Wie Machtlos sind Erwerbslose? Die Arbeitszeitverkürzung hat bereits stattgefunden. Manche müssen mehr arbeiten, die anderen dürfen gar nicht arbeiten War früher Arbeitslosigkeit für die meisten nur ein vorübergehender Zustand und für ein paar Verweigerer der kapitalistischen Form der Ausbeutung der Arbeitskraft eine freiwillige Entscheidung, sind heute immer mehr Menschen aus allen Berufsgruppen betroffen. Durch den massiven Stellenabbau finden sich immer mehr Menschen – vor allem ältere - in einer Situation als Langzeitarbeitslose wieder. Viele befinden sich in einer derart aussichtlosen Lage, dass sie bereit sind, viele Konzessionen einzugehen und Jobs anzunehmen, die weit unter ihrem Ausbildungs- und Lohnniveau sind. Somit dient die Arbeitslosigkeit dem Kapital als Maßnahme, die die Menschen zwingt, auf ihre Ansprüche zu verzichten. Während es für Arbeiter und Angestellte Kollektivverträge und Vertretungen wie Arbeiterkammer und Gewerkschaft gibt, befindet sich der Arbeitslose, wenn er als sog. „Kunde“ das AMS betritt, in einer Situation der Abhängigkeit und Rechtlosigkeit wieder. Dieser „Kunde“ hat kein Recht aus den Angeboten auszuwählen, sondern muss sich den Anordnungen fügen. Weist er eine zugewiesene Stelle oder eine Schulungsmaßnahme zurück, wird er mit der Einstellung des Bezuges von Arbeitslosen- oder Notstandsunterstützung – meist die einzige Einkommensquelle von arbeitslosen Menschen – bestraft. Ob die zugewiesene Stelle oder der Kurs den Bedürfnissen des „Kunden“ entspricht oder ihm Zukunftsperspektiven bietet, spielt keine Rolle. Auch Stellen bei Leihfirmen, wo der Lohnabhängige als Tagelöhner ständig auf Abruf bereit sein muss, ihm aber keine Sicherheit geboten wird, ob er morgen noch eine Arbeitsstelle hat, werden als zumutbar betrachtet. Menschen, die längere Zeit arbeitslos sind, werden zumeist in Kurse gesteckt. Dabei handelt es sich aber nicht etwas um Kurse, die der Weiterbildung dienen und von denen der Arbeitslose profitieren könnte, sondern sie dienen in der Realität dazu, die Statistik zu verschönen. Wer sich mit dem Wunsch nach einer sinnvollen Aus- oder Weiterbildungsmöglichkeit an das AMS wendet, wird meist ohnehin abgewiesen. Eine neue Zwangsmaßnahme für Langzeitarbeitslose stellt die so genannte „Arbeitserprobung“ (AEP) dar: Arbeitslose müssen sich selbst als kostenlose Arbeitskräfte bei Betrieben anbieten. Für 40 Stunden pro Woche Arbeit bekommen sie lediglich die Notstandshilfe, die meist unter dem Kollektivvertrag liegt; gesetzliche Mindestlöhne werden so unterlaufen. Der Arbeitslose fragt dann: Wo kann ich hingehen, wer setzt sich für meine Rechte ein? Die einzige Möglichkeit sich zu wehren ist für den Arbeitslosen, den Anordnungen nicht Folge zu leisten und sich mit einer Berufung an die keineswegs unabhängige Beschwerdestelle des AMS zu wenden. Dort Recht zu bekommen ist allerdings fast aussichtslos. Außerdem, wer kann sechs Wochen lang nur von Luft und Liebe leben? Wenn man Miete bezahlen muss oder Betreuungspflichten hat, ein Ding der Unmöglichkeit. Gibt es eine andere Möglichkeit, als dieses Schicksal ohnmächtig zu akzeptieren? Die Arbeitslosen in Argentinien und Frankreich haben bewiesen, dass man etwas erreichen kann, wenn man sich zusammenschließt und sich wehrt. In Frankreich formierten sich bereits Anfang der 1990er Jahre Arbeitslosenbewegungen, die seitdem laut ihre Stimme erheben und mit ihren Protesten für Aufmerksamkeit für ihre Anliegen sorgen. Ihre Forderungen beschränken sich aber nicht nur in der Verteidigung der Interessen der Arbeitslosen. Sie treten auch für radikale Maßnahmen zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit ein. Gefordert wird nicht nur ein Verbot von Scheinverträgen wie Leiharbeit, Scheinselbständigkeit und der so genannten Flexibilisierung (geringfügige Beschäftigung), sondern auch eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Zumal das Geld dafür ja vorhanden ist. Denn, so sagen sie, die Arbeitszeitverkürzung hat ja bereits stattgefunden. Aber in ungerechter Weise: Manche müssen mehr arbeiten, die anderen dürfen gar nicht arbeiten. Das sind Forderungen, die nicht isoliert in einem Land realisiert werden können. Deshalb ist es für die Bewegungen wie auch für die Gewerkschaften notwendig, sich zusammenzuschließen und international zu agieren, wie es das Kapital ja schon lange tut. Wir sind Menschen und nicht überflüssiges Material für die Wirtschaft! Darum, Arbeitslose und Werktätige: Organisiert Euch, bildet Komitees, geht auf die Straße! Lasst Euch nicht an den Rand drängen und beansprucht Euren Platz in der Gesellschaft. Sichert Arbeitszeitverlängerung Unternehmensstandorte?In Deutschland bei Siemens in Kamp-Lintfort und Bocholt haben sich das Unternehmen und die Personalvertreter auf die Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche und zwar ohne Lohnausgleich geeinigt. Zusammen mit den Kürzungen bei den Jahressonderzahlungen bringt dies Einkommenseinbußen bis zu 30% mit sich. 4000 Beschäftigte sind davon betroffen: im Gegenzug erhalten sie eine Arbeitsplatzgarantie für zwei Jahre. Das ist für die deutschen Unternehmensvertreter ein großer Durchbruch in der in Deutschland heiß diskutierten politischen Debatte um die Arbeitszeiten. Ein Unternehmen hohen Rangs ist vorgeprescht und hat mit seiner Offensivkraft Tatsachen geschaffen, die der Argumentation der Unternehmensseite großen Nachdruck verleihen wird. Derzeit macht Daimler Chrysler Druck auf seine deutsche Belegschaft. Die gesamte deutsche Automobilindustrie bekräftigt den Willen nach Arbeitszeitverlängerung. In Österreich ist die Debatte noch nicht so weit fortgeschritten. Aber mit Siemens, einem internationalen Unternehmen, das auch in Österreich seine Niederlassungen hat, wird sie sich sehr schnell zuspitzen. Denn die Konkurrenz, selbst betriebsinterner Strukturen, wird Siemens bald auch hierzulande zum Vorreiter der Arbeitszeitverlängerung machen. „Eine Verlängerung der Arbeitszeit kann für Produktionsstandorte eine Lösung sein“ (Albert Hochleitner, Siemens-Österreich-Generaldirektor) Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung hört man von Seiten der Gewerkschaft schon längere Zeit nicht mehr. Aus der Offensive geht sie zur Defensive über und will nur die derzeitigen Arbeitszeitenregelungen verteidigen. Freilich steht viel auf dem Spiel, aber Verteidigung allein kann nie zum Sieg führen. Gewinnen kann man nur durch Offensive. Das weiß der nationale Teamchef Hans Krankl besser, als es uns die Coaches von der Gewerkschaft raten wollen. Es ist freilich allen klar, dass die Unternehmen durch die Konkurrenz gezwungen sind, die Arbeitszeit zu verlängern. Eine Verlängerung der Arbeitszeit mit zusätzlichem Entfall des Lohnausgleichs erhöht die Rate des Profits zugunsten des Unternehmens. Es hat also einen Vorteil in der Konkurrenz und, meint man, der Standort bleibt erhalten. „Es ist durchaus zumutbar, dass man zwei Stunden länger für den gleichen Lohn arbeitet“ (Wolfgang Reithofer, Wienerberger-Generaldirektor) Der Standort muss gesichert werden heißt: die Betriebe sollen nicht davon laufen. Die werden doch glatt zu Wirtschaftsflüchtlingen, wenn die Profite nicht stimmen! Da helfen auch keine Migrationsgesetze. Und deswegen sitzen die Arbeiter im selben Boot – aber an den Rudern, nicht am Steuer. Wenn die Profite steigen, so zahlt es sich unter Umständen für das Unternehmen aus, den Standort seines Betriebes beizubehalten und nicht auszuwandern. Der Standort scheint gesichert, wenn die Profite steigen. Wenn sie steigen! Bei längerer Arbeitszeit kommt es freilich zu erhöhtem Wertzuwachs in die Hände des Unternehmens. Die Arbeitenden verdienen aber nicht mehr, sie haben nur ihren „Arbeitsplatz“ gesichert. Sie können also gar nicht mehr kaufen. Sie haben aber mehr hergestellt. Ja, wer kauft denn dann die hergestellten Sachen? Wenn auch nicht alle Produkte dem unmittelbaren Konsum zugeführt werden, sind sie doch letztlich zum Verzehr bestimmt. Wer wird das Geld haben? Die Arbeiter und Arbeiterinnen wohl kaum! Vielleicht die Unternehmer? Vielleicht das Militär?! „Wir wollen in den nächsten drei Jahren eine Verlängerung von jeweils einer halben Stunde durchsetzen. Der Vorteil wäre, dass der Einzelne das nicht merkt“ (Kurt Eder, Generaldirektor Voest Alpine) Was sich die Arbeiter erhandelt haben, ist nur die Zusage auf einen Arbeitsplatz für die nächsten zwei Jahre. Danach wird die Ernte von den Unternehmern eingefahren und der Druck auf die Arbeiter, die Drohung den Arbeitsplatz zu verlieren, desto größer als die Unternehmer so viele Arbeiter ja gar nicht brauchen. Wie auch immer: Die Tatsache, dass ein Unternehmen und seine Belegschaft sich auf längere Arbeitszeiten einigen, zwingt über die Konkurrenz auch andere Unternehmen und andere Belegschaften zu ebensolchen Schritten. Der positive Effekt löst sich auf, verpufft. Ein Ausstieg aus diesem Teufelskreis ist nicht vorgesehen. Ergebnisse der Arbeitszeitforschung belegen, dass lange Arbeitszeiten zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Das wissen die Unternehmer! Sie sind nicht daran interessiert, dass ihnen die Arbeiter wie die Fliegen davonsterben, denn es sollen ja immer genügend von ihnen da sein. Bei einer genügend hohen Arbeitslosenquote kann man die Zügel aber schon fester anspannen als bei Arbeitskräftemangel. Höhere Arbeitslosigkeit wird also die Tendenz zu höherer Leistungserwartung zusätzlich steigern. Muss die gleiche Zahl von Beschäftigten in einem Betrieb länger arbeiten, brauchen die Firmen weniger Personal. Würde die Arbeitszeit um fünf Prozent erhöht, wäre die Folge 60.000 bis 100.000 Arbeitslose mehr – in einer Zeit, in der im Jahresschnitt bereits 244.000 Männer und Frauen arbeitslos sind. Kein Arbeiter sollte sich einbilden, dass er Wirtschaftsstandorte erhalten könnte, solange der Betrieb nicht ihm gehört. Er soll lieber danach trachten, seine Klasseninteressen, also die Standorte seiner Gesinnung zu wahren. Verkürzung der Arbeitszeit sei seine Forderung! Und nieder mit der Konkurrenz unter den Arbeitern – national und international! Hoch die internationale Solidarität! Ruderer aller Länder vereinigt euch! Übernehmt das ganze Boot! Reichtum ist Zeit, über die man verfügt! erschienen in: Talktogether Nr. 9/2004
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