Tod nach Flucht und Folter PDF Drucken E-Mail

Tod nach Flucht und Folter

Wien, 25. Juli 2003: 6000 Menschen fordern den Rücktritt von Innenminister Strasser. Sechstausend Menschen demonstrierten gegen den institutionellen Rassismus und für Gerechtigkeit für Seibani Wague. Sie forderten die Klärung der strafrechtlichen Konsequenzen für alle Verantwortlichen, eine vollständige Veröffentlichung des Obduktionsberichts, den sofortigen Rücktritt des Innenministers Strasser und ein wirksames Antidiskriminierungsgesetz.

Kann ein Afrikaner in Österreich nach dem Tod von Seibani Wague darauf vertrauen, dass ihm durch Polizei und Rettung geholfen wird, oder muss er um sein Leben fürchten? „Ich sah, wie sie auf ihm standen und ihm die Hände fesselten, obwohl er schon bewusstlos war“, sagt Augenzeuge P.B. Ein Afrikaner auf der Demo - ein guter Freund Seibanis – beschrieb ihn als freundlich und beteuerte, dass er keineswegs aggressiv war, wie es in den Medien dargestellt wurde. Auch ein Beamter beschrieb gegenüber dem „Profil“, Seibani sei als zwar aufgewühlt, aber dennoch ruhig und kooperativ gewesen.

Er sei freiwillig in den Rettungswagen gestiegen, erst als man auch seine Beine fesseln und ihn in die Psychiatrie verfrachten wollte, setzte er sich zur Wehr. Wie auch immer es gewesen sein mag, Seibani ist durch die Gewalt der Polizeibeamten und der Rettungsleute ums Leben gekommen: geschlagen, getreten, als „Sau“ beschimpft und niedergespritzt...

Marcus Omofuma wurde zu Tode geknebelt, weil er sich gegen seine Abschiebung wehrte. Er soll „getobt“ haben, „um sich geschlagen“ und „gestöhnt wie ein Tier“. Die für seinen Tod Verantwortlichen sind bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Imre Bartos wurde unter falschem Verdacht ein „Drogendealer“ zu sein, von hinten erschossen. Angeblich war die Autotüre schuld gewesen. Auch sein Tod ist bis heute ungesühnt.

Die Aufgabe der Polizei wäre zu achten, dass die Gesetze eingehalten werden und für die Sicherheit der Menschen zu sorgen. Aber wenn die Gesetze von der Polizei selbst missachtet werden und sie selbst keiner Kontrolle unterworfen sind, sondern im Gegenteil von oben geschützt werden, kann man erwarten, dass es auch in Zukunft noch weitere derartige Fälle geben wird. Doch das System muss sicherstellen, dass Beamte nicht durch Angst vor einer Strafverfolgung gehindert werden, ihre Befehle in aller Härte und mit allen Mitteln auszuführen.

Erst als das Video aufgetaucht war, wurde in den Medien über diesen Fall berichtet. Wie viele Opfer gibt es (z.B. in Gefängniszellen) wo es keine Zeugen oder Videoaufnahmen gab? Wie viele Asylwerber haben schon die Erfahrung mit Polizeibrutalität gemacht? Ein Kurde erzählte, wie er im Schubhaftgefängnis von der Polizei misshandelt und geschlagen worden war. Sein Anwalt riet im aber davon ab, eine Anzeige zu erstatten, da er gegen das System ohnehin keine Chance habe und es sich noch dazu negativ auf sein Asylverfahren auswirken könnte. Der Anwalt hat mit seiner Vorsicht recht: Einem Asylwerber aus der Türkei, der schon 14 Jahre in Österreich lebt, wird die österreichische Staatsbürgerschaft verweigert, vermutlich auch weil er eine Anzeige gegen die Beamten gemacht hat (ohne Erfolg), die ihn in der Schubhaft verprügelt hatten.

Derselbe Innenminister, der die Beamten in Schutz nahm und feststellte, dass diese korrekt gehandelt hätten, ist verantwortlich für die unmenschliche Flüchtlingspolitik in Österreich. Dass Hunderte ohne Unterstützung auf die Straße gestellt wurden, darunter Mütter mit Kindern. Und wenn Hunderte von Menschen – teils schwer traumatisiert - in einem Lager eingepfercht sind, in ständiger Angst vor Abschiebung, ohne Möglichkeit auf Beschäftigung oder Zukunftsperspektive und behandelt wie Vieh, das möglichst kostengünstig abgefüttert wird, wen wundert es da noch, dass es zu Aggression und solch schrecklichen Zwischenfällen wie in Traiskirchen kommt?

Nur Demonstrieren und Schreien sind zu wenig!

Es gibt zwei Klassen in der Gesellschaft, die Besitzenden und die Besitzlosen. Die Regierenden machen die Gesetze im Sinne der herrschenden Klasse. Die Opfer sind immer aus der Unterschicht, egal ob sie Einheimische oder Ausländer sind. Sie sind die Klasse die man braucht und um deren Stimme die Politiker kämpfen. Aber wenn sie ihre Stimme erheben und demonstrieren, trotz Hitze oder Kälte marschieren, werden sie nicht ernst genommen. Sie werden sogar als Randalierer oder vielleicht Versager bezeichnet.

25.07.03 Noch ein Mal auf eine Demo zu gehen, ein Schild zu tragen und „Gerechtigkeit für Seibani“, wie damals Sharif A. Hussein oder Marcus Omofuma rufen. Noch ein Mal Machtlosigkeit, Ungerechtigkeit und Rassismus in einem „demokratischen“ Land zu erleben.

Die Demonstranten kommen nicht nur aus einem Kontinent, sondern sie gehören einer Gruppe der Gesellschaft an, die im selben Boot sitzt. Sie solidarisieren sich gegenseitig, weil sie sich vom System unterdrückt und ausgenützt fühlen. Darum marschieren sie gemeinsam, Schulter an Schulter, und schreien nach Gerechtigkeit. Viele kennen sich bereits von anderen Demos, die aus einem ähnlichen Anlass stattfanden. Immer wenn es eine Demo gibt informieren und treffen sie sich und schreien gemeinsam: „Gerechtigkeit, Gleichheit“ usw. Sobald die Demo vorbei ist, verabschieden sie sich bis zum nächsten Mal. Sie wissen, dass es wieder eine Demo geben wird, aber sie wissen nicht, wer das nächstes Opfer sein wird. Mit der Zeit fragen sich viele, soll das solange weitergehen, bis es keine Demonstranten mehr gibt? Es ist die Zeit gekommen, in der die Menschen lernen müssen, sich gegen den Kapitalismus, der für die Ausbeutung, den Imperialismus, der für die Unterdrückung und den Rassismus, der für Ungleichheit und Hass zuständig ist, zu wehren. Auf die nächste Demo zu warten ist zu wenig.

Wenn ein Verbrecher jemanden tötet, wird er gesucht, wenn eine Krankheit ausbricht, wird sofort alarmiert, weil es die herrschende Klasse treffen könnte. Damit sie ihre Ruhe haben fordern sie, dass Verbrechen bzw. Krankheit gestoppt werden. Aber wenn die Mehrheit der Menschheit von Imperialismus, Kapitalismus und Rassismus unterdrückt wird, gibt es keine Strafen oder Gegenmaßnahmen, denn davon sind nur die Armen betroffen.

Ein Afrikaner auf der Demo sagte: „Wenn ich von einem Polizisten aufgefordert werde, meinen Ausweis zu zeigen, was hindert ihn, mich zu verprügeln? Wenn ich sterbe, braucht er doch nur zu sagen, ich war aggressiv, Drogendealer oder hätte einen Herzfehler gehabt.

erschienen in: Talktogether Nr. 5/2003