Gespräch mit Robert Müllner, Betriebsrat PDF Drucken E-Mail

Gespräch mit dem Betriebsrat

Robert Müllner

Talk Together: Du hast ein jahrelange Erfahrung als Betriebsrat in großen Industriebetrieben. Wie begrenzt ist der Spielraum eines Betriebsrates und welche Möglichkeiten hat er überhaupt, ArbeiterInnen von Ungerechtigkeit zu schützen?

Robert: Zuerst einmal möchte ich vorausschicken, dass ich mit meiner Meinung sehr oft allein da stehe, was mich bei vielen auch nicht sehr beliebt macht. Was kann ein Betriebsrat bewirken? Um es überspitzt zu formulieren: Ich glaube, dass das Arbeitsrecht nicht das Papier wert ist, auf dem es steht. Ich würde sogar sagen, sobald ein Arbeitnehmer eine Firma betritt, verlässt er den demokratischen Boden der Republik Österreich und wird ein Leibeigener. Welche Rechte hat der Arbeiter denn? Er kann weder entscheiden, was er produziert, noch wie viel er produziert oder ob die von ihm erzeugten Produkte umweltfreundlich sind... all das entscheidet jemand anderer. Um als Betriebsrat etwas zu erreichen, muss ich mir etwas anderes einfallen lassen. Bewirken kann ein Betriebsrat nur etwas, wenn er den Rückhalt der Beschäftigten hat und wenn der Chef das Gefühl hat, dass der Betriebsrat auch seine Anliegen ernst nimmt. Darum sag ich immer, für Betriebsräte wäre es viel wichtiger, Kosten rechnen zu lernen, um den Argumenten der Unternehmer begegnen zu können, denn viele Unternehmer können das nämlich nicht.

Talk Together: Du hast bei der Firma Porsche erlebt, wie der Betrieb ins Ausland verlagert wurde. Wie kannst du als Betriebsrat mit dem Gegeneinander Ausspielen verschiedener Standorte vorgehen?

Robert: Wenn man sich ausrechnet, dass der Anteil der Lohnkosten in der Metallindustrie nur bei 5-7 % liegt, kann man sich ausrechnen, dass eine Senkung der Lohnkosten bei den Produktionskosten nicht wirklich ins Gewicht fällt. Durch die Auslagerung des Betriebes nach Tschechien kamen aber höhere Kosten bei der Logistik, beim Transport, für Dolmetscher usw. dazu. Letztendlich hat Porsche in Tschechien dadurch so hohe Verluste gemacht, dass sie den Betrieb in Tschechien als auch den in Salzburg verbliebenen zusperren mussten. Es muss also für eine Firma andere Argumente geben, um einen Betrieb auszulagern, als die Senkung der Lohnkosten.

Talk Together: Welche Gründe könnten das sein?

Robert: Um die Arbeiter zum Lohnverzicht und den Staat zu Steuergeschenken zu erpressen, oder Marktargumente, um Werbung für VW zu machen und den Markt in Tschechien zu erschließen ... Wenn man das durchschaut, kann man anders argumentieren.

Talk Together: Heute werden die Arbeiter oft erpresst mit der Drohung, ihre Arbeitsplätze zu verlieren. Wie kannst da als Betriebsrat damit umgehen?

Robert: Warum sind wir denn so erpressbar? Weil die Frage der Verteilung nicht grundsätzlich gestellt wird. Es braucht ein Wirtschaftswachstum von 3 %, um die Beschäftigungsrate nur zu halten, wir haben aber nur einen Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 1,5 %. Gleichzeitig wurde aber das Pensionsalter angehoben, dabei gehen wieder Arbeitsplätze verloren. Die Rechnung kann also gar nicht aufgehen. Wenn man sich die Beschäftigungsentwicklung der letzten 50 Jahre ansieht, kann man feststellen, dass vor allem zahlreiche Arbeitsplätze in der Industrie verloren gegangen, das sind meist 40-Stunden Dauerarbeitsplätze mit gutem Lohn. Heute benötigt die Industrie gut ausgebildete Facharbeiter und immer weniger Hilfsarbeiter, deshalb haben es ImmigrantInnen und Flüchtlinge heute sehr schwer auf dem Arbeitsmarkt. Es gibt zwar mehr Arbeitsplätze im Dienstleistungsgewerbe, doch dabei handelt es sich zum großen Teil um Teilzeit- und Niedriglohnarbeitsplätze, also vielfach um Jobs, von denen die Leute gar nicht leben können.

Talk Together: Was wäre eine Lösung?

Robert: Eine Lösung wäre nur die Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden. Aber wie sollte das funktionieren? Jeder macht Überstunden, man würde den Leuten das Geld nehmen. Außerdem haben viele auch verlernt, sich mit sich selbst zu beschäftigen. In unserer Firma gibt es z.B. viele alleinerziehende Frauen, sie wollen unbedingt Nachschicht arbeiten, viele von ihnen haben Schulden und haben das Geld bitter nötig. Eine Arbeitszeitverkürzung würde nur bei vollem Lohnausgleich akzeptiert werden, zumindest bis zu einer bestimmten Höchstgrenze.

Talk Together: Wie siehst du die Rolle des ÖGB? Hat sich seit der Reform etwas Grundsätzliches geändert?

Robert: Die ÖGB-Reform halte ich für total unsolidarisch. Wieder einmal wurde eine einheitliche Gewerkschaft verhindert. Der ÖGB arbeitet selbst gegen jede Solidarität. Meiner Meinung nach ist der ÖGB der einzige Verein, bei dem die Mitglieder nichts zu sagen haben. Die ÖGB-Führung hat eigentlich nicht viel zu sagen, die wirkliche Macht haben die großen Teilgewerkschaften. Und die arbeiten für ihren eigenen "Schrebergarten", also für ihre eigenen Interessen und nicht für die Interessen der Arbeiter. Man muss sagen, der BAWAG Skandal war eigentlich ein großes Glück für den ÖGB - zumindest kurzfristig, denn damit konnte das Versagen der letzten 10 Jahre verdeckt werden, dass die immer steigenden Defizite ignoriert wurden und man versäumt hat, Maßnahmen zu ergreifen. Außerdem hat der ÖGB es versäumt, auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren. Der ÖGB hat von den Großbetrieben gelebt, die es aber heute nicht mehr gibt. Es wurde versäumt, sich um A-typische Arbeitsverhältnisse zu kümmern, aber da fordert die Betreuung viel Zeit. Viele ÖGB-Funktionäre haben auch selbst kaum Erfahrung mit Solidarität, weil wenige von ihnen überhaupt als Betriebsrat gearbeitet haben.

Talk Together: Was hat der ÖGB deiner Meinung nach verpasst?

Robert: Warum hat es die Gewerkschaft nicht geschafft, über ihren eigenen Tellerrand zu blicken? Man muss die Situation der Gesellschaft als ganzheitlich betrachten. Das Bild vom bösen Unternehmer stimmt vielfach nicht mehr. Der größte Teil der Unternehmen im Land Salzburg sind Klein- und Mittelbetriebe mit maximal 25 Mitarbeitern. Auf diesen Unternehmen drückt aber die größte Steuerlast, während Großkonzerne, obwohl sie den größten Umsatz machen, nur 0-4 %, also fast überhaupt keine Steuer bezahlen. Eine kleine Rechnung: 90% der Kleinunternehmen machen nur 10% des Umsatzes, sie bezahlen aber 90% der Steuern, das heißt, er bezahlt gleich viel wie der Arbeiter. Deshalb gibt es viele Kleinunternehmer, die viel weniger als ein Facharbeiter verdienen, wenn man sich ihre Arbeitszeit bzw. die Überstunden mitberechnet. Durch die Kürzung der Lohnnebenkosten um 0,2 % müssen sie aber jetzt den Lohn aus eigener Tasche weiter bezahlen, wenn ein Arbeiter im Krankenstand ist. Was bleibt ihm denn anderes übrig, als ihn zu kündigen? Ähnlich sieht es auch bei den Bauern aus, den größten Teil der EU-Förderungen stecken Großbauern ein, während die kleinen Bergbauern fast nicht bekommen. Die Gewerkschaft hat es aber verabsäumt, mit diesen Leuten Allianzen zu bilden. Ich dagegen wurde heftig kritisiert, weil ich zu einer Gegenveranstaltung zum WEF Gipfel in Salzburg auch Vertreter der Wirtschaftskammer eingeladen habe.

Talk Together: Die Standortkonkurrenz spielt eine immer größere Rolle. Wie sieht es auch mit der internationalen Vernetzung der Gewerkschaften?

Robert: Es wird zwar immer über Globalisierung geredet, doch leider haben die Verantwortlichen im ÖGB einen sehr begrenzten Horizont. Man hat versäumt, eine internationale Ebene zu schaffen. Aber wie soll ich auch an den Arbeiter in Holland denken, wenn ich mit meinem eigenen Kollegen nicht solidarisch bin, und wie soll ich an den Arbeiter in China denken, wenn ich meinen Nachbarn schief anschaue, nur weil mir seine Hautfarbe nicht gefällt? Aber ich halte das Gerede von der Globalisierung nur für eine Ausrede. Der internationale Warenaustausch war im Jahr 1900 schon gleich groß wie jetzt, da hat sich nichts verändert. Man schiebt alles auf die EU, aber wer ist den die EU? Das sind doch unsere Minister.

Talk Together: Zwischen "inländischen" und "ausländischen" Arbeitern gibt es leider oft wenig Solidarität. Was kann man tun, um diese Konkurrenz zwischen den Arbeitern zu überbrücken, und die Menschen zu überzeugen, wie wichtig der Zusammenhalt ist?

Robert: Die Gleichberechtigung war immer ein Anliegen unserer Gewerkschaft, der AUGE. Ich komme aus dem Burgenland und bin 300 m von der ungarischen Grenze geboren. Ich habe immer argumentiert, wenn ich 300 m weiter geboren worden wäre, könnte ich nicht Betriebsrat sein, ich könnte mich nicht einbringen, ich wäre kein Mensch...

Was die Solidarität zwischen den Arbeitern betrifft: Jeder Arbeiter muss sich verkaufen: ich bin loyal, ich arbeite mehr ... Wer gibt uns denn eine andere Alternative? Wir haben es doch aus der Hand gegeben. Zum Beispiel das Bildungssystem: Wir sind es doch, die die Schulen und Universitäten zum größten Teil finanzieren. Aber wen bilden wir aus? Wer vertritt denn heute noch andere Wirtschafttheorien und Konzepte, als mit dem geringst möglichem Einsatz größtmögliche Gewinne zu machen? Und es war doch die SPÖ, die die Mindeststudienzeit eingeführt hat und so den Studierenden die Zeit geraubt hat für politisches Engagement. Und die Schule halte ich überhaupt für die größte Disziplinierungsmaschinerie, die jungen Menschen werden erzogen, acht Stunden zu sitzen, den Mund zu halten, und zu tun, was ihnen gesagt wird.

Talk Together: Leihfirmen werden immer mehr eine Realität. Gibt es auch Betriebsräte für Leiharbeiter?

Robert: Zum Glück hat sich die gesetzliche Lage für Leiharbeiter sehr verbessert. Sie dürfen nicht weniger verdienen als die Stammbelegschaft, sie können an der Betriebsratswahl in der Firma, in der sie arbeiten mitwählen und auch selbst einen Betriebsrat stellen. Aus eigener Erfahrung muss ich sagen, dass es auch viele Leihfirmen gibt, die besser sind als ihr Ruf. Vielfach werden die Arbeiter auch von den Betrieben dann fix übernommen. Es bringt ja nichts für eine Firma, die Leute wieder wegzuschicken, wenn sie eingearbeitet sind.

Talk Together: Welche Ziele hast du dir gesetzt? Wann kannst du einen Erfolg verzeichnen?

Robert: Da ich nicht erwarten kann, eine andere Gesellschaft zu bekommen, kann ich nur versuchen, im Rahmen der gegebenen Verhältnisse eine Lösung zu erzielen, die für alle einen Vorteil darstellt. Als Betriebsrat kann ich aber weder Arbeitsplätze erhalten noch erschaffen. Meine Philosophie ist, zu fragen, was der Unternehmer braucht. Wenn ich dem Unternehmer helfe, bin ich akzeptierter Partner. Meine Überlegung: Warum sollten alternative Energien nur für "Spinner" oder die "Dritte Welt" einsetzbar sein und nicht für die industrielle Produktion? Weil die Energiekosten ständig steigen, kann ich ihn überzeugen, lieber dabei zu sparen als bei den Löhnen. So kann ich ihn vielleicht überzeugen, in neue Energien einzusteigen.

Es gibt auch Beispiele, wo Firmen damit sehr erfolgreich waren. Hallein Papier musste eine Kläranlage bauen und war schließlich erfolgreich mit alternativen Methoden der Papierherstellung und konnte viel bei den Rohstoffen einsparen. Oder die Firma Kaindl, die gezwungen wurde, Luftfilter anzubringen, diese dann selbst mit entwickelt haben und damit einen Technologiesprung gemacht haben.

Talk Together: Die Arbeiterbewegung scheint heute in der Defensive zu sein. Wäre es nicht an der Zeit für die Arbeiterbewegung, sich neue Ziele zu setzen?

Robert: Leider muss ich feststellen, dass sich die Arbeiterschaft die Kultur hat nehmen lassen. Der Arbeiter geht nicht ins Theater oder in die Oper, sondern sitzt zu Hause vor dem Fernseher und sieht sich "Reich und Schön" an. Der Arbeiter hat Vorurteile, er denkt, diese Kultur wäre nicht für ihn. Dabei war beispielsweise Mozart (weil wir hier in Salzburg sind) in seiner Zeit ein Revolutionär. Viele Geschichten wurden aber im Nachhinein verfälscht. Auch von der Kirche. Ein Beispiel: Der Landespatron des Burgenlandes ist der heilige Martin. Jeder kennt die Geschichte, wie er dem Armen seinen Mantel gibt. Doch für mich war er der erste Kriegsdienstverweigerer, aber davon wird nicht gesprochen. Wenn die Arbeiter jedoch nicht an der Kultur teilnehmen, nehmen sie sich auch die Chance zur gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung.

Talk Together: Ist also das Engagement umsonst?

Robert: Nein, erstens mache ich es für mich selbst, denn ich will am Abend in den Spiegel schauen können. Außerdem weiß ich, dass Veränderungen nie von der Mehrheit, sondern immer von Minderheiten ausgegangen sind, selbst die Russische Revolution. Deshalb habe ich kein Problem mit Minderheiten. Und wenn es nicht so viele vor mir gegeben hätte, hätte ich nicht die Voraussetzungen, und nicht die Kraft, wenn es nicht die anderen gäbe, die mitgehen. Ich will Anteil an der Gestaltung der Gesellschaft haben und etwas beitragen. Ich will mein Engagement auch gar nicht werten oder mit anderen vergleichen. Es ist egal ob jemand beim Sportverein ist, bei der Feuerwehr oder beim Trachtenverein, es ist gerade diese Arbeit, die nicht für Geld gemacht wird, die so wertvoll ist. Wo wäre den unser gesellschaftliches Leben ohne das alles?

erschienen in: Talktogether Nr. 20/2007