Die MigrantInnenorganisation ATIGF PDF Drucken E-Mail

Gespräch im ATIGF-Sommercamp

 

ATIGF ist eine der am längsten existierenden und politisch aktivsten Vereinigungen, die sich in Österreich für die wirtschaftlichen und demokratischen Rechte der EinwanderInnen einsetzt. Vom 20.-28. Juli fand am Attersee das alljährliche ATIGF Sommercamp statt. Die Mitglieder aus ganz Österreich treffen sich dort einmal im Jahr, um gemeinsam den Urlaub zu verbringen, sich zu erholen, zu baden, zu wandern, zu arbeiten, zu debattieren und zu feiern. Talk Together hat das Camp besucht und ein Gespräch geführt.


Talk Together: Wer und was ist ATIGF?

M.: ATIGF bedeutet Föderation der ­ArbeiterInnen und Jugendlichen aus der Türkei in Österreich. Wir haben fünf Vereine in Österreich: in Wien, Linz, Wörgl, Innsbruck und in Vorarlberg.

Talk Together: Wann und aus welchen Gründen wurde ATIGF gegründet?

M.: ATIGF wurde 1987 von Einwanderern und Ein­wan­derinnen aus der Türkei in Österreich gegründet. Wir haben uns zusammengeschlossen, um gemein­sam gegen die Probleme von ImmigrantInnen aktiv zu werden und gegen die diskriminierenden und rassistischen Auslän­dergesetze zu kämpfen.

Talk Together: Was sind die Ziele von ATIGF?

M.: Wir setzen uns für die demokratischen und ökonomischen Rechte der ImmigrantInnen ein. Außerdem treten wir gegen den Imperialismus und jede Art von Faschismus und Reaktionismus auf. Wir kämpfen für die Menschenrechte, gegen die Zerstörung der Umwelt und für die Gleichberech­tigung der Frau sowie aller Menschen.

Talk Together: Welche Aktivitäten führt ATIGF durch?

K.: Unsere erste große Aktion war 1987 der lange Marsch von Vorarlberg nach Wien, in dem wir gegen die Ausländerfeindlichkeit und den staatlichen Rassismus demonstriert haben. Wir kämpfen für das aktive und passive Wahlrecht von ImmigrantInnen, die nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. 1999 betei­ligte sich ATIGF mit anderen MigrantInnenvereinen an der Liste „Gemeinsam“, die für die Arbeiterkammer­wahlen in Vorarlberg kandidierte. Das Wahlergebnis wurde aber nicht anerkannt, weil für die Liste MigrantIn­nen kandi­diert hatten. Dagegen legten wir Beschwerde bei der EU-Gleichbehandlungskommission ein. Wir hatten Erfolg. Erst vor drei Monaten haben wir Recht be­kommen. Der Ausschluss widerspricht dem EU-Ab­kom­men für Gleichbehandlung und die Wahl wurde für ungültig erklärt. Ab jetzt dürfen ArbeiterInnen mit und ohne EU-Pass bei der AK-Wahl nicht nur wählen, sondern auch selbst gewählt werden.
Wir treten dagegen auf, dass Menschen, obwohl sie seit vielen Jahren in Österreich leben, als Ausländer bezeich­net werden. Seit 40 Jahren sind Arbeits­migrantInnen nach Österreich gekommen, viele sind hier geblieben und möchten auch hier bleiben. Wie kann man Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in Österreich haben als Auslän­derInnen bezeichnen? Wir fordern die Änderung ihres Status und ihre Anerkennung als Einwanderer.
Unser Protest richtet sich außerdem gegen die imperialis­tischen Kriege, ob in Jugoslawien, Afghanistan oder im Irak und unsere Aktionen für demokratische Rechte, gegen Faschismus, Rassis­mus und Diskriminierung auf der ganzen Welt.

Talk Together: Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten sind nach eurer Erfahrung Einwan­derInnen am häufigsten konfrontiert?

K.: Viele MigrantInnen leiden unter Wohnungsnot und dass sie keine Chancen auf Bildung und Ausbildung bekommen. Kinder von MigrantInnen haben oft Schwie­rigkeiten in der Schule. Viele können es sich nicht leis­ten, ihre Kinder in den Kindergarten zu schicken, weil der zu teuer ist. Diese Kinder haben, wenn sie in die Schule kom­men, Probleme mit der Sprache. Und Schüle­rInnen, die es nicht schaffen, sehr schnell Deutsch zu erlernen, werden dann in die Sonderschule abge­schoben. Dort sind 70-80% der SchülerInnen Kinder von Einwan­derInnen. Diese Kinder werden diskri­miniert, ausge­grenzt und haben später keine Mög­lichkeit auf Berufsausbildung. Das sind politische Entscheidungen, denn daran ist das Schulsystem schuld. Aber nicht nur MigrantInnen sind mit diesen Problemen konfrontiert, sondern auch Einheimische.

Talk Together: Gegen welche „Ausländergesetze“ kämpft ihr im Besonderen? Mit welchen Mitteln versucht ihr, die Forderungen durchzusetzen?

K.: Wir kämpfen gegen den sogenannten „Integra­tions­vertrag“, welcher Zwangsdeutschkurse für MigrantInnen vorschreibt und bei Nichteinhaltung drastische Strafen vorsieht, die von Geldbußen bis hin zur Abschiebung reichen. Das hat eine große Panik ausgelöst. Für manche, die in ihrem Heimat­land keine Möglichkeit auf ausrei­chende Schulbil­dung hatten, stellen diese Deutschkurse ein unüber­wind­liches Hindernis dar.
In Wien haben wir uns an der Kampagne für das Wahl­recht von EinwanderInnen auf kommunaler Ebene betei­ligt. In Wien und Vorarlberg haben VertreterInnen von uns immer wieder bei den Gemeinderatswahlen kandi­diert, ihre Kandidaturen wurden allerdings nicht aner­kannt. Schließlich konnte jedoch durchgesetzt werden, dass Menschen, die seit fünf Jahren in Österreich leben, bei den Gemeinderatswahlen in Wien das Wahlrecht bekommen werden.

Talk Together: Mit welchen Mitteln propagiert ihr eure Ziele und mit welchen Gruppen arbeitet ihr in Österreich und international zusammen?

M.: In Europa gibt es unsere Dachorganisation ATIK. Sie gibt die Zeitung „Mücadele“ in türkischer Sprache heraus, sowie die Jugendzeitung „Neue demokratische Jugend“ (auf Deutsch) und die Frauenzeitschrift „Yeni Kadin“ (auf Türkisch). Unsere Vereine in Österreich geben Bulletins heraus, außerdem Flugblätter und Infor­mations­ma­terial. So wollen wir Bewusstsein schaffen. Bünd­nisse schließen wir auf nationaler und internationa­ler Ebene mit allen anti­imperia­listischen und anti­faschis­tischen Gruppen und Menschen­rechtsorgani­sationen. Wir finden internationale Verbindungen wichtig um den Nationalismus zu überwinden.

Talk Together: Wie fördert ihr innerhalb eurer Gruppe die Beteiligung von Frauen?

K.: In unseren Statuten sind Männer und Frauen gleich­gestellt. Unsere Mitglieder sind zu 50% Frauen. Wir för­dern, dass Frauen in den Vorstand gewählt werden. In der Türkei gibt es (wie überall) das Problem, dass Frauen benachteiligt und unterdrückt werden. Bei uns gibt es ein Frauen­komitee, das Seminare und Workshops veranstal­tet, um das Selbstbewusstsein der Frauen zu stärken. Das ist natürlich ein Prozess, der lange andauert und sich entwickeln muss.

Talk Together: Wie fördert ihr das Bewusstsein bei Jugendlichen?

K.: Unsere Vereine in den Bundesländern machen Jugendarbeit vor allem auf der kulturellen Ebene. Wir veranstalten Seminare, Diskussionen, Theater und Kinderprogramme. Es gibt Unterricht für Folklore, Tanz und das Spielen der Saz (türkische Gitarre), damit die Kultur aus unserer Heimat nicht verloren geht. Wir versuchen auf der kulturellen Ebene eine Verbindung zwischen den Menschen und zu schaffen und so zur Völkerverständigung und zum Kampf gegen den Rassismus beizutragen. Wir bieten Jugendlichen auch Hilfe bei Problemen an. Mädchen aus der Türkei haben z.B. oft Angst zum Frauenarzt zu gehen, wir beraten und begleiten sie. Wenn wir mitbekommen, dass es familiäre Probleme gibt, bieten wir Hilfe an. Wir denken, dass es sehr wichtig ist, dass es für Jugendliche eine Anlaufstelle gibt, wo sie mit ihren Problemen hingehen können. Manche laufen von zu Hause weg. Wenn sie nicht wissen, wohin sie gehen sollen, landen sie auf der Straße und werden mit Kriminalität, Drogen oder Prostitution konfrontiert.

Talk Together: Mit welchen Problemen habt ihr zu kämpfen?

M.: Unser größtes Problem ist, dass die wirtschaft­lichen Mittel fehlen, weil wir fast keine Förderungen oder Subventionen bekommen. Der österreichische Staat hat leider offenbar kein Interesse, die gesell­schaft­liche Kommunikation zu fördern.

Talk Together: Möchtet ihr noch abschließend etwas sagen?

K.: Wir sagen, es darf kein Unterschied gemacht werden zwischen den Menschen. Der Mensch muss vor Profitin­teressen stehen. Dafür kämpfen wir. Wir können in der Gesellschaft viel beitragen und leisten. Solange uns aber die Möglichkeit verweigert wird und die diskriminieren­den Ausländergesetze nicht abgeschafft werden, solange demokratische Instru­mente nicht gefördert werden, solange gibt es keine Integration, Toleranz und Demo­kratie.

Talk Together: Danke für das Gespräch!

erschienen in: Talktogether Nr. 5/2003

 

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