Gespräch mit Lisa, Integrationsberaterin bei INTO PDF Drucken E-Mail

 Gespräch mit Lisa Oberparleiter,

Integrationsberaterin bei INTO - Diakonie Salzburg

Ein Mensch soll sich selbst bewegen können und nicht abhängig sein. Mein Ziel ist erreicht, wenn die Leute nicht mehr sagen: „Die Frau Lisa ist so nett, sie hilft mir“, sondern wenn sie sagen: „Die Frau Lisa brauche ich nicht mehr!“

Talk Together: Wie lange arbeitest du schon bei INTO und wie bist du zur Flüchtlingsberatung gekommen?

Lisa: Zur Flüchtlingsberatung bin ich eigentlich zufällig gekommen. Ich habe vorher fünf Jahre als Sozialpädagogin in einer WG gearbeitet. Ich wollte mich beruflich verändern und von der Betreuung in die Beratung wechseln. Die Herausforderung in Form einer neuen Arbeit mit anderen Zielgruppen hat mich sehr interessiert. Jetzt bin ich schon vier Jahre in der Integrationsarbeit des Projekts Into der Diakonie als Beraterin tätig.

Talk Together: Welches sind die Ziele deiner Arbeit bei INTO?

Lisa: Hier unterscheide ich zwischen vorgegebenen Arbeitszielen des Projekts Into und meinen persönlichen Zielen in der Beratung. Die Aufgabe von INTO ist die Integration von Flüchtlingen in die österreichische Gesellschaft, das heißt, KlientInnen während des Integrationsprozesses beratend zu begleiten und zu unterstützen. Das ist eine umfassende Aufgabe, die meist zwei bis drei Jahre dauert.

Wichtig ist mir dabei, Menschen individuell nach ihren Bedürfnissen zu beraten und ihnen nicht einfach ein Programm überzustülpen. Menschen brauchen Ziele vor Augen und Perspektiven - das Leben muss einen Sinn haben. Deshalb versuche ich in der Beratung individuelle Ziele herauszuarbeiten. Die können ganz unterschiedlich sein, wie eine Ausbildung beispielsweise oder eine Familienzusammenführung. Mein Ziel ist dann erreicht, wenn die Leute nicht mehr sagen: „Die Frau Lisa ist so nett, sie hilft mir“, sondern wenn sie sagen: „Die Frau Lisa brauche ich nicht mehr!“

Talk Together: Bei wie vielen deiner KlientInnen könnte man sagen, dass sie dieses Ziel erreicht haben?

Lisa: Ich würde sagen, dass eine gute Zahl dieses Ziel bereits erreicht hat oder zumindest in manchen Lebensbereichen auf dem Weg dorthin ist. Unabhängigkeiten zu schaffen, gehört zu den großen Maximen in unserer Beratungsarbeit.

Talk Together: Welche Erwartungen haben die Flüchtlinge und mit welchen Problemen sind sie konfrontiert?

Lisa: In erster Linie geht es natürlich darum, die eigene Existenz zu sichern, also eine Wohnung und ein Einkommen zu haben. Menschen, die auf der Flucht waren, haben zunächst - aus verständlichen Gründen - tendenziell eher materielle Erwartungen, an das Aufnahmeland und die betreuenden Einrichtungen. Jeder wünscht sich ein gutes Leben. Das ist der schwierigste Punkt in unserer Arbeit: der Widerspruch zwischen Erwartungen und dem Vorfinden einer gesellschaftlichen Realität. Asyl zu bekommen ist zunächst - nach oft jahrelangem Warten darauf - wie der Schlüssel zum Paradies. Aber was dann, in den Tagen und Jahren danach? Fragen, die vorher in dieser Weise nicht gestellt wurden, über eigene Wünsche, Vorstellungen und Ziele, tauchen plötzlich auf und verlangen nach einer Antwort. Nicht jeder Wunsch und nicht jedes Ziel kann von sich von heute auf morgen erfüllen und manche tun es nie. Die Gründe dafür sind so mannigfaltig wie die dazu zur Verfügung stehenden Ressourcen der KlientInnen oder/und unzureichende gesellschaftliche Rahmenbedingungen.

Talk Together: Gibt es auch positive Beispiele?

Lisa: Es gibt für beide Seiten positive Beispiele, aber es sind auch beide Seite immer wieder überfordert. Menschen aus einem anderen Land sind zunächst überrascht von diesem neuen Land, dem anderen Klima, einer Sprache, die sie nicht verstehen und der anderen Kultur. Im Gegenzug gibt es das kleine Österreich, das nicht gerade besonders fremdenfreundlich ist und sich schwer tut mit Menschen, die vor allem anders aussehen. Trotzdem gibt es auch in diesem Land viele Menschen, für die es eine Bereicherung ist, Anderem zu begegnen und Neues zu lernen.

Talk Together: Welche persönlichen Voraussetzungen erleichtern die Integration?

Lisa: Menschen sind hier ganz unterschiedlich, unabhängig von Hautfarbe und Kultur. Integration ist keine Frage der Herkunft, es ist viel mehr eine Frage der Einstellung. Manche nehmen ihr Schicksal in die eigene Hand, während andere sich eher als Opfer der Umstände sehen. Ob jemand seine Chancen nützt, hängt auch davon ab, wie weit ein Mensch bereit ist, sich zu öffnen, neue Erkenntnisse zu gewinnen, über sich selbst und die Welt: für ein neues Leben und vielleicht auch eine neue Heimat.

Talk Together: Wann ist für dich jemand integriert?

Lisa: Für mich ist jemand integriert, sobald er/sie bereit ist, das Leben selbst in die Hand zu nehmen und versucht, daraus etwas zu machen, ohne seine Wurzeln zu vergessen. Jemand, der die Sprache des Landes gut spricht, eine Arbeit gefunden hat, wird eher Teil der Gesellschaft werden als jemand, der sich ausklinkt und seine Verantwortung für sich und die Gesellschaft nicht wahrnimmt.

Talk Together: Du hast gesagt, die drei Säulen für INTO zur Integration sind Sprache, Wohnung und Arbeit. Genügen sie, um wirklich ein Teil der Gesellschaft zu sein?

Lisa: Das ist die Art von Integration, die der Staat erwartet. Integration ist jedoch auch eine sehr persönliche Angelegenheit, ich würde fast sagen, eine Privatsache. Ich denke, dass echte Integration vor allem im Herzen stattfindet. Fühlt sich ein Mensch in einem Land wohl und in Sicherheit, kann er sich als Individuum entfalten und ist er auch glücklich in seinem neuen Leben angekommen, dann wird er das Land eher als seine Heimat betrachten. Integration ist dementsprechend ein jahrelanger Prozess, vielleicht auch ein lebenslanger, mit vielen Höhen und Tiefen. Für mich stellt sich also eher die Frage: wo ist mein Herz zuhause?

Talk Together: Woher kommen Vorurteile?

Lisa: Vorurteile haben wir alle im Kopf und verdecken den Blick für den Menschen gegenüber. Vorurteile sind- soziologisch gesehen - vorgefasste Urteile und entbehren jeder Erfahrung. Es ist die Angst vor dem Unbekannten und dem Neuen. Vorurteile erfüllen hier quasi so eine Art Schutzfunktion, aber bringen uns gleichzeitig um viel Neues und Spannendes. Trotzdem wage ich zu behaupten, dass trotz aller kulturellen Verschiedenheiten, die Gemeinsamkeiten doch viel größer zwischen uns Menschen sind als die Unterschiede.

Talk Together: Wie funktioniert das Miteinanderleben der unterschiedlichen Nationalitäten im Integrationshaus?

Lisa: Im Integrationshaus leben Menschen aus so zwischen sechs und neun unterschiedlichen Nationen. Im Großen und Ganzen funktioniert das Zusammenleben reibungslos und es gibt wenig offene Konflikte. Aber meistens bleiben die Volksgruppen unter sich und haben wenig Berührungspunkte mit den anderen. Leider gibt es auch nicht so viel Solidarität innerhalb der Flüchtlinge, ich hätte mir vorgestellt, dass sie sich aufgrund ihres gemeinsamen Schicksals mit den anderen mehr verbunden fühlen.

Talk Together: Was denkst du über die Asylgesetze in Österreich?

Lisa: Das ist ein heikles Thema und die Frage nicht ganz einfach zu beantworten. Ich denke schon, dass grundsätzlich Einwanderung gesetzlich geregelt werden kann, doch in welcher Form, darüber sollte immer wieder neu diskutiert werden. Problematisch finde ich, dass die Gesetzeslage in Österreich derzeit sehr restriktiv ist und jeder Diskussion mit den großen betreuenden und beratenden Einrichtungen entbehrt: der Caritas und der Diakonie. Die österreichische Politik hat bislang versäumt, in dieser Frage einen Standpunkt zu finden und versucht, Ängste zu schüren. Das Kriterium für die Asylgewährung ist ohnehin die Genfer Flüchtlingskonvention.

Problematisch finde ich zudem, dass Asylverfahren so lange dauern. Nach vielen Jahren Wartezeit geht viel Motivation und Potential verloren und die Leute sind oft nicht mehr fit für die Integration.

Talk Together: Abgesehen von der Beratung, beschäftigt sich INTO auch damit, den Kontakt zwischen Einheimischen und BewohnerInnen zu fördern?

Lisa: Abgesehen von Veranstaltungen, wo wir unser Haus öffnen, gibt es eine große Anzahl von ehrenamtlichen MitarbeiterInnen, die nicht nur wertvolle Unterstützung in unserer Klientenarbeit leisten, sondern außerdem ein Bindeglied zwischen drinnen und draußen sind. Es entstehen hier manchmal enge Freundschaften oder Beziehungen, die für beide Seiten eine große Bereicherung sind.

Talk Together: Was wünscht du dir für deine KlientInnen und was erwartest du von den Einheimischen?

Lisa: Ich wünsche meinen KlientInnen viel Geduld, Durchhaltevermögen und Mut auf ihrem Weg in ein neues Leben. Von den Menschen dieser Stadt wünsche ich mir mehr Neugierde und echte Herzenswärme Menschen gegenüber, die anders sind und anders aussehen. Beide zusammen wünsche ich mehr Toleranz, gegenüber Menschen, die anders sind, denken und sprechen.

Talk Together: Danke für das Gespräch!

erschienen in: Talktogether Nr. 22/2007