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Haiti auf der Suche nach einem Ausweg
aus der Dunkelheit
Menschen in aller Welt verfolgen erschüttert die Bilder der großen Katastrophe, die Haiti heimgesucht hat, und folgen den Spendenaufrufen humanitärer Organisationen, um das Leid der Menschen wenigstens ein bisschen zu lindern.
Angesichts der Medienberichte meinen manche, dass es trotz allem doch gut sei, dass es eine so große und starke Armee wie die US-Armee gibt, und dass ohne ihren Einsatz Chaos ausbrechen würde. Es gibt aber auch viele, die sich über die Panzer auf Haitis Straßen wundern, Bilder, die eher eine Besetzung als eine Hilfsaktion vermuten lassen.
Es stellt sich die Frage, warum die US-Armee so viele Kampftruppen – dieselben Truppen, die schon in Vietnam, Grenada, Afghanistan und in Haiti selbst zum Einsatz kamen – aber nur wenig medizinisches Personal nach Haiti schickte. Die Truppen sorgen für Sicherheit – für wessen Sicherheit? Obama stellte es klar: Die Sicherheit der US-BürgerInnen hat höchste Priorität.
Viele Flugzeuge mit Essen, Medikamenten und Wasser an Bord konnten erst am 16. Jänner landen, nachdem sie zwei Tage lang von den US-Behörden umgeleitet worden waren, die den Flughafen freihielten, um ihre eigenen Truppen zu landen und AusländerInnen zu evakuieren. Laut Flughafen-Logistiker Jarry Emmanuel landeten und starteten täglich 200 Flugzeuge in Port-au-Prince, eine riesige Menge für den kleinen Flughafen, ein Großteil davon waren US Militärflugzeuge. Die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ berichtete, dass nur fünf von 13 Cargo-Flugzeugen eine Landeerlaubnis erteilt worden war, und Ärzte deshalb aufgrund fehlender Ausrüstung Amputationen mit auf dem Markt gekauften Sägen und ohne Narkose durchführen mussten.
Trotz des Einsatzes von 10.000 gut ausgerüsteten US-Soldaten gab es zwei Wochen nach dem Beben noch immer Menschen, die keine Hilfe erreicht hat. Im Gegensatz dazu gelang es aber Hilfsteams mit viel weniger Ressourcen, wie einer Such- und Rettungstruppe aus Island, innerhalb von 48 Stunden wichtige Ausrüstung wie Werkzeug, Trinkwasser, Zelte und Kommunikationsmittel zur Verfügung zu stellen.
In einem CNN-Bericht kritisierte der pensionierte US-General Russel Honoré: „Ich dachte, wir hätten das von Katrina gelernt: Nehmt Wasser, Essen und fangt an, die Leute zu evakuieren. Damit hätten wir viel schneller beginnen können“. Als die Nahrungsmittel, die tagelang auf dem Flughafen gestanden waren, endlich zur Verteilung kamen, wurden sie in Kartons aus dem Hubschreiber über den Menschen abgeworfen, fast so wie man hungrige Tiere füttert. Haben die Soldaten Angst vor armen Menschen?
Während in den Medien Berichte über Vorfällen von Gewalt und Plünderungen hervorgehoben wurden, ging es Aussagen von Augenzeugen zufolge friedlich zu und es gab trotz der großen Not weniger Kriminalität als vor dem Erdbeben. Es sei denn, man sieht es als Verbrechen an, wenn hungrige Menschen in ein Geschäft einbrechen, um sich mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Im Gegenteil: Die Menschen unterstützten sich gegenseitig, so gut sie konnten, und gruben mit bloßen Händen Verschüttete aus. Zu Fuß kamen Menschen aus den Teilen des Landes, die nicht vom Erdbeben zerstört worden sind, nach Port-au-Prince um zu helfen.
Die Tragödie in Haiti hat bereits lange vor dem Erdbeben begonnen. Die BewohnerInnen der Insel, die mit der einzigen erfolgreichen Sklavenrevolution 1804 als erstes Land die Kolonialherrschaft abschütteln konnten, haben einen langen Leidensweg von Abhängigkeit und Ausbeutung hinter sich. Nach der Unabhängigkeit musste das Land Zahlungen an die ehemalige Kolonialmacht Frankreich entrichten als Entschädigung für die entgangenen Profite durch Kolonialismus und Sklaverei. 1915 bis 1934 besetzten US-Truppen das Land. Danach unterstützten die USA das grausame Terrorregime von „Papa Doc“ und „Baby Doc“ Duvalier.
Der Bevölkerung Haitis gelang es, sich 1986 mit einem Aufstand von der Diktatur zu befreien. Doch bereits 1991 wurde der erste Coup gegen die Regierung des radikalen Priesters Aristide organisiert. In der darauf folgenden Diktatur unter Raoul Cedras wurden in nur drei Jahren 5000 Menschen getötet. 1994 wurde Aristide durch eine Militäraktion der USA wieder eingesetzt. Er musste sich jedoch verpflichten, sich dem Diktat der vom IWF aufgezwungenen „Strukturanpassungsprogramme“ zu beugen und die Grenzen für ausländische Konzerne zu öffnen.
Die Kleinbauern Haitis konnten der Konkurrenz durch den Billigreis aus den USA – Überschüsse, die teilweise als Hilfslieferungen deklariert wurden – nicht standhalten. Weil viele Menschen vom Land abwandern mussten, ist Port-au-Prince zu einer Millionenstadt mit riesigen Slumsiedlungen angeschwollen. Aus einem Land, das seine Bevölkerung noch vor 30 Jahren mit Mais, Cassava, Süßkartoffeln und lokalem Reis aus eigener Kraft ernähren konnte, wurde ein Armenhaus, das ohne Hilfslieferungen nicht mehr überleben kann. Als 2008 die Lebensmittelpreise plötzlich anstiegen, sahen viele Menschen keinen anderen Ausweg, als ihre Bäuche mit Lehmfladen zu füllen.
Heute mühen sich die auf dem Land verbliebenen Menschen, die weder Maschinen noch Arbeitstiere zur Verfügung haben, dem kargen, durch Abholzung und Erosion unfruchtbar gewordenen Boden ihren Lebensunterhalt abzuringen, während sich in den Netzen ihrer kleinen Fischerboote immer weniger Fische finden, weil das Meer von Fangflotten leer gefischt wird.
Als Maßnahmen zur Armutsbekämpfung schlägt das US-Department Investitionen in eine exportorientierte Textilindustrie vor, denn bei Löhnen von 38 Cent pro Stunde könne das Land mit Bangladesh konkurrieren, und das bei wesentlich kürzeren Transportwegen. Trotz des riesigen Ausmaßes der Katastrophe haben die USA aber keinen Platz für Flüchtlinge aus Haiti und haben angekündigt, diese zurückzuschieben. Die Insassen des Abschiebelagers Krome in Miami wurden bereits an andere Orte verlegt, um Platz für haitianische Flüchtlinge zu schaffen.
Es wird Jahre dauern, bis sich das Land von dieser Katastrophe erholt hat. Wie die Zukunft der Menschen danach aussehen wird, ist ungewiss. Wird es den Menschen, die sich vor 200 Jahren von der Sklaverei befreien konnten, auch gelingen, aus dem Teufelskreis von Armut und Abhängigkeit auszubrechen? Die Menschen in Haiti brauchen unsere Solidarität. Darum wird es wichtig sein, auch längerfristige Projekte zu unterstützen, die den Menschen ermöglichen, sich zu organisieren und aus eigener Kraft zu entwickeln.
Quellen:
Li Onesto: Why so many people died…, 31.1.2010 revcom.us; Toby O’Ryan: Seven Questions about Haiti, 31.1.2010, revcom.us; A World to Win News Service: 25.01.2010 Normal 0 21 false false false MicrosoftInternetExplorer4
erschienen in: Talktogether Nr. 31/2010
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