Gespräch mit Marina aus Italien PDF Drucken E-Mail

Gespräch mit Marina aus Italien

„... Meine Meinung ist, dass man die Heimat im Herzen haben muss. Ich habe den Eindruck, dass viele Österreicher innerlich heimatlos sind.“

Talk Together: Wann bist du nach Österreich gekommen?

Marina: Ich komme aus Italien und bin 1975 nach Innsbruck gekommen. Nach der Matura hatte ich eine Einladung von Bekannten bekommen, nach Innsbruck zu kommen, das war eine Art Flucht. Ich möchte nur sagen, dass ich Rom wegen Schwierigkeiten mit meiner Familie verlassen habe. Und da hat sich die Möglichkeit ergeben, in Innsbruck zu bleiben, meine Schwester war auch hier. Meine Familie dachte, ich würde bald wieder zurückkommen, aber ich bin dann in Österreich geblieben.

Talk Together: Wie waren deine Erfahrungen, als du nach Österreich gekommen bist?

Marina: Am Anfang hatte ich sehr große Schwierigkeiten mit der Sprache und ich litt unter der Einsamkeit. Doch dann fand ich eine Lehrerin, eine ältere Dame, von der ich Unterricht bekommen habe. Da habe ich sehr schnell Deutsch gelernt. Nach drei Monaten habe ich mein erstes Buch auf Deutsch gelesen: „Der kleine Prinz“. Danach habe ich eine Arbeit in einem Hotel bekommen. Das Gastgewerbe war die einzige Möglichkeit für mich als Ausländerin Arbeit zu bekommen. Mir haben zwar viele nette Menschen geholfen, aber ich habe auch immer wieder die Ausländerfeindlichkeit zu spüren bekommen, die wohl jeder/jede AusländerIn in Österreich spürt. Es war damals sehr schwierig eine Arbeitsgenehmigung zu bekommen. Mein Chef hat sich bei der Polizei sehr für mich eingesetzt, da habe ich Glück gehabt, dass ich bleiben konnte. Auch bei der Zimmersuche war ich schon ziemlich verzweifelt. Am Telefon wurde mir sehr oft gesagt: „Wir wollen keine Ausländer“. Doch dann hat mir zum Glück meine Deutschlehrerin geholfen. Wenn sich diese Menschen nicht für mich eingesetzt hätten, weiß ich nicht, wo ich heute wäre.
In Salzburg war es noch schwieriger als in Innsbruck. Als ich die Arbeitsbewilligung beantragte, wurde ich gefragt, warum ich von Tirol weggegangen bin, die Arbeitsbewilligung gelte nur für das Bundesland Tirol. Dann wollte ich die Fremdenführerprüfung machen, doch ich bekam nicht die Konzession, weil ich Ausländerin war und es wurde mir gesagt, ich solle wieder zurück nach Rom gehen. Als ich bei einer Prüfung durchfiel, habe ich es dann aufgegeben. Auch die Wohnungssuche war schwer, ich musste bei Freunden wohnen. Doch ich habe hart gekämpft und hart gearbeitet und bin so eine Lebenskünstlerin geworden.

Talk Together: Welche Ausbildung hast du?

Marina: Ich hatte in Rom die Handelsakademie abgeschlossen. In Innsbruck habe ich dann fünf Jahre lang im Hotel als Serviererin gearbeitet. Insgesamt war ich 15 Jahre im Gastgewerbe tätig. Dann machte ich die Ausbildung zur Krankenpflegerin in Salzburg. Die Prüfungen habe ich mit Auszeichnung abgeschlossen. Sieben Jahre habe ich in der Hauskrankenpflege gearbeitet. Ein Professor bei der Krankenpflegeausbildung hat gesagt, dass die AusländerInnen doppelt so viel gelernt haben und viel bessere Noten bekommen haben. Auch meine Erfahrung sagt mir, dass AusländerInnen doppelt so viel arbeiten müssen, wenn sie etwas erreichen wollen. Ich habe zwar jetzt die österreichische Staatsbürgerschaft, aber ich werde immer noch wie eine Ausländerin behandelt.

Talk Together: Welche guten oder schlechten Erfahrungen hast du gemacht?

Marina: Ein positives Erlebnis in Salzburg war für mich, als ich in die KHG gekommen bin. Dort war eine ausländerfreundliche Atmosphäre und ich habe mich sehr wohlgefühlt. Ich habe dort dann ehrenamtlich mitgearbeitet, bei Festen geholfen ... Dort habe ich viele Freunde gefunden. Ich habe heute einen sehr schönen, internationalen Freundeskreis in Salzburg, das gibt mir eine Stütze. Ich möchte auch das Tanzstudio Nadea erwähnen. Das ist ein wichtiger Treffpunkt für internationale Kontakte und ein kulturelles Zentrum. Außer Tanz gibt es dort Feste und kulturelle Veranstaltungen. Für mich hat es die KHG als Treffpunkt abgelöst und ich fühle mich dort sehr wohl.
Negativ ist für mich, dass die Ausländerfeindlichkeit in Salzburg allgegenwärtig ist, obwohl sich in Salzburg eine multikulturelle Gesellschaft entwickelt. Salzburg gibt sich zwar international, aber nur Touristen oder Geschäftsleute, die Geld bringen, sind willkommen. Meine Meinung ist, dass man die Heimat im Herzen haben muss. Ich habe den Eindruck, dass viele Österreicher innerlich heimatlos sind. Daher kommt die Feindschaft gegenüber den Fremden. Der Grund ist eine innere Entfremdung, vom eigenen wahren Selbst. Und diese Selbstentfremdung erzeugt Angst und Spaltung, die wird dann auf die fremden Menschen projiziert. Meine Aufgabe und mein Schicksal sehe ich, Heimat zu bringen. Die Österreicher brauchen diese Heimat, und wir AusländerInnen können diese Wärme bringen. Ausländerfeindlichkeit gibt es natürlich nicht nur in Österreich, auch in Deutschland und in Italien. Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit kann es in jedem Land geben.

Talk Together: Was denkst du über die österreichische Integrationspolitik?

Marina: In den siebziger und achziger Jahren hat es gute Initiativen in diese Richtung gegeben. Verschiedene Leute haben sich engagiert, um AusländerInnen zu integrieren. Aber solche Leute haben heute viel weniger Möglichkeiten ein Projekt auf die Füße zu stellen. Ich habe den Eindruck, dass es viel schwieriger geworden ist, solche Projekte zu verwirklichen.

Talk Together: Welche Unterschiede fallen dir zwischen Italien und Österreich auf?

Marina: Ich bin zwar schon lange aus Italien weg und bin nicht so gut informiert, aber ich habe den Eindruck, dass die Arbeiterbewegung in Italien viel stärker ist. Die Gewerkschaft ist viel kampfbereiter. Wenn ein Streik organisiert wird, machen alle mit. Es gibt großen Widerstand gegen die Entwicklung, gegen die Globalisierung. Es gibt so viele Entlassungen bei Fiat, die Menschen leisten dagegen Widerstand. In Österreich ist das nicht so. Da trauen sich die Arbeiter nicht, etwas zu tun, sie haben alle Angst vor Kündigung. Die Solidarität und der Zusammenhalt fehlen.

Talk Together: Was denkst du über Demokratie und Meinungsfreiheit?

Marina: Die Menschen sind nicht so frei, ihre Meinung zu sagen. Viele haben Angst auf eine Demonstration zu gehen, weil sie Schwierigkeiten am Arbeitsplatz befürchten, wenn sie gesehen werden. Jetzt sind so viele Menschen auf der ganzen Welt auf die Straße gegangen, um gegen den Krieg zu protestieren, aber es wird über unsere Köpfe bestimmt und der Krieg wird trotzdem gemacht. Die Menschenrechte und die Demokratie werden mit Füßen getreten.

Talk Together: Wie ist die Situation am Arbeitsplatz?

Marina: Den idealen Arbeitsplatz kann man sich nicht aussuchen. Heute gibt es sehr viel Mobbing am Arbeitsplatz. Ich vermisse den Zusammenhalt, den ich früher erlebt habe. Früher in Innsbruck waren wir ein Team, wir sind oft gemeinsam fortgegangen. Das gibt es heute kaum mehr. Durch die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, sind alle gegeneinander und jeder ist Konkurrent, es herrscht ein zerstörerischer Geist.

Talk Together: Was wünscht du dir für die Menschen?

Marina: Für die Gesellschaft wünsche ich mir mehr Solidarität und Demokratie, aber eine richtige Demokratie, in der die Menschen auch wirklich mitbestimmen können. Meiner Meinung nach herrscht heute eine subtile Diktatur, man kann nicht wirklich seine Meinung sagen. Aber eine wirkliche Demokratie gibt es heute wohl überhaupt noch nicht. Im Gegenteil: Wir entfernen uns sogar davon.

Talk Together: Danke für das Gespräch!

Erschienen in: Talktogether Nr. 3/2003

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