Keine Befreiung der Gesellschaft ohne Frauenbefreiung! PDF Drucken E-Mail

Keine Frauenbefreiung ohne

Befreiung der Gesellschaft

von Beate Wernegger

In allen Teilen der Welt gehören die Frauen zu den Ärmsten der Armen. Sie leisten zwei Drittel der gesellschaftlich notwen­digen Arbeit, erhalten aber nur etwa 10% des Welteinkommens und besitzen nur 1% des Weltvermögens. Frauen sehen sich mit verschiedenen Formen von Gewalt, Misshandlung, De­mütigung und Ungerechtigkeit konfrontiert: Schläge, Vergewaltigung, sexuelle Versklavung, körperliche und seelische Verstümmelung. Sie reichen von Gewalt in der Familie, Demütigung durch Ehemänner und Schwiegermütter, bis hin zu rechtlicher Unterdrückung. Sie werden in Wohnungen eingesperrt, sterben bei der Geburt ihres Kindes oder unsicheren Abtreibungen, sie werden wegen der Mitgift oder im Namen der Ehre ermordet. Die Grausamkeiten rückständiger Traditionen zerstören die Hoffnungen zahlloser junger Frauen: Burkas, Zwangshei­rat, Kinderhochzeiten, Polygamie. In den Städten ver­wandeln sich die feudalen Ketten in die moderne globali­sierte Sklaverei der „Sweatshop“-Fabriken, der Bordelle und Internet-Heiratsvermittler. In den durch imperialisti­sches Interesse gestifteten und durch Verhetzung, Rassismus und Nationalismus geschürten Kriegen, sind es die Frauen, die die größte Last tragen: Sie müssen fliehen, die Verwundeten versorgen, ihre Kinder allein ernähren und sind außerdem der Folter von Vergewaltigungen ausgesetzt. Während des Bürgerkriegs in Jugoslawien wurden nach offiziellen Zahlen 30.000 Frauen vergewaltigt. Im Bürgerkrieg in Ruanda waren es weit über 100.000.

Warum Frauenbewegung?

Zweifellos haben wir Frauen in den reichen Ländern Europas und Nordamerikas viel erreicht. Heute haben wir das Recht zu wählen, zu studieren, uns scheiden zu lassen, wir haben den Zugang zu Verhü­tungsmittel und die meisten Frauen haben zumindest einige Zeit ihres Lebens die Erfahrung von Arbeit außerhalb des Hauses gemacht. Sogar das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ hat Ein­gang in die bürgerlichen Gesetzbücher gefunden, und eine große Anzahl von Haus­haltsgeräten erleichtert uns die Bürde der Hausar­beit. Doch das Recht zu arbeiten, zu wählen, zu studieren und elektrische Küchengeräte zu benützen hat uns nicht von der wirtschaftlichen Abhängigkeit befreit, so wie uns unsere politischen Rechte nicht ermöglicht haben, die Gesellschaft in irgendeiner Weise zu verändern. Diese Reformen haben uns nicht nur nicht befreit, sie lassen uns die Unterdrückung sogar noch schmerzlicher spüren. Es fehlt an fast allem, was Frauen benötigen: geeignete Kinderbetreuungsplätze, Unterstützung bei Haushalt und Kindererziehung sowie Arbeitsverhältnisse mit gerechten Löhnen und erträglichen Arbeitsbedingungen. Noch immer werden Frauen geschlagen, misshandelt, vergewaltigt und das Bewusstsein der Gewalt hat sich in ihre Psyche eingeprägt. Frauen werden als Sexobjekte behandelt, und in der modernen Pop-Kultur erleben wir zunehmend eine extreme Frauenfeindlichkeit.

Wer ist schuld an der Unterdrückung?

Die Unterdrückung wurzelt offenbar nicht in der Abwe­senheit von gesetzlichen Rechten. Tatsächlich hat uns die bürgerliche Gesellschaft alles gegeben, was im kapitalis­tischen System möglich ist. Aber wenn die Abwesenheit dieser Rechte nichts mit unserer Unterdrückung zu tun hat, woher kommt sie dann? Den Männern die Schuld zu geben, erscheint ähnlich kurzsichtig, wie als die Arbeiter am Beginn des Kapitalismus ihren Zorn gegen die Maschinen gerichtet hatten. Die Schauspieler sind es nicht, die das Drehbuch schreiben. Kann sich die Frau von der passiven Rolle als Sexualobjekt befreien, ohne sich aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit zu befreien, die sie zur Rolle als Objekt zwingt? Der Kapitalismus, sonst immer gierig auf Erneuerung und Transformation, beschützt eine der altertümlichsten Einrichtungen, die patriarchalische Familie, in der die zukünftigen Generationen von ArbeiterInnen dazu erzogen werden, gehorsam zu sein und das Eigentum anderer zu respektieren. Die Dienste, die Frauen dabei leisten, sind für den Kapitalismus überlebenswichtig. Aber genau diese Dienste, nämlich die Kinder zu versorgen, Gemüse zu schneiden und schmutzige Wäsche zu waschen, sind der Grund für ihre Ketten.

Werden Frauen durch die gesellschaftliche Arbeit befreit?

Um die Befreiung zu erreichen, ist es zweifellos notwen­dig, dass die Frauen ihre wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit erlangen und in allen Bereichen der gesellschaftlichen Arbeit teilnehmen. Aber wie viele berufstätige Frauen sehnen sich nach einer langen Arbeitswoche nach dem Wochenende, und sind dann am Montag, wenn sie wieder zur Arbeit kommen, froh dem Kindergeschrei, der häuslichen Enge und der Eintönigkeit der Hausarbeit wieder zu entkommen. Welche Arbeiten werden zum Großteil von Frauen ausgeführt? Frauen arbeiten als Dienstmädchen und Putzfrauen, als Kindererzieherinnen, und Krankenpflegerinnen, als Supermarktkassiererinnen, Fließbandarbeiterinnen und Sekretärinnen. Wie kann Arbeit, die aus monotonen Tätigkeiten und stumpfsinnigem Ausführen von Anordnungen besteht, zur Befreiung führen?

Um Fragen wie diese zu beantworten, lohnt es sich, die Entwicklungen im sozialistischen China während der Jahre 1949 bis 1978 zu studieren. Nicht weil alles perfekt funktioniert hätte – das hat es nicht! – aber die kühnen Experimente, die während dieser Zeit in einigen Teilen des Landes gemacht wurden, waren wegweisend für eine Zukunft ohne Ausbeutung und Unterdrückung. Der Weg zur Frauenbefreiung in China war kein geradliniger und stieß auf zahlreiche Widerstände, aber die Richtung und das Ziel waren immer klar erkennbar.

China war ein rückständiges Land, in dem Feudalis­mus herrschte und die Menschen bittere Not litten. Drei­tausend Jahre Unterdrückung hatten die niedrige Position der Frau in der chinesischen Gesellschaft verankert. Frauen erhielten keine Bildung, wurden verkauft und in jungen Jahren zur Heirat gezwungen. Die Füße der jungen Frauen wurden schon im Kindesalter verschnürt und verkrüppelt, um sie am Verlassen des Hauses zu hindern. Frauen durften nicht auf den Feldern arbeiten und waren wirtschaftlich völlig von ihren Ehemännern abhängig. Als die Revolution in die Dörfer kam, war die erste Aufgabe, die Frauenfüße zu befreien, auch sollten nur mehr freiwillige Eheschließungen erlaubt sein. Doch um die Gegensätze zwischen Mann und Frau nachhaltig zu beseiti­gen, bedarf es langwieriger Prozesse. Der Grad der Befreiung der Frau wurde dabei als Gradmesser für die Befreiung der ganzen Gesellschaft angesehen.

Hausfrauen stellen elektronische Geräte her

Im revolutionären China gab es kaum ein Arbeitsgebiet, das für Frauen nicht zugänglich war: Frauen arbeiteten als Ingenieurinnen, Forscherinnen, Pilotinnen, Kapitänin­nen, Soldatinnen und nahmen auf allen Ebenen an der Verwaltung des Staates teil. Im Bewusstsein, dass ihre Gleichberechtigung nur durch den Aufbau des Sozialis­mus verwirklicht werden kann, ergriffen die Frauen die Initiative. Hunderte von Betrieben wurden von Haus­frauen gegrün­det, die oft nicht lesen und schreiben konnten. Einer von ihnen war die Transistorgeräte-Fabrik Nr. 1 in Beijing, die früher die Werkstatt einer Straßen­gemeinschaft war, wo Waagen hergestellt und repariert wurden. In nur fünf Jahren hatten die Frauen es fertigge­bracht, durch Entschlossenheit und Lernbereitschaft ihre Fähigkeiten derart zu entwickeln, dass es ihnen gelang, verschiedene elektronische Produkte herauszubringen, die den Bedarf mehrerer hundert Fabriken im ganzen Land deckten. Die Aufhebung der Trennung von körperlicher und geistiger Arbeit, war ein weiteres Prinzip des Sozialismus in China. Ein Beispiel dafür waren die Textilarbeiterinnen der Baumwollspinnerei Hu Chin, Beijing, die selbst fahrbare elektrobetriebene Arbeitsstühle entwickelten, die die Arbeitsbelastung bei der Bedienung der Spulen drastisch reduzierten.

Die Eisernen Mädchen

Sinnbild des neuen Selbstbewusstseins waren die jungen Frauen, die sich überall in China auf dem Land zu Avantgardegruppen zusammengeschlossen haben und im Volk als „Eiserne Mädchen“ bekannt wurden. Die erste „Eiserne Mädchengruppe“ wurde in der Produktionsbrigade Datschai gebildet. Sie entstand 1963, nachdem heftige Regengüsse schwere Schäden verursacht hatten: die meisten Häuser und Wohnhöhlen waren zusammengebrochen und die Dämme weggeschwemmt. Doch die Bewohner ließen sich nicht entmutigen. Sie lehnten sogar das Hilfsangebot des Staates ab und beschlossen, sich auf die eigenen Kräfte zu stützen. Die Aufgaben waren gewaltig, die Häuser mussten neu gebaut, die Terrassenfelder ausgebessert und neue Dämme errichtet werden. Zur Bewältigung dieser Aufgaben schlossen sich 23 junge Frauen im Alter von 14 bis 18 Jahren zusammen und bildeten die erste Avantgarde. Die Mädchen packten die härtesten Arbeiten an und ließen sich weder von Hitze noch Kälte abhalten. Wegen ihrer Willenskraft bekamen sie den Namen „Eiserne Mädchen“.

Die Sozialisierung von Hausarbeit und Kindererziehung

Diese Fortschritte konnten nur erreicht werden, weil die arbeitenden Frauen von den Zwängen der Hausarbeit und Kindererziehung durch zahlreiche kollektive Einrichtun­gen weitgehend entlastet wurden: Kindergärten, kollek­tive Küchen und Dienstleistungszentren für Näh- und Stopfarbeiten und die Wäsche wurden in den Stadtvier­teln und Dörfern gegründet. Hier konnten sich Senioren und Seniorinnen stundenweise gegen ein geringes Entgelt betätigen. In den Schulen und Kindergärten wurden die Kinder früh zur Selbständigkeit und Eigenverantwortung erzogen. Kranke und pflegebedürftige Personen wurden von der Gemeinschaft versorgt um die Familienange­hörigen zu entlasten. Medizinische Zentren und Alters­heime befanden sich in der unmittelbaren Wohnum­gebung. In den Dörfern wurden genossenschaftliche Läden eröffnet und um die Versorgung mit den notwen­digen Konsumgütern zu sichern, wurden regelmäßige Forschungen durchgeführt, um die Bedürfnisse der Konsumenten zu untersuchen.

Keine Frauenbefreiung ohne Befreiung der ganzen Gesellschaft!

Nur wenn die Frauen in alle Entscheidungsprozesse einbezogen werden, kann die Gesellschaft wirklich verändert werden. Wenn wir dabei aber auf Lösungen durch die Gesetzgebung hoffen, wie das die Ziele der Frauenbewegung in der Vergangenheit waren, geben wir uns Illusionen hin. In China haben die Gegner der Frauenbefreiung letztendlich den Sieg davon getragen und in Folge wurden viele der Errungenschaften wieder zunichte gemacht. Durch die Beispiele aber lernen wir, dass eine Frauenbefreiung nur möglich ist in einer Gesellschaft, in der die Menschen und ihre Bedürfnisse und nicht Profit und Verwertbarkeit im Mittelpunkt stehen. Frauen sind aber nicht nur Opfer einer speziellen Unterdrückung, sondern haben sich auch in Befreiungsbewegungen als unerschrockene Vorkämp­ferinnen ausgezeichnet. Denn sie haben nichts zu verlie­ren, außer ihren Ketten. Und die Tugenden, die sie durch ihre Rolle in der Familie entwickelt haben – Solidarität, Fürsorge und Gemeinschaftsdenken – qualifizieren sie für eine führende Rolle im Kampf um die Befreiung der Gesellschaft.

Quellen: Chinas Frauen von heute. 1973. Verlag für fremdsprachige Literatur Peking.
Elisabeth Croll: Die Befreiung der Frau in China. Original­dokumente von 1949-1973
Claudie Broyelle: Women’s Liberation in China
http://www.wengewang.org/read.php?tid=22025

erschienen in: Talktogether Nr. 2/2003

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