Indien: Der Tod von Kiranjit Kaur und seine Folgen PDF Drucken E-Mail

Ein hartnäckiger Kampf

In Mehal Kalan, einer kleinen Stadt im nord­indischen Bundesstaat Punjab, ereignete sich im Jahr 1997 ein Mordfall, der eine Volksbewegung aus­löste, die in Indien seit Jahren Schlagzeilen macht: Am 29. Juni fuhr die 17-jährige Schülerin Kiranjit Kaur nach dem Unterricht mit ihrem Fahrrad von der Schule nach Hause. Sie hatte sich schon zuvor bei Mitschülerinnen beklagt, dass sie von den Söhnen der Landbesitzer verfolgt würde. Als Kiranjit an diesem Abend nicht zu Hause ankam, gingen die Eltern zur Polizei. Dort wurden sie aber behandelt, als wäre ihre Tochter von zu Hause mit einem Mann weggelaufen. Auch als man dreizehn Tage später ihre Kleider, ihre Schulbücher und ihr Fahrrad in einem Feld vergraben fand, weigerten sich die Behörden noch immer, den Fall ernst zu nehmen. Erst als ihre Leiche gefunden worden war, konnte nicht mehr vertuscht werden, dass ein Verbrechen geschehen war. Man sagt, dass Kiranjit in ihrer Faust ein Haarbüschel umklammert hielt, als man sie fand.

Die Dorfbewohner erheben sich

Von Anfang an rebellierte die Dorfbevölkerung gegen diese Haltung der Behörden. Ohne Aufruf nahmen zwei Tage nach dem Begräbnis 50.000 Menschen an einer Demonstration teil. Nicht nur Frauen, sondern auch Männer weinten. Die Identität der Mörder war kein Geheimnis, die mutmaßlichen Täter hatten schon zuvor andere junge Frauen vergewaltigt. Doch als Angehörige eines reichen und mächtigen Grundbesitzer-Clans wurden sie von den Behörden geschützt. Aus Wut über die Ungerechtigkeit formierte sich ein Aktionskomitee, an dem sich zahlreiche Dorfbewohner beteiligten, auch solche, die die Familie des Opfers nicht einmal kannten. Der Protest weitete sich stetig aus, nie zuvor in der Geschichte des Punjab hat ein Vergewaltigungs- und Mordfall so viel Aufmerksamkeit erreicht. Kiranjit wurde ein Symbol des Widerstands gegen die Unterdrückung und die ungerechte soziale Ordnung.

„Kiranjit war arm, ihre Peiniger sind reich und mit den Mächtigen verbündet“, erklärte ein Bauer. „Die Leute müssen endlich damit aufhören, das Leben von Mädchen gering zu schätzen. Auch Mädchen beweisen viel Mut, Kiranjit ist im Kampf gestorben“, fügte seine Frau hinzu und sprach den im Punjab weit verbreiteten Brauch an, weibliche Föten abzutreiben.

Die Bevölkerung gab nicht auf und kämpfte vier Jahre lang mit Protestmärschen, „gheraos“ (Belagerung von Polizeistationen und Amtsgebäuden), „dharnas (Straßenblockaden) und anderen Aktionen gegen die Ungerechtigkeit, an denen sich Zehntausende beteiligten. Schließlich waren die Behörden gezwungen, etwas zu unternehmen, und verhafteten vier der sieben beschuldigten Männer. Durch ihren hartnäckigen Kampf hat die Bevölkerung schließlich erreicht, dass vier der Täter zu lebenslänglichen Strafen verurteilt wurden.

Der Kampf ist nicht zu Ende

Doch damit war der Fall noch nicht abgeschlossen. Eines Tages wurde Dalip Singh, der Patriarch der Feudalherrenfamilie, erstochen aufgefunden. Dalip Singh hatte genügend Feinde, die ihm den Tod gewünscht hatten. Daraufhin wurden drei führende Mitglieder des Aktionskomitees für Kiranjit, Narain Dutt, Prem Kumas und Manjit Dhaner daraufhin beschuldigt, für seinen Tod verantwortlich zu sein, obwohl es überhaupt keinen Anhaltspunkt für ihre Schuld oder auch nur eine Beteiligung gab. Ohne jegliche Beweise wurden die Männer zu lebenslanger Haft verurteilt. Den Menschen war sofort klar: Das sollte ein Zeichen der Rache und eine Warnung an die sich entwickelnde Bewegung gegen die herrschende Ungerechtigkeit sein.

Kiranjits Vater sagt: „Jeder weiß, dass diese Männer mit dem Mord an Dalip Singh nichts zu tun haben. Sie müssen dafür bezahlen, weil sie sich für Gerechtigkeit in Kiranjits Fall eingesetzt haben.“ Die Menschen in Punjab haben die Ungerechtigkeit seit Jahrhunderten ertragen. Doch heute sind sie nicht länger bereit, sich einschüchtern zu lassen. Sie haben erkannt, dass sie sich zur Wehr setzten können, wenn sie sich zusammenschließen. Sie wissen, dass sie ihr Recht nur bekommen werden, wenn sie mit Entschlossenheit dafür kämpfen. Hunderte und Tausende – Bauern, Arbeiter und Studenten, unterstützt von zahlreichen politischen Organisationen, lassen seither nicht ab, auf die Straße zu gehen und ihren Widerstand auszudrücken. Sie sind entschlossen, weiter zu kämpfen, bis das ungerechte Urteil aufgehoben wird.


Quellen: AWTW-News Service vom 26.3.2007
Mehr Infos und Unterstützungserklärungen:
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erschienen in: Talktogether Nr. 21/2007