klimaschutz leisten, obwohl das nie in den Medien gesagt wird. Die sog. weiblichen Werte, also nicht Erfolg und Gewinn, sondern Solidarität und Fürsorge, müssen viel stärker zu Leitsätzen unserer Lebensweise werden. Ich denke, die Frauenfrage kann heute gar nicht mehr vom Klimaschutz getrennt gesehen werden. Wenn wir mehr Frauenrechte fordern, sollten unsere Forderungen auch im Einklang mit dem Klimaschutz stehen.

Talktogether: …also in dem Sinne, dass Frauen nicht danach streben, die gleiche Lebensweise wie die Männer anzunehmen?

Sumeeta: Ja genau! Denn die Art des Wirtschaftens, wie es heute vorherrscht, wird nicht mehr funktionieren. Wir Frauen sollten vielmehr dazu beitragen, dass Prinzipien wie das Dezentrale, der „grassroot-level“, das Solidarische, das Fürsorgliche, mehr Bedeutung erlangen. Aber ich bin dagegen, Frauen und Männer gegeneinander auszuspielen, es geht um die Solidarität mit allen Benachteiligten, auch dann, wenn Frauen um ihre eigenen Rechte kämpfen.

Talktogether: Was sind deiner Meinung nach die dringendsten internationalen Forderungen?

Sumeeta: Erste Priorität hat der Schutz der Regenwälder, denn 20 Prozent der CO2-Emissionen entstehen allein durch die Vernichtung der Regenwälder, außerdem wird dadurch die Existenz von Menschen, Pflanzen und Tieren zerstört. Kompensationsmaßnahmen, wie anderswo aufforsten, die auch typisch von mächtigen Männern vorgeschlagen werden, können extrem gefährlich sein. Hier könnte munter weiter "business as usual" gemacht werden unter dem Vorwand, man tue eh etwas. Dabei besitzen Regenwälder eine unglaubliche Artenvielfalt, die so nicht ersetzt werden kann. Oft wird versucht, die Bedürfnisse der Menschen gegen die Erfordernisse des Klimaschutzes auszuspielen, aber das kann man nicht voneinander trennen. Man lernt doch schon in der Volks- oder Hauptschule, dass der Mensch ein Glied in der Kette der natürlichen Lebenszyklen ist. Sie haben jetzt festgesetzt, dass die Erderwärmung auf zwei Grad begrenzt werden soll. Das ist viel zu wenig, man weiß, dass selbst eine Erwärmung von zwei Grad verheerende Konsequenzen mit sich bringt.

Zweitens: die sofortige Einführung einer CO2-Steuer weltweit ohne Hintertüren, die auch den privaten Verbrauch mit einschließt und zum Sparen anregt. Damit jede/r zweimal nachdenkt, ob er/sie sich in ein Flugzeug setzt. Wenn wir wollen, dass die zukünftigen Generationen halbwegs eine Chance bekommen, haben wir gar keine Wahl, wir können unsere Enkel ja nicht auf den Mars schicken.

Vor allem muss global gedacht werden. Klimaneutrale Standards müssen eingeführt werden in allen Bereichen und bei allem, was produziert wird, und zwar weltweit. Die reichen Länder tun sich leicht, sie haben ihre schmutzigen Produktionen in den Süden verlagert. Großbritannien hat ein Fünftel seiner Industrie in Länder verlagert, wo es keine Umweltauflagen gibt wie in Europa. Dabei profitieren sie nicht nur von den Billiglöhnen, auch die Verschmutzung bleibt im Süden. Die Menschen dort müssen die giftigen Gase einatmen, bekommen Krebs und andere Krankheiten, ihre Böden und ihr Wasser sind verseucht. Die Menschen in England bekommen dafür die Produkte billiger als vorher. Die Erhöhung des Lebensstandards wurde so auf Kosten der Menschen im Süden erkauft. Zudem werden so auch die wichtigen und notwendigen Klimaschutzmaßnahmen umgangen. Klimastandards müssten also für alle Produkte, die hier verkauft und gekauft werden, eingeführt werden, unabhängig davon, wo das Produkt erzeugt wird.

Talktogether: Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es auf persönlicher und auf lokaler Ebene?

Sumeeta: Sehr viele. Man/Frau kann sehr viel tun, indem er/sie das Konsumverhalten ändert. Wenig Fisch essen, am besten gar keinen Fisch essen, denn die Überfischung der Meere ist so dramatisch, dass Greenpeace davon redet, dass bereit in fünf Jahren ein großer Teil der Fischarten bedroht sein wird. Und wenn man Fisch kauft, sollte man zumindest darauf achten, nur MSC-zertifizierte Produkte zu kaufen. Auch die weltweite Fleisch- und Milchwirtschaft trägt auch zu einem großen Teil der Emissionen bei. Man sollte nicht vergessen, dass Methan ein weitaus gefährlicheres Klimagas ist als CO2. Also weniger Fleisch essen und dafür lokale Bioprodukte kaufen, z.B. von Bio-Bergbauern, denn wenn man ihre Produkte kauft, unterstützt man diese nachhaltige Art des Wirtschaftens.

Generell könnte man sagen, weniger statt mehr, Qualität statt Quantität, nützen statt kaufen, teilen, wieder verwenden. Auch das Freizeitverhalten ändern. Ich habe den Eindruck, dass immer nur konsumiert wird. Vielleicht einmal Zeit haben, Zeit für Muße, Zeit zum Nachdenken, für Freunde oder Dinge, die wir schon immer machen wollten. Wir bilden uns ein, dass wir ewig leben würden, vielleicht sollten wir uns unsere Sterblichkeit stärker vergegenwärtigen. Bewusster leben, mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, Fahrgemeinschaften bilden, Carsharing, es gibt viele tolle Möglichkeiten, nicht mit dem Flugzeug in den Urlaub fliegen. Man kann Tauschringe betreiben und interkulturelle Gärten initiieren – hier werden Menschen, die keinen eigenen Garten haben, unabhängig von ihrer Herkunft Grundstücke zur Verfügung gestellt, unter der Bedingung, dass sie dem Austausch anderen gegenüber offen sind und die Beete nach den Prinzipien der ökologischen Landwirtschaft bebauen.

Auch politisch sollte man seine Stimme erheben: Parteien wählen, die in diesem Bereich etwas einfordern und auch umsetzen, selbst politisch aktiv werden, sich in die lokale Politik einmischen, sich informieren, was in der Gemeinde passiert, Bürgerkomitees bilden, die Zukunft aktiv mitgestalten.

Außerdem könnte man alternative Banken unterstützen, die ihr Geld statt in Spekulationsgeschäfte in soziale, Umwelt-, Öko- und Entwicklungsprojekte investieren. Banken investieren üblicherweise dort, wo die höchsten Wachstumsraten herrschen und sie die höchsten Renditen erwarten, und nicht in langfristige Projekte. Regionale Währungen nach Vorbild des Wörgler Experiments aus dem Jahr 1932 könnten ebenfalls eine Alternative bieten, weil sie regionale Märkte fördern, womit der Umfang der Transporte verringert wird, der Verkehr abnimmt und die Umweltbelastung reduziert wird. Die Clean-Clothes Kampagne zu unterstützen und Fairtrade Textilien kaufen ist eine weitere Möglichkeit. Beim Anbau von Baumwolle werden extrem viele Pestizide verwendet: In Indien macht der Baumwollanbau nicht einmal zehn Prozent der landwirtschaftlichen Produktion aus, aber 50 Prozent der Pestizide werden dort eingesetzt.

Hinzu kommt, dass Baumwollbauern in aller Welt in großer Bedrängnis sind, weil die Landwirtschaft in Europa und in den USA stark subventioniert wird und nach wie vor unter Protektion steht, und die Kleinbauern in den Ländern des Südens dieser Konkurrenz nicht standhalten können. Bei 50 Prozent der indischen Bauern, die durch eine Massenselbstmordwelle in die Schlagzeilen gerieten, handelte es sich um Baumwollbauern. Internationale Biotechnologie-Konzerne wie Monsanto haben ihr Saatgut zuerst gratis an die Bauern verteilt, danach müssen diese, um das teure Saatgut, den Dünger und die Pestizide kaufen zu können, Kredite bei lokalen Kredithaien aufnehmen, die zugleich die Baumwollhändler sind. Sie verlangen zuerst 50 Prozent Zinsen und nehmen dann den Bauern die Baumwolle zu Preisen ab, die weit unter dem Erzeugungspreis liegen.

Die weltweiten Textilketten verkaufen die Produkte zu extrem billigen Preisen, während die Näherinnen in Bangladesh Löhne bekommen, von denen sie nicht leben können, sie verdienen heute real viel weniger als noch in den 1980er Jahren. Wenn ich ein T-Shirt um fünf Euro kaufe, sollte ich mir ins Bewusstsein rufen, wie viel Arbeit und Energie darin steckt.

Zu keiner Zeit haben die Menschen so viel konsumiert wie heute, doch viele Produkte sind heute meist von einer extremen Kurzlebigkeit gekennzeichnet. Wollen wir, dass auch unsere Kinder noch halbwegs gute Lebensbedingungen haben, bleibt uns keine Wahl: Wir müssen zu einer nachhaltigeren Lebens- und Wirtschaftsweise zurückkehren.

Talktogether: Danke für das Gespräch!

Sumeeta wurde 1974 in Dehradun, Indien geboren und lebt seit 1999 in Pfarrwerfen, Österreich. 2003 hat sie in Germanistik promoviert und ist seit dem als „Deutsch als Fremdsprache“-Lehrerin und Referentin über Frauenthemen und Hinduismus tätig. Seit 2009 ist sie ehrenamtlich im Vorstand der katholischen Frauenbewegung und seit November 2009 Kuratoriumsvorsitzende des Afro-Asiatischen-Instituts Salzburg. Außerdem ist die Obfrau von DOSTI - Verein für solidarische Entwicklung. Normal 0 21 false false false MicrosoftInternetExplorer4

erschienen in: Talktogether Nr. 31/2010