Ein kleiner Mann mit großem Namen von Abdullahi A. Osman Der Saal war voll und das Publikum lauschte gebannt den Texten, die von SchauspielerInnen vorgetragen wurden. Alle warteten gespannt auf das Erscheinen der Person, die hinter diesen literarischen Gedanken steckt. Es war klar, dass es sich um einen hoch begabten und sensiblen Mensch handelt. Nur wenige hatten ihn vor das Gesicht bekommen. Wie stellt man ihn sich vor, wenn man seine Romane gelesen hat, ihn aber noch nicht ihn gesehen hat und seine Stimme nicht gehört hat? Nachdem die Moderatorin seinen besten Freund ankündigt hatte, erzählte der aus Bulgarien stammende Welt-bürger Ilija Trojanow über die Freundschaft zwischen ihm und dem somalischen Schriftsteller. Trojanow beschrieb und charakterisierte ihn als unbeugsamen und unermüdlichen Schriftsteller, in seinen Worten als einen Marathonläufer der Literatur. In Somalia hat die Dichtkunst eine lange Tradition und gibt es viele Dichter und Dichterinnen. In Somalia gibt es auch viele die man als Vorbilder sieht oder die man Helden nennt. Es gibt zahlreiche Lyriker und Liedermacher wie Kaariye, Khadiijo Foodey, Hadrawi, Saado Ali oder Singub und Komponist wie Qaarey, Jaangaw, Naaji oder Gareed. Es gibt auch viele SängerInnen wie Magool, Tubeec, Samatar, Igal, Mursal, Maandeeq utc. Wenn man sich fragt, wer in jeder Hinsicht der oder die beste von allen ist, dann gibt es Streit. Denn wer es verdient, der oder die Beste genant zu werden, ist umstritten. Aber alle Somalier und Somalierinnen sind sich einig darüber, dass Nuradin Farah der berühmteste und beliebteste somalische Schriftsteller ist. Unsere Muttersprache heißt Somali und nach ihr lernten wir Fremdsprachen wie Englisch, Arabisch und Italienisch. Weil die Schule nicht genug Englischunterricht anbot, schickten die Eltern uns in die Englische Privatschule in Mogadischu. Um uns zu motivieren, lud unser Englischlehrer Personen ein, die sehr gut Englisch sprachen, um mit uns auf Englisch zu diskutieren. Einer von diesen Menschen war der Koch der amerikanischen Botschaft in Mogadischu. „Wie ihr wisst, ist es schön, wenn ihr neben unserer Muttersprache andere Sprachen sprechen könnt. Wisst ihr auch, dass ihr, wenn ihr englisch lernt, sogar die Romane von Nuradin Farah lesen könnt?“ Während er weiter sprach, fragten wir uns, wer ist Nuradin Farah? Ist er besser als Kaariye, Tukaale oder Hadraawi? Was für einer ist er? Nein, flüsterte mir Hassan ins Ohr, die du genannt hast, sind Dichter und Lyriker, aber der, den er meint, ist wahrscheinlich der erste und einzige Somalier, der als Autor weltweit bekannt ist. Schon damals erfuhr ich, dass wir da draußen jemanden haben, der unsere Kultur in die Welt transportiert und als Botschafter der somalischen Dichtung und Literatur unterwegs ist. Aber dass ich ihm irgendwann begegnen würde, davon habe ich nicht ein einziges Mal geträumt. Als ich in Graz mein Deutsch- und Studienberechtigungsprüfung an der Uni absolvierte, las ich seinen ersten Roman “Aus einer gekrümmte Rippe“. Salzburg 2000 Ich kam gerade von der Arbeit nach Hause und öffnete meinen Briefkasten, als ich dort eine Einladung des Afro-Asiatischen-Instituts in Salzburg vorfand. Ich las den Titel der Veranstaltungseinladung: Nuruddin Farah liest. Ich war überrascht. Es ist schön in einer weltoffenen Gesellschaft zu leben, die auf Literatur und Kultur Wert legt. Wäre ich heute in Mogadischu, hätte ich diese Einladung bestimmt nicht bekommen, war meine innerliche Reaktion. Ich informierte andere somalische Leute in Salzburg und wir gingen mit großer Neugier und Spannung in das Schloss Leopoldkron, wo die Lesung stattfand. Ich muss hier zugeben, dass ich vorher überhaupt kein Bild vom diesen Mann gemacht hatte. Als wir kamen, hatte er schon zu lesen begonnen, und weil wir alle zu spät kamen, schlichen wir uns in die hinterste Reihe, um die anderen nicht zu stören. Seine Stimme war sehr fein und ruhig mit einem englischen Akzent, den man sehr selten hört. Kein gebrochenes Englisch, wie man es bei Englisch sprechenden Afrikanern oft hört, aber auch kein amerikanisches oder britisches Englisch, sondern eben ein somalische Englisch, für mich die beste Mischung von allen Akzenten. Nach der Diskussion signalisierte der Moderator, dass wir dem Schriftsteller nun Fragen stellen könnten. Als erster begrüßte ich ihn auf somalisch mit dem Worte „Habeen wanaagsan, Nuradin.“ Guten Abend, Nuradin, sagte ich anschließend auf Deutsch. Der Moderator wollte die Worte ins Englisch zu übersetzen, aber Nuradin bestätigte ihm, dass es sich um seine Muttersprache handelte und er sich nicht bemühen solle. Unsere erste Frage war, warum er seine Romane nicht auf somalisch schreibt, damit unser Volk an seinen Gedanken und Phantasien teilhaben und seine Bücher lesen könne. Auf diese Frage antwortete er an Abdullahi Hashi gerichtet, einem Landsmann von mir, dass er ihm die Erlaubnis erteile, diese Bücher auf Somalisch zu übersetzen. Hat er es getan? Nach der Diskussion erhob sich Nuradin und schritt auf uns zu. Wir sahen einen kleinen Mann, der mich ein bisschen an Mahatma Gandhi erinnerte. Literatur im Nebel 2011 Nach elf Jahren, kam er wieder nach Österreich und dieses Mal nicht nach Salzburg sondern nach Heidenreichstein im Waldviertel. Dieses Mal wurden seine Romane von bekannten österreichischen SchauspielerInnen und SchriftstellerInnen vorgelesen. Abgesehen davon, dass ausgewählte Frauen und Männer seine Bücher lasen, trägt jeder Roman und jede Erzählung gründlich und tiefsinnig überlegte Titel und Botschaften. Das Publikum, das aus über 600 Literaturfreunden bestand, wartete gespannt und fragte, wann kommt er endlich selbst auf die Bühne? Dann war es soweit: Auf die Bühne trat ein Mann, der sagt, was er dachte, einer, der anders ist als andere, einer, der sich nicht kümmert, was andere von ihm hören wollen, einer, der genau weiß, was er sagen soll und welche Botschaft er in die Welt schicken und mitteilen will. Es bestätigte, was sein Freund über ihn gesagt hatte, nämlich dass Nuradin unbeugsamer Mensch ist, der weiß was er tut und was er sagt. Im Mittelpunkt seiner Literatur standen, stehen und wird die somalische Gesellschaft und vor allen die somalischen Frauen stehen. „Somalische Männer sollten Nuradin Farah als Vorbild nehmen und erkennen, dass die Frauen unver-zichtbares Wissen und Ressourcen besitzen, die unser Land und unsere Leute brauchen“ sagte meine Schwester Hawa, die ein großer Fan von Nuradin Farah ist.
Nuruddin Farah: „Ich schreibe, damit Somalia am Leben bleibt.“ Nuruddin Farah wurde 1945 in Baidoa, Somalia, geboren. Die Inspiration zu schreiben, erhielt er durch seine Mutter, die traditionelle Dichterin und Erzählerin war. Für verschiedene Anlässe wie Hochzeiten dichtete sie Verse (Buraanbur), die traditionell von Frauen vorgetragen werden. Durch sie habe er begriffen, dass die Welt, wie wir sie sehen, in literarischer Form präsentiert werden kann. „Meine Mutter erzählte sehr schöne und weise Geschichten“, sagt Nuruddin, „aber sie war keine bedeutende Dichterin. Stattdessen hat sie zehn Kinder zur Welt gebracht und aufgezogen. Wenn sie nur ein Kind gehabt hätte, wäre sie vielleicht eine bedeutende Dichterin geworden“. 1965 veröffentlichte er seine erste Kurzgeschichte. Dann erhielt er zwei Angebote für Stipendien, eines aus den USA und eines aus Indien. Während die meisten anderen aufgrund der größeren Möglichkeiten in die USA gegangen wären, entschied sich Nuruddin für Indien. „Er wollte sich nicht entfremden“, begründet er seine Entscheidung. 1970 erschien sein erster Roman: „Aus einer gekrümmten Rippe“. Er handelt von der jungen Nomadin Ebla, die ihr Dorf verlässt, um einer Zwangsheirat mit einem älteren Mann zu entfliehen. Doch in Mogadischu will sie ihr Cousin abermals verschachern. Sie flieht erneut und heiratet einen unbekannten Mann. Weil der Roman aus der Sicht einer Frau geschrieben ist, erzählt Nuruddin bekam er viele Briefe von Menschen, die ihn für eine Frau hielten. „Viele Schriftsteller schreiben über ihr eigenes Leben. Aber das interessiert mich nicht. Ich wollte mich in eine Person hineinversetzen, die ein ganz anderes Leben hat als ich“. Die Rechte der Frauen stehen in Nuruddins Werk immer im Vordergrund. Weil er überzeugt ist, dass es keine Demokratie und Freiheit geben kann, solange den Frauen nicht die gleichen Möglichkeiten offen stehen, auch nicht für die Männer. „Mein Vater wollte nicht, dass ich meine Schwestern zur Schule gehen. Als ich sagte, ich würde das Schulgeld bezahlen, hätte mein Vater vielleicht gern geantwortet: Warum verschwendest du das Geld an Mädchen, die dann heiraten? Gib es mir, dann könnte ich mir neben deiner Mutter eine Zweitfrau leisten.“ Kurz nachdem sein Roman „Wie eine nackte Nadel“ erschienen war – er befand sich gerade in Rom und wollte nach Somalia zurückkehren – erhielt er einen Anruf von seinem Bruder, der ihn davor warnte, nach Somalia zurückzukehren, weil er dort seines Lebens nicht mehr sicher sei. Durch den Roman hatte sich der Diktator Siad Barre angegriffen gefühlt. Damals begann sein Leben im Exil. Nuruddin hat in 15 verschiedenen Ländern gelebt, heute lebt er in Kapstadt, Südafrika. „Solange ich in Afrika lebe, bin ich ein sehr glücklicher Mensch. Wenn ich verreise, so in dem Wissen, dass ich nach Afrika zurückkehre“. Nuruddins Geschichten handeln ausschließlich von Somalia und den Menschen dort. Er schreibt über den Bürgerkrieg, über das Schicksal der Flüchtlinge. Seine Romane sind ein Plädoyer für Freiheit und Gleichberechtigung. „Einige haben Interesse daran, dass Somalia unregierbar bleibt“, sagt Nuruddin. Der Hunger ist für ihn ein politisches Problem: „Tyrannei produziert Hungersnot. Demokratie produziert Lösungen“. Doch er wehrt sich dagegen, dass Afrikaner als unzivilisiert und barbarisch dargestellt werden. 20 Jahre Krieg sei in der Geschichte nichts Ungewöhnliches: „In Europa gab es einen dreißigjährigen Krieg, das haben wir noch nicht erreicht“. Auf die Frage, was er von den Entwicklungen in Nordafrika halte, bezweifelte er, dass es sich um einen „arabischen Frühling“ handle. Wie sich Libyen entwickle, sei völlig ungewiss, und in Ägypten und Tunesien seien noch immer dieselben Kräfte an der Macht. Er habe im März an der amerikanischen Universität in Kairo unterrichtet und mitbekommen, dass junge Frauen, die am Tahrir-Platz demonstriert hatten, von der Polizei gedemütigt wurden, indem man sie Jungfräulichkeitstests unterzog und ihren Eltern mitteilte, dass die Töchter keine Jungfrauen mehr seien. Auf die Frage, ob er sein Land besuche und ob er dort Angst um sein Leben habe, antwortet er: „Ich war zuletzt im Frühjahr in Somalia. Doch ich erhalte nach wie vor Todesdrohungen. Allerdings kann es dort jedem passieren, von einer verirrten Gewehrkugel erschossen zu werden.“
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