Fairer Handel –
ein alternatives Wirtschaftsmodell?
Gespräch mit Andrea Reitinger, EZA-Fairer Handel, Köstendorf
Wie ist das Unternehmen EZA entstanden?
Die Idee ist in den frühen 1970er Jahren von den Niederlanden ausgegangen und hat sich in vielen europäischen Ländern verbreitet. Einige Leute aus Salzburg, darunter Toni Wintersteller, der in der Folge der erste Geschäftsführer der EZA werden sollte, haben die Idee des Fairen Handels, damals nannte man es alternativer Handel, kennen gelernt, und brachten bei uns den Stein ins Rollen. Das Modell eines anderen Wirtschaftens sollte auch in Österreich Fuß fassen. Das gab 1975 den Anstoß für die Gründung der EZA, zunächst als 100-prozentige Tochtergesellschaft der niederländischen Organisation bald danach schon als eigenständige österreichische GmbH.
Die EZA ist von der Struktur her ein normales Handelsunternehmen, was die Gesamtphilosophie betrifft aber ein sehr ungewöhnliches Handelsunternehmen, weil die Zielsetzung die ist, Handel anders zu betreiben, als es im herkömmlichen Wirtschaftsleben üblich ist. In den 1960er und 1970er Jahren stellte man sich die Frage: Wie kommt das ungerechte Verhältnis zwischen Nord und Süd zustande? Man kam zu dem Schluss, dass daran u.a. die internationalen Handelsstrukturen massive Anteile haben. Das heißt, man wollte dem konventionellen Handel ein anderes Handelsmodell entgegenstellen, das auf anderen Grundprinzipien beruhte.
Nicht kurzfristiges und einseitiges Gewinnstreben stehen im Vordergrund, sondern die Menschen, die am Anfang der Handelskette stehen und maßgeblich an dieser Handelspartnerschaft beteiligt sind. Sie sollen nicht zu Almosenempfängern gemacht werden. Es gibt das Produkt, es gibt die Arbeitsleistung, die hineingesteckt wurde. Es sollte selbstverständlich sein, dass Menschen von ihrer Arbeit leben können, egal wo auf der Welt. Es sollte genauso selbstverständlich sein, dass Produkte, die wir konsumieren, unter menschenwürdigen Bedingungen hergestellt werden. Das heißt, derselbe Anspruch, den österreichische ArbeitnehmerInnen erheben, sollte auch in weit entfernten Weltgegenden Gültigkeit haben und umgesetzt werden.
Bewusstseinsarbeit war von Anfang an ein ganz zentrales Anliegen des Fairen Handels. Fairer Handel als Möglichkeit globale Zusammenhänge zu begreifen und anhand konkreter Produkte zu erfahren, ist als wichtiger Baustein im Rahmen der Bildungsarbeit erkannt worden. Konsument_inneninformation im umfassenden Sinn zu betreiben, war damals wichtig und neu. Es ging und geht auch heute noch nicht nur um die Zusammensetzung, die Rezeptur eines Produktes, sondern auch darum, woher das Produkt kommt, wer es hergestellt hat und unter welchen Bedingungen es hergestellt wurde.
Die Tatsache bewusst zu machen, dass Kaufhandlungen, die gesetzt werden, ganz direkte Auswirkungen – sei es nun in positiver oder negativer Hinsicht – auf Menschen haben, die die Produkte hergestellt haben, ist ein wichtiger Aspekt. Wenn man nur allgemein über Globalisierung spricht, ist das für viele Menschen oft zu weit weg von ihrem täglichen Leben. Man kann mehr erreichen, wenn man die Leute bei ihren alltäglichen Handlungen abholt und einen Zusammenhang herstellt.
Wie wirkt sich die Konkurrenz mit anderen Mitbewerbern auf die EZA aus?
Die EZA war die erste Importorganisation, die sich dem Fairen Handel verschrieben hat, und ist in Österreich nach wie vor die größte mit dem breitesten Sortiment. Lange Zeit hatten wir in diesem Bereich als einziger Anbieter von fair gehandelten Produkten quasi Monopolstellung. Das hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Es gibt jetzt mehrere Anbieter fair gehandelter Produkte, die meisten davon kommerzielle Unternehmen, die einen Bereich ihres Sortiments dem Fairen Handel geöffnet haben.
Das hat auch mit einer zweiten Phase des Fairen Handels zu tun. Anfang der 1990er Jahre ist der Anspruch laut geworden, dass der Faire Handel raus aus der Nische, in der er sich bis dahin bewegt hatte, und stärker im Mainstream Fuß fassen sollte. Damit verbunden war die Lancierung eines Gütesiegels für den Fairen Handel, das FAIRTRADE-Siegel, ebenfalls eine Idee, die in den Niederlanden geboren wurde und sich von dort mittlerweile international verbreitet hat. Man hat damit ein Gütesiegel geschaffen, das mehrere Funktionen erfüllen sollte: Es sollte den Konsumenten Orientierung geben, eine unabhängige Kontrolle der festgelegten Kriterien des Fairen Handels gewährleisten und kommerziellen Unternehmen diese Idee als gangbaren Weg präsentieren.
Das hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass mehr fair gehandelte Produkte denn je im Handel verfügbar sind. Wirtschaftlich hat uns diese Entwicklung nicht geschadet, ganz im Gegenteil, die EZA hatte in den letzten zehn Jahren fast eine Verdreifachung des Umsatzes zu verzeichnen. Fairer Handel ist stärker ins öffentliche Gespräch gekommen. Unsere Produkte sind heute in den Weltläden, den Fachgeschäften für Fairen Handel, erhältlich, aber auch in Supermärkten und Drogeriemärkten.
Was ist der Unterschied zwischen EZA-Produkten und Fair-Trade-Produkten im konventionellen Handel?
Im Unterschied zu vielen anderen Unternehmen ist der Faire Handel für uns nicht nur ein Teilaspekt der Geschäftspolitik, sondern das Zentrum unseres Tuns, das für die Gestaltung all unserer Handelsbeziehungen handlungsanleitend ist. Dazu kommt, wie wir Gewinn definieren und was mit monetären Gewinnen passiert. Wenn die EZA Gewinne macht, werden diese nicht an die Gesellschafter ausgeschüttet, sondern ins Unternehmen reinvestiert. Und: So wie wir unsere Politik ausrichten, ist es nicht der größtmögliche Gewinn, wonach wir streben, sondern eine wirtschaftliche Tragfähigkeit im Einklang mit den Interessen unserer Partnerinnen und Partner. Gewinn kann in diesem Sinn auch anders definiert werden, etwa als eine Vermehrung der Gestaltungsmöglichkeiten auf der anderen Seite der Handelskette und eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Handelspartner und -partnerinnen.
Welche Projekte unterstützt ihr und wie sehen die Auswirkungen der Partnerschaft auf die ProduzentInnen aus?
Es geht um die Frage, welche Strukturen wir mit unserem Handel stärken wollen. Wir arbeiten mit benachteiligten Menschen in Lateinamerika, Afrika, Asien und relativ neu auch im Nahen Osten zusammen, die mehrheitlich in Selbsthilfegruppen, Genossenschaften oder Kooperativen organisiert sind. Im landwirtschaftlichen Bereich unterstützen wir eine kleinstrukturierte Landwirtschaft, die auf demokratischen, kooperativen Strukturen basiert. Das bedeutet auch eine Umverteilung von Macht und Kontrolle zugunsten derer, die sonst im Handelsgeschehen auf der Strecke bleiben. Es geht darum, möglichst direkte Handelspartnerschaften aufzubauen. Ein Schlüsselwort ist für uns die Transparenz in der Handelsbeziehung, die in der globalisierten Wirtschaft verloren geht, nämlich nachvollziehbar zu machen, woher ein Produkt kommt, wer am Anfang dieser Kette steht. Da nützen möglichst kurze Handelsketten mit wenig dazwischen geschalteten Stellen. Beim Kaffee etwa erhalten die Kaffeekooperativen direkt von uns die Bestellungen und exportieren den Rohkaffee an uns, der dann in Europa endverarbeitet wird.
Warum passiert die Verarbeitung des Kaffees nicht vor Ort?
Diese Frage wird uns oft gestellt. Die Röstung von Kaffee ist eine hoch technisierte Angelegenheit, die einen hohen Kapitaleinsatz erfordert. Für die Genossenschaften, mit denen wir arbeiten, ist dies eine riesige Hürde. Dazu kommt der jeweilige Röstgeschmack, der genau getroffen werden muss. In Europa gibt es je nach nationalem Geschmack ganz unterschiedliche Röstungen. Wenn ein Produkt geschmacklich nicht entspricht, wird es von den VerbraucherInnen nicht angenommen. Dieses Know How zu transferieren wäre ein langfristiges Ziel. Dazu kommt aber noch – zumindest bei Importen aus Ländern, die nicht zu den „least developed countries“ zählen und somit Zollerleichterungen haben –, dass für gerösteten Kaffee höhere Zölle erhoben werden, eine Handelsbarriere, die von der EU auferlegt wird.
Es gibt aber etliche andere Produkte, wo eine Weiterverarbeitung im Ursprungsland stattfindet, an sich ein sehr erstrebenswertes Ziel, weil dadurch ein Mehr an Wertschöpfung im Ursprungsland verbleibt. Ein Beispiel dafür ist die traditionelle Duftreissorte „Hom Mali“ aus Thailand, bei uns als Jasminreis bekannt. Dieser Reis wird vor Ort von Bauerngenossenschaften auf biologische Weise angebaut, geerntet und im entsprechenden Netzwerk zu einem exportfertigen Produkt weiterverarbeitet. Auch die Tees und die Gewürze kommen als bereits fertig verarbeitete und abgefüllte Produkte nach Europa.
Wäre es nicht nachhaltiger, wenn die Menschen für den lokalen Markt produzieren, als Produkte Tausende Kilometer um die Welt zu transportieren?
In einer globalisierten Wirtschaft eine gute Frage... Grundsätzlich ist die Produktion für lokale, regionale Märkte ein sinnvoller Ansatz. Aber es muss eben einen Markt für das jeweilige Produkt geben. Wir kooperieren mit HandelspartnerInnen, die nicht nur exportieren, sondern z.B. in Kolkata (Calcutta) einen eigenen Fair Trade Shop führen und dort ihre Produkte anbieten. Ein anderes Beispiel ist „Green Net“, ein Netzwerk von Reisbauern und -bäuerinnen in Thailand, die nicht nur Reis für den Export, sondern gleichzeitig auch Obst und Gemüse für den lokalen und regionalen Markt produzieren. Oder die Kakaokooperative El Ceibo in Bolivien: Da wurden vor 30 Jahren Menschen aus dem Hochland ins Tiefland umgesiedelt, wo sie sich in mühevollen Schritten die Kenntnisse für die Kakaoproduktion aneignen mussten. Heute, in der dritten Generation, produziert die Kooperative nicht nur Kakao und Kakaobutter für den Export, sondern auch Schokolade und Dragees für den heimischen Markt.
Welche sind die Prinzipien des Fairen Handels?
Von allem eine entsprechende Bezahlung der ProduzentInnen. Bei manchen Produkten gibt es klare Regeln, das sind v.a. Produkte, für die es Weltmarktpreise gibt wie Kaffee oder Kakao. Hier wurde ein Schema entwickelt, das einen garantierten Mindestpreis vorsieht, der auch bei niedrigeren Weltmarktpreisen nicht unterschritten wird. Dazu kommen eine Sozialprämie sowie eine Bioprämie, wenn es sich um Produkte aus biologischem Anbau handelt. Indem ProduzentInnen eine entsprechende Bezahlung für ihr Produkt erhalten, soll gewährleistet werden, dass sie den Schwankungen der Weltmarkpreise weniger stark ausgesetzt sind. Bei anderen Produkten werden die Preise von den ProduzentInnen festgelegt. Die Zielsetzung ist in jedem Fall, einen wesentlichen Beitrag zur Existenzsicherung zu leisten.
Ein weiteres Prinzip des Fairen Handels ist die Langfristigkeit der Handelsbeziehung, die im herkömmlichen Handel nicht unbedingt üblich ist. Hier zählt oft das Billigstbieterprinzip. Im Fairen Handel geht es aber nicht nur darum, Produkte zu importieren und hier zu verkaufen, sondern ProduzentInnen eine stabile und planbare Zukunft zu ermöglichen. Außerdem bezahlen wir bis zu 60 Prozent des Warenwerts noch bevor die Ware bei uns eingelangt ist. Das hat den Vorteil für die ProduzentInnen, dass sie weniger abhängig sind von Bankkrediten, für die sie sehr hohe Zinsen bezahlen müssen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Austausch und die Beratung mit den PartnerInnen in der Weiterentwicklung der Produkte, damit sie in die Lage versetzt werden, Produkte herzustellen, die hier einen Markt finden können. Was wir nicht wollen und was auf Dauer auch nicht funktioniert, sind sog. „Mitleidskäufe“, weil damit ProduzentInnen in die Rolle der Almosenempfänger versetzt werden. Die Menschen bringen ihre Arbeitsleistung, ihre Kreativität und ihre Kompetenz in das Produkt ein. Dafür verdienen sie nicht unser Mitleid, sondern eine angemessene Bezahlung. Wir wollen Produkte verkaufen, die eine ganzheitliche Qualität besitzen, die menschenwürdig hergestellt wurden, ohne Raubbau an der Natur, und die aufgrund ihrer Ästhetik oder ihres Genusswerts von den KonsumentInnen geschätzt werden.
In welcher Weise werden Frauen durch die Zusammenarbeit mit dem Fairen Handel gefördert?
Ein wichtiger Punkt. Frauen haben auch im Fairen Handel eine schwierige Situation, patriarchalische Strukturen gibt es ja nicht nur bei uns, und Frauen anderswo auf der Welt haben sich mindestens ebenso damit herumzuschlagen wie wir, wobei die Rahmenbedingungen – die politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen – oft noch viel schwieriger sind.
Trotzdem gibt es viele positive Erfahrungen, die ich auf meinen Reisen beobachten konnte. In Indien arbeiten wir seit vielen Jahren mit einem von Frauen gegründeten Netzwerk zusammen, das mit verschiedenen Handwerksgruppen kooperiert. Wir haben eine Frauengruppe mit vorwiegend muslimischem Hintergrund in einem Dorf in der Nähe von Kolkata besucht. Dort hat sich deutlich gezeigt, dass es um mehr geht, als um die Herstellung und den Verkauf von Produkten. Die Frauen stellen traditionelle, sehr kunstvolle Stickarbeiten her und haben den Kontakt zu einer Vermarktungsorganisation in Kolkata gefunden, die sie begleitet hat. Sie haben sich organisiert und über die Jahre ist es zu Veränderungen gekommen. Die Frauen haben ihr eigenes Bankkonto eröffnet, wohin sie Geld überwiesen bekommen, über das sie eigenständig verfügen können, und haben begonnen, sich aus dem Dorf heraus zu bewegen, nach Kolkata zu fahren und dort an Weiterbildungsveranstaltungen teilzunehmen. Eine der Frauen hat erzählt, dass sich durch diese Entwicklung allmählich das Alter der Töchter, in dem diese verheiratet wurden, von 15 Jahren auf 20 erhöht hat. Das ist für mich eine wichtige Nebenwirkung des Fairen Handels. Es geht darum, die Menschen in ihrer Gesamtsituation zu erfassen. Wenn durch Fairen Handel Möglichkeiten geschaffen werden, über gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu reflektieren, können daraus neue Handlungsspielräume entstehen. Welche Maßnahmen die betroffenen Frauen ergreifen, welche Schlüsse sie daraus für sich ziehen, das liegt in der Entscheidung unserer Handelspartnerinnen selbst.
Welche Rolle spielt die Umweltkomponente bei euren Handelspartnerschaften?
Die ökologische Komponente spielt innerhalb der EZA schon seit langem eine wichtige Rolle. Wir waren in Österreich das erste Unternehmen, die fair gehandelten Bio-Kaffee auf den Markt gebracht hat. 77 Prozent unserer Lebensmittel sind aus kontrolliert biologischem Anbau. Wir sind fest davon überzeugt, dass in der Verbindung von sozialen und ökologischen Standards ein Weg in die Zukunft liegt.
Die EZA bietet Kleidung aus FAIRTRADE-zertifizierter biologisch angebauter Baumwolle an. Es ist bekannt, dass der konventionelle Baumwollanbau ein Riesenproblem ist, nicht nur ein Umweltproblem, sondern auch ein ganz massives soziales Problem. Konventionelle Baumwolle wird mit einem unglaublichen Einsatz von Pestiziden und Insektiziden zum Wachsen gebracht, was nicht nur den Boden und das Wasser kaputt macht, sondern natürlich auch die Menschen, die von diesem Wasser, diesem Boden und dieser Luft abhängig sind, die Leute, die in der Gegend leben, wo diese Baumwolle wächst, und vor allem die, die auf den Feldern arbeiten. Dass jedes Jahr Tausende Menschen aufgrund von Vergiftungen sterben, ist auch nichts Neues mehr. Hier auf Bio-Baumwolle zu setzen ist für uns eine bewusste Entscheidung, weil es direkte Auswirkungen auf die Menschen hat, die dort leben und mit diesem Rohstoff hantieren.
Dazu kommt, dass subventionierte Baumwolle, vor allem US-Baumwolle, das Preisniveau untergräbt und zu einer massiven Konkurrenz wird zu Baumwolle, die unter völlig anderen Bedingungen angebaut wird wie z.B. in Westafrika. Hier steht ein kleinbäuerlicher Anbau unter schwierigsten Bedingungen einer hochtechnisierten Agrarindustrie gegenüber, die noch dazu staatlich gefördert wird. Hier sieht man deutlich, wie im Welthandel für sehr ungleiche Partner die gleichen Regeln gelten. Das berücksichtigt in keiner Weise, dass es Teilnehmer an diesem Handelsgeschehen gibt, die in einer ausgesprochen schwachen Position sind und viel stärker geschützt werden sollten. Protektionismus hat zwar oft einen negativen Beigeschmack, aber ich denke, dass es möglich sein muss, dass schwächere Marktteilnehmer Rahmenbedingungen vorfinden, die ihrer spezifischen Situation stärker gerecht werden. Alles andere ist ein unfaires Match.
Fairer Handel hat einen Markt, weil der übrige Handel unfair ist. Habt ihr auch den Anspruch, mit dem Fairen Handel ein alternatives gesellschaftliches Modell aufzuzeigen?
Der Anspruch ist auf jeden Fall da, in der Praxis vorzuleben, wie Handel anders ablaufen kann, und was Prinzipien sein können, die in den Handel stärker integriert werden müssen, wenn man das herrschende Ungleichgewicht nicht permanent verstärken will. Es gilt Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Menschen, die am Beginn der Handelskette stehen, nicht ständig im Nachteil sind, damit sie am Handel teilhaben können, der dadurch Motor für eine nachhaltigere Entwicklung sein kann. Damit das passiert, muss sich viel bei uns verändern. Das berührt Fragen des Handels, der Wirtschaftspolitik, der Landwirtschaftspolitik bis zu den Handlungen jedes/jeder Einzelnen.
Unser Leben und unser Tun ist – ob uns das nun gefällt oder nicht – mit dem Dasein anderer Menschen auf dem Planeten untrennbar verbunden. Beispiele gibt es ja genug. Wenn Hühnerteile, die hier nicht mehr gebraucht werden, auf afrikanischen Märkten landen, dann zerstören sie dort die lokale Geflügelzucht und machen die Leute krank. Ein ähnliches Beispiel sind Altkleider aus Europa, die den lokalen Schneiderinnen die Existenzgrundlage entziehen. Wenn mit Nahrungsmitteln spekuliert wird, und sich Menschen ihre Nahrungsgrundlage plötzlich nicht mehr leisten können, ist das keine Naturkatastrophe, sondern von Menschen gemachte Politik, an der einige wenige sehr gut verdienen und viele verlieren. Wenn mit Geldern der Weltbank der Kaffeeanbau in Vietnam in einem Ausmaß gefördert wird, dass ein eklatantes Überangebot entsteht und die Kaffee-Preise in den Keller stürzen, wie 1999/2000, dann reißt das nicht nur Tausende Kleinbauernfamilien ins Verderben. sondern verursacht auch enormen volkswirtschaftlichen Schaden und zwar überall dort, wo vom Kaffeeexport abhängige Länder plötzlich auf einen Gutteil ihrer Devisen verzichten müssen.
Ein wichtiges Prinzip im Fairen Handel ist die Transparenz. Das bedeutet, offen zu legen, wie Handelsströme verlaufen. Es bedeutet aber auch aufzuzeigen, wer am heutigen Wirtschaftssystem verdient und auch wer auf der Strecke bleibt. Die Schere zwischen den Ländern aber auch innerhalb der Gesellschaften wird immer größer. Hier darf der Faire Handel nicht zum Ruhekissen werden. Es genügt nicht, fairen Kaffee zu kaufen, und die Welt ist in Ordnung. Wenn man damit aber anregen kann, Wirtschaftsstrukturen und deren Akteure kritisch zu hinterfragen, bekommt Fairer Handel eine politische Dimension. Weil es doch letztlich darum geht, sich einzumischen, nicht bloß als Konsumentin, sondern als aktiveR BürgerIn. Zugegeben: Das ist anstrengender als bloßes Konsumieren. Aber wenn wir möchten, dass – frei nach Erich Fried – die Welt nicht so bleibt wie sie ist, damit sie bleibt, können wir uns das wohl nicht ersparen.
Andrea Reitinger arbeitet seit 1990 für die EZA Fairer Handel im Bereich Information und Öffentlichkeitsarbeit. „Dass ich bei EZA gelandet bin ist wohl so eine geglückte Mischung aus Zufall und Wollen.“ Kennen gelernt hat sie den Fairen Handel als Schülerin in Oberösterreich. Während ihres Lehramtsstudiums in Salzburg (Französisch/Spanisch) hat sie im Lateinamerika-Komitee Salzburg mitgearbeitet. Die Solidaritätsarbeit hat sie 1986 nach Nicaragua gebracht, wo sie an einer Brigade der deutschen Gewerkschaftsjugend teilgenommen hat. „Eine Erfahrung, für die ich den Nicas heute noch dankbar bin.“ Nach abgeschlossenem Studium und aussichtsloser Suche nach einer Stelle als Lehrerin „landet“ sie bei EZA.
erschienen in: Talktogether Nr. 31/2010
|