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Große Chance auf der Kleinen Schanze
Mit einer Zeltstadt protestieren Schweizer Bleiberechtskollektive gegen die prekäre Situation der Papierlosen
Weil sie nicht länger bereit sind, die fremdenfeindliche Politik der Schweiz still hinzunehmen, haben sich Bleiberechtskollektive aus verschiedenen Schweizer Städten zusammengeschlossen und am 26. Juli eine Demonstration in der Hauptstadt Bern organisiert. An die 5000 Menschen mit und ohne Papiere sind aus der ganzen Schweiz angereist, um ihrer Forderung nach einem Bleiberecht für alle Menschen, die ohne Papiere und ohne Perspektiven in der Schweiz leben, Gehör zu verschaffen.
Um ihre Forderungen zu bekräftigen, wurde im Anschluss an die Demo auf der „Kleinen Schanze“, einem Park in der Nähe des Bundeshauses, eine Zeltstadt aufgebaut. Trotz Androhung der Polizei, den Park zu räumen, waren die AktivistInnen entschlossen, den Park eine Woche lang besetzt zu halten.
Aus dem Schatten treten
Er setze viel Hoffnung in diese Aktion, erzählt ein abgewiesener Asylsuchender aus Äthiopien, Ziel sei es, die Bevölkerung über die Lage der Asylsuchenden zu informieren. „Wir wollen arbeiten, am Leben teilnehmen und der Gesellschaft etwas von uns geben“, sagt er, „ich bin nicht hierher gekommen, um mich pensionieren zu lassen, ich muss leben wie ein Mensch“. Schätzungen zufolge leben zwischen 100.000 und 300.000 Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz. Dass man es nicht genau weiß, liegt daran, dass diese Menschen gezwungen sind, im Schatten zu leben. Doch einige haben sich entschlossen, sich nicht länger zu verstecken und in die Öffentlichkeit zu gehen.
„Unsere Lage ist so schlimm, so dass wir an eine Grenze gelangt sind, wo es keinen Sinn mehr macht, Angst zu haben“, sagt ein Flüchtling. „Viele Flüchtlinge haben Angst vor politischen Aktionen, sie fürchten sich vor Konfrontationen mit der Polizei. Das muss man langsam, langsam bearbeiten, damit sie den Mut gewinnen, über ihre Probleme zu erzählen“. Bis 2008 hat er gearbeitet, doch seitdem die neuen Gesetze in Kraft getreten sind, sind abgewiesene Asylsuchende nicht nur von der Sozialhilfe ausgeschlossen, sie dürfen auch nicht arbeiten. Tausende abgewiesene Asylwerber haben damit Einkommen und Wohnung verloren und sind gezwungen, in einer Notunterkunft zu leben, mit manchmal bis zu 30 Personen in einem Zimmer. Zum Überleben bekommen sie lediglich Migros-Gutscheine im Wert von 8,50 Schweizer Franken pro Tag. Die einzige andere Möglichkeit zu Geld zu kommen ist, schwarz zu arbeiten. Viele leisten auf diese Weise unentbehrliche Arbeit unter ausbeuterischen Bedingungen ohne jeglichen sozialen oder rechtlichen Schutz. Wer in eine Polizeikontrolle gerät, kann für ein bis zwei Jahre in Ausschaffungshaft landen.
Bleiberecht für alle!
Kollektive Regularisierung heißt, einer ganzen Gruppe eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen und nicht nur in Einzelfällen. „Regularisierung bedeutet, diese Menschen zu entkriminalisieren und ihnen einen Rechtsstatus zu verleihen“, erklärt eine Aktivistin, „damit sie sich frei bewegen können und auch das Recht haben, vor Gericht zu gehen, wenn sie z.B. um ihren Lohn betrogen werden“. Der Aufenthaltstitel soll auch nicht an einen Arbeitsvertrag gebunden sein. Doch Bedingungen formulieren will die Bewegung nicht, wichtig ist für die Beteiligten vor allem, sich nicht auseinanderdividieren zu lassen und auf eine gemeinsame Lösung für alle zu bestehen. Was auf politischer Ebene folgt, ist offen.
Was konnte mit der Aktion erreicht werden?
Den Beteiligten an der Aktion ist klar: Eine Änderung der Migrationspolitik kann nicht mit einer einmalige Aktion herbeigeführt werden. Immerhin konnte erreicht werden, dass die Bevölkerung für die Problematik sensibilisiert wurde. Allein in der Aktionswoche erschienen über 40 Artikel und Berichte in den Medien, welche die Forderung nach einer kollektiven Regularisierung thematisiert haben, so dass jetzt viel mehr Menschen über die Lebenssituation der Sans Papiers in der Schweiz Bescheid wissen. Flüchtlinge und ihre UnterstützerInnen hatten Gelegenheit, Erfahrungen auszutauschen und sich zu vernetzen. Damit die „große Chance auf der Kleinen Schanze“, wie sie von einem Betroffenen bezeichnet wurde, wirkungsvoll genützt werden kann, darf der Druck aber nicht nachlassen, sondern muss noch verstärkt werden.
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Besetzung kleine Schance Teil 1: http://www.youtube.com/watch?v=vF-HCNn0M_g Besetzung kleine Schance Teil 2: http://www.youtube.com/watch?v=pGSBfarFkgw
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Kein Deutschkurs ist illegal!
Selbstverwaltete Deutschkurse in der Autonomen Schule Zürich
Abgewiesene Asylwerber, aber auch für Asylsuchende, die noch im Verfahren sind, unterstehen nicht nur einem Arbeitsverbot, für sie gibt es auch keine Möglichkeiten, Deutschkurse zu besuchen. „Wir können nicht erwarten, dass man für uns etwas tut“, sagt ein Sans Papiers, „wir müssen für uns selbst etwas tun.“ Deshalb schlossen sich Asylsuchende und UnterstützerInnen zusammen, um gemeinsam eine Möglichkeit zur Bildung für die Menschen zu schaffen, denen diese Möglichkeit verweigert wird. So wurde in Zürich die Autonome Schule gegründet.
Begonnen wurde in einem besetzten Bürogebäude. Die Kurse sind kostenlos und die ModeratorInnen, so werden die Lehrenden genannt, leisten ihre Arbeit freiwillig. Unter ihnen befinden sich auch ehemalige Flüchtlinge, die selbst auch die Erfahrung gemacht haben, wie schwierig es ist, die Sprache in einem Land zu lernen, in dem man sich nicht willkommen fühlt. Trotz widriger Umstände sind die Studierenden der Autonomen Schule motiviert und kommen regelmäßig drei Mal in der Woche zu den Kursen.
Schule als politische Aktion
Die autonome Schule ist weit mehr als nur ein Ort zum Deutschlernen, hier fließen auch die vielfältigen Lebenserfahrungen der Menschen ein, die daran teilnehmen. Die Teilnahme an einem selbstverwalteten Projekt soll den Teilnehmenden ein selbstorganisiertes Leben und sie aus der ständigen „Verpflichtung zur Dankbarkeit“ befreien. In diesem Sinne ist auch die Geldbeschaffung ein Teil des Lernprozesses. Mit verschiedenen Solidaritätsaktionen wie Volksküchen und Festen versucht der Verein „Bildung für Alle“ sein Projekt zu finanzieren. Eine Aktion war die Sommerschule, die unter dem Motto „Deutsch am See“ im Ferienort Wollishofen stattfand und in der gleichzeitig Deutsch gelernt und ein Fest und eine Kinderveranstaltung organisiert wurden.
Das Projekt trat in eine neue Phase, als der Verein in ein richtiges Schulhaus, in den besetzten Schulpavillon Allenmoos, einziehen konnte. Doch trat nun auch ein Problem immer mehr in den Vordergrund: Für viele Sans Papiers war es fast unüberwindliches Problem, von ihren Unterkünften zur Schule zu gelangen, weil man die Gutscheine nicht in Tickets für den öffentlichen Verkehr eintauschen kann. Als das Schulgebäude im Jänner 2010 ohne Vorankündigung gewaltsam geräumt wurde, Stühle und Schulbänke verschrottet und das gesamte Material abtransportiert wurden, standen die Lernwilligen wieder auf der Straße.
Doch die Räumung bewirkte auch etwas Positives: zahlreiche Solidaritätsbekundungen und Raumangebote erreichten den Verein und es zeigte sich, dass die Unterstützung viel breiter war als angenommen. Da die Gruppe der Lernenden aber ständig anwächst, ist es aber notwendig geworden, Strukturen zu schaffen, die einerseits die Unabhängigkeit des Projekts, aber dennoch Stabilität gewährleisten. Damit die Schule nicht mehr alle paar Monaten übersiedeln muss, werden dringend geeignete Räumlichkeiten gesucht.
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Fragen an Sarah Schilliger, Bleiberechtskollektiv Basel
Talk Together: Seit wann existiert die Bleiberechtsbewegung in der Schweiz und wie ist sie organisiert?
Sarah: Die Bleiberechtsbewegung trat in der Schweiz im Frühling 2001 mit Kirchenbesetzungen (v.a. in der französischsprachigen Schweiz) ins breite öffentliche Bewusstsein. Bei der Kirchenbesetzung in Fribourg wandten sich die Sans-Papiers mit einem Manifest an die Öffentlichkeit und an alle in der Schweiz lebenden Sans-Papiers. Seither kämpfen Sans-Papiers aus der ganzen Schweiz für eine kollektive Regularisierung ihres Status - meistens blieben jedoch diese Aktionen auf einzelne Städte beschränkt.
Nachdem es ein paar Jahre eher ruhig war um die Bewegung für ein Bleiberecht für alle, erfolgte an Weihnachten 2008 mit der fast dreiwöchigen Kirchenbesetzung in Zürich eine grössere politische Aktion, die landesweit wahrgenommen wurde. Doch erst mit der Aktion diesen Sommer (2010) – der Besetzung der „Kleinen Schanze“ in Bern – kam es zu einer gemeinsam organisierten, schweizweiten größeren politischen Aktion. Bestehende Kontakte zwischen AktivistInnen aus verschiedenen Regionen der Schweiz wurden reaktiviert und seit dem Frühling dieses Jahres trafen wir uns regelmäßig zu Vorbereitungssitzungen. Neben der Ausarbeitung unserer politischen Forderungen standen die Mobilisierung, die Infrastruktur vor Ort und die Medien- und Öffentlichkeitsarbeit im Zentrum. Dies wurde in verschiedenen, überregionalen Arbeitsgruppen koordiniert.
In Bern, Lausanne, Zürich, Fribourg und Genf bestehen Bleiberecht-Kollektive. Es handelt sich um recht lose organisierte Gruppen von Betroffenen (Sans-Papiers, Flüchtlinge im Verfahren) und solidarischen Menschen mit Aufenthaltsbewilligung oder Schweizer Pass – tendenziell eher jungen Leuten aus dem linken, außerparlamentarischen Spektrum.
Talk Together: Was sind eure Ziele?
Sarah: Wir setzen uns ein für eine Aufenthaltsbewilligung aller hier illegalisiert lebenden MigrantInnen. Denn erst wenn illegalisierte MigrantInnen einen Aufenthaltsstatus bekommen, müssen sie nicht mehr Opfer der Willkür von Verwaltungen und Arbeitgebern sein, können frei durch die Straßen gehen, ohne Angst jeden Moment verhaftet und ausgewiesen zu werden, können sie gleiche sozialen Rechte einfordern und erfahren nicht mehr diese alltägliche Kriminalisierung, die ein Leben als Sans-Papiers kennzeichnet.
Talk Together: Wie werden die Aktionen und Projekte finanziert?
Sarah: Wir finanzieren unsere Aktivitäten zum überwiegenden Teil durch größere und kleinere Spendenbeiträge von Privatpersonen. So haben wir beispielsweise diesen Frühling für die Aktion in Bern einen konkreten Spendenaufruf gemacht – die solidarischen Leute aus unserem politischen Umfeld geben erfahrungsgemäß am ehesten Geld für eine konkrete Kampagne. Hinzu kommen Einkünfte aus Soliveranstaltungen, z.B. Konzerten, Volksküchen usw.
Talk Together: Was konnte deiner Meinung nach mit der Besetzung der Kleinen Schanze in Bern erreicht werden?
Sarah: Ich sehe drei zentrale Aspekte:
Erstens, Öffentlichkeit zu schaffen: Wir haben mit der einwöchigen Besetzung dieses öffentlichen Raums mitten in Bern – direkt vor dem Bundeshaus – eine breite Öffentlichkeit für unsere Anliegen geschaffen. Wir bekamen mit dieser Aktion eine große mediale Aufmerksamkeit, die wir – in meinen Augen – auch recht gut nutzen konnten. Die über Hunderttausend Sans-Papiers, die in der Schweiz leben, bekamen dadurch eine Stimme, konnten aus dem Schatten treten und auf ihre prekären Lebensbedingungen aufmerksam machen. Durch öffentlichkeitswirksame Aktionen in der Innenstadt (Deutschkurse auf dem Bundesplatz, Demonstration zum Bundesamt für Migration usw.) schafften wir zusätzliche Öffentlichkeit.
Zweitens, die landesweite Koordination der Bewegung: Während dieser Aktionswoche in Bern sind die bisher eher regional agierenden Bleiberecht-Kollektive zu einer landesweiten Bewegung zusammengeschmolzen. Es war für uns politisch wichtig, dass wir nun die Politik in Bundes-Bern, d.h. v.a. den Bundesrat und das Bundesamt gegen Migration ins Visier nehmen, denn hier konzentriert sich die politische Macht und hier sitzen die Verantwortlichen – mehr noch als bei den kantonalen Regierungen, die wir bisher meist adressiert haben mit unseren Aktionen.
Das gemeinsame Zusammenleben in der Zeltstadt ermöglichte es uns, sich politisch auszutauschen, sich kennenzulernen, voneinander zu lernen, gemeinsam über Perspektiven und Strategien zu diskutieren – über die Sprachgrenzen hinweg. Für den Aufbau einer schweizweiten, kraftvollen Bewegung für die Rechte der illegalisierten MigrantInnen war dies zentral.
Drittens, die politische Bilanz: Wir haben klare Forderungen an die Politik formuliert und sie in einem Brief im Bundesrat deponiert (vgl. Website). Antworten von den politischen Verantwortlichen (allen voran von der Justizministerin, Bundesrätin Evelyne Widmer-Schlumpf) blieben bisher aus. Anlässlich ihrer Rede an der Bundesfeier (am 1. August feiert die Schweiz jeweils ihren Nationalfeiertag) in einem kleinen Dorf im Aargau waren wir mit rund 150 Leuten präsent und wiesen die Bundesrätin öffentlich darauf hin, dass sie sich bisher nicht zu unseren politischen Forderungen geäußert hat (siehe Foto). Im Anschluss an ihre Rede zum Nationalfeiertag lud sie eine Delegation von fünf Sans-Papiers zu einem Gespräch ein. Immerhin bedeutete dieses Gespräch eine gewisse Anerkennung unserer Bewegung, auch wenn wir uns politisch nicht viel erhoffen davon.
Talk Together: Wie geht es weiter? Welche Aktionen sind weiterhin geplant?
Sarah: Wir sind uns bewusst, dass wir erst am Anfang stehen eines langen politischen Kampfes für eine andere Migrationspolitik. Diese diskriminierende und menschenverachtende Migrationspolitik hat System und die Schweiz ist ja auch nicht das einzige Land, das so repressiv gegen MigrantInnen vorgeht. Wir möchten uns deshalb noch besser vernetzen und koordinieren, auch über die Landesgrenzen hinaus. Wir diskutieren nun weitere Aktionen und politische Schwerpunkte für die kommenden Monate. Inhaltlich fände ich es wichtig, wenn wir stärker noch die prekären Arbeitsbedingungen von Sans-Papiers thematisieren würden und damit auch die Verbindung schaffen zwischen der utilitaristischen Migrationpolitik und der kapitalistischen Ausbeutung. Zudem sind weitere Aktionen des zivilen Ungehorsams gefragt, um gegen die brutalen Ausschaffungen anzukämpfen.
Infos und Kontakte: Bleiberecht für alle! www.bleiberecht.ch, Postfach 1132, 8026 Zürich,
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Papierlose Zeitung: http://www.papierlosezeitung.ch Autonome Schule: http://alles-fuer-alle.jimdo.com/verein/ erein Bildung für Alle, 8048 Zürich,
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erschienen in: Talktogether Nr. 33/2010
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